Mit dem Schwund der zur Verfügung stehenden Third-Party-Daten für das Advertising geht eine technologische Umorientierung aufseiten der Werbetreibenden einher. Die Customer-Data-Plattform (CDP) rückt in den Fokus und soll den Advertisern das Versprechen erfüllen, das die Data-Management-Plattform (DMP) vor nicht allzu langer Zeit gab: eine rundum personalisierte Kundenreise. Markus Erwin ist gesamtverantwortlich für Adobes Datenlösungen in der deutschsprachigen und osteuropäischen Region, macht vor allem auch edukative Arbeit für den Markt und sorgt für Orientierung auf dem Feld Daten. Im Interview spricht er darüber, wie die CDP ihrem Versprechen nachkommen kann, wie Unternehmen an die nötigen First-Party-Daten gelangen, um die personalisierte Ansprache umzusetzen, und welche Rolle Reaktionen in Echtzeit dabei spielen.
ADZINE: Hallo Markus, beim Einsatz von Daten im Advertising landen wir zwangsläufig auch beim Aus für Third-Party-Cookies, das Google aktuell Ende 2024 ansetzt. Glaubst du daran, dass Google die Deadline einhalten wird? Oder spielt das am Ende gar keine Rolle, weil die Werbeindustrie eh umsattelt und sich neue Wege zur Adressierbarkeit und Messbarkeit ihrer Werbemaßnahmen sucht?
Markus Erwin: Ich wäre nicht überrascht, wenn Google die Deadline nochmals verlängert. Third-Party-Cookies sind schließlich derzeit ein Alleinstellungsmerkmal, das Werbebudgets an sich bindet. Es ist aber am Ende des Tages nicht wichtig.
Denn anfangs hatten viele Marktteilnehmer zwar Angst, dass sie keine Daten mehr verknüpfen können und zurück zum rein kontextuellen Targeting gehen müssen. Inzwischen haben sie aber verstanden, dass diese Transformation hin zu einer First-Party-Daten-Welt eine Chance bietet, verloren gegangenes Vertrauen zu den Konsumenten wieder aufzubauen. Sie können ihren Kunden erklären, warum sie Daten benötigen und direkt bei der Personalisierung zeigen, wie sie sie einsetzen. Wenn ich als Kunde einen Mehrwert darin sehe, bin ich auch dazu bereit, Daten abzugeben. Daten sind nicht gleichbedeutend mit mehr Werbung. Sie können auch dazu genutzt werden, um Kunden in Ruhe zu lassen, wenn sie gerade nicht nach einem Produkt suchen.
Im Endeffekt stehen den Unternehmen so nicht weniger, sondern genauere Daten zur Verfügung. Die Reichweite sinkt, aber das Targeting wird durch selbst erhobene Daten valider. Ich kenne kein Unternehmen, das gerade nicht evaluiert, wie es sich auf eine neue Werbewelt vorbereiten kann – egal, ob Google den Third-Party-Cookie noch etwas länger leben lässt.
ADZINE: Der von der DSGVO verlangte, vorgeschaltete Consent macht den Aufbau eigener Daten jedoch nicht einfach. Wie können Unternehmen trotzdem strategisch genug Informationen zur Personalisierung sammeln?
Erwin: Viele Studien haben nachgewiesen, dass Konsumenten ihre Daten teilen, wenn sie im Gegenzug relevante und persönliche Inhalte und Informationen erhalten. Dabei sollten Marken sie persönlich ansprechen und dabei keinesfalls übergriffig sein. Viele Konsumenten teilen beispielsweise ihre E-Mail-Adresse, wenn sie im Gegenzug ein personalisiertes Angebot erhalten.
Meiner Meinung nach geht es eher darum, im ersten Schritt der Experience, etwa auf der Website, die Interessen der Nutzer abzufragen. Dies kann beispielsweise dank eines Pop-up-Fensters mit vier Auswahlmöglichkeiten geschehen, das den Klick dazu nutzt, um die Website direkt in Echtzeit zu personalisieren. Somit sieht der Nutzer keine generische Website, sondern sofort eine personalisierte. In diesem Moment verstehen viele Besucher, dass ihr Leben einfacher wird, wenn sie direkt in den richtigen Bereich der Website geleitet werden. Dies nennt sich die Erhebung von Zero-Party-Daten, also vom Kunden auf Nachfrage gegebene Informationen.
ADZINE: Der Fokus liegt damit darauf, Daten ins eigene Unternehmen zurückholen, nachdem die Datengewinnung im Advertising fleißig in die “Walled Gardens” ausgelagert wurde. Gibt es eine Blaupause für den dafür notwendigen Technologie-Stack? Früher hieß es, Unternehmen brauchen eine Data-Management-Plattform fürs Advertising, heute heißt es, sie brauchen eine Customer-Data-Plattform…
Erwin: Stimmt. Ich komme aus der “alten” DMP-Welt. Als wir vor zehn Jahren DMPs vermarktet haben, haben wir behauptet, dass wir die Personalisierung der gesamten Customer Journey hinbekommen. Das war aber schon damals ein Versprechen, das die DMP nie einhalten konnte. Wir haben lediglich die anonyme Welt damit angesprochen.
Die Customer Data Platform liefert nun endlich eine Antwort auf die Ursprungsfrage. Sie zentralisiert die First-Party-Daten über alle Kanäle und Touchpoints hinweg und die Advertising-Use-Cases kommen langsam dazu. Die Technologie ist aber nur das eine. Man muss auch seine gesamte Strategie umstellen.
ADZINE: Welche Technologie brauchen Unternehmen außer der CDP?
Erwin: Die CDP ist das Gehirn. Marken benötigen immer noch eine Personalisierungslösung, um die erhobenen Informationen umzusetzen. Oder eine Demand-Side-Plattform, um Werbung einzukaufen, einen Adserver, um sie auszuliefern, und gegebenenfalls die Integration in Publisher, um die First-Party-Daten zu nutzen. Die Intelligenz der Daten sollte aber von einer CDP gesteuert werden.
ADZINE: Kommen wir zur Strategie. Ihr selbst schreibt euch insbesondere Echtzeit auf die Fahne.
Erwin: Absolut. Das ist ein großes Unterscheidungsmerkmal. Es gibt mittlerweile so viele Anbieter, die von sich behaupten, eine CDP zu betreiben, nur weil sie Daten sammeln und eine Art von Segmentierungstool einsetzen. Nach dieser Definition war aber schon jedes E-Mail-Tool aus den Neunzigern eine CDP.
Wenn ich Daten erst am Ende einer Nutzer-Session prozessiere, sie an ein Profil hänge und dann beim nächsten Besuch auf der Website für die Personalisierung einsetze, ist beispielsweise das Fenster für transaktionale Entscheidungsfindung schon längst vorbeigezogen. Wenn ich Sneaker kaufen möchte, dann betrete ich eine Website und schließe dort den Kauf ab oder bin wieder weg.
ADZINE: Was ist aktuell die dringendste Baustelle, was Daten anbelangt? Also was sollte Priorität 1 bei den Advertisern haben?
Erwin: Die erste Priorität sollte sein, nicht in Panik zu verfallen, dass man plötzlich keine Daten mehr hat. Aber man muss sich Gedanken darüber machen, welche Daten in welchem Use Case genutzt werden und was dieser Use Case am Ende auf den Geschäftserfolg einzahlt. Nach der Identifikation dieser großen und wichtigen Use Cases sollten Unternehmen sich fragen, welche davon nicht mehr ohne Cookies funktionieren.
ADZINE: Magst du Beispiele für solche Use Cases nennen?
Erwin: Ein Beispiel ist das Thema Offsite-Retargeting. Es gibt zwei Ansätze, um Offsite-Werbung am Laufen zu halten. Der eine sind die ID-Partner und der andere eigene, Login-basierte Konglomerate aufseiten der Publisher. Neukundengewinnung, also Prospecting, ist ein anderes Beispiel. Wie schaffe ich es, neue Kunden datengetrieben und nicht nur rein kontextuell anzusprechen? Es gibt Ideen, um dies ohne Cookies abzubilden. Aber wenn genau das die großen wichtigen Use Cases sind, muss man sich eben Gedanken über künftige Lösungen machen.
ADZINE: Danke für das Interview, Markus!
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