Wer die TV-Fernbedienung seiner Kindheit mit denen vergleicht, die heute in den meisten Wohnzimmern liegen, sieht auf einen Blick die Disruption, die das Fernsehen seit damals erfahren hat: Früher brauchten die Zuschauer nur die Tasten 0 bis 9, um sich durch das Fernsehprogramm zu zappen. Heute sind diese Tasten auf der Fernbedienung ganz nach unten gerutscht. Direkt unter dem Einschaltknopf machen sich die Direktwahl-Buttons der bekanntesten Streaming-Anbieter breit – von Amazon Prime über Netflix bis Rakuten TV und Youtube. Das ehemals bequeme Lean-Back-Medium ist zu einem komplexen Konstrukt geworden – für die Zuschauer, aber auch für die Werbeindustrie.
Unsere eigene aktuelle Umfrage zeigt: Zwei Drittel aller Haushalte in Deutschland, also in Summe 27 Millionen, nutzen Connected TV. Das heißt, sie haben ihr Fernsehgerät über Smart-TV, eine Set-Top-Box, HDMI-Sticks, eine Spielekonsole oder via Cast to TV mit dem Internet verknüpft und erschließen sich damit den Zugang zu einem breiten Portfolio von Streaming-Plattformen. So nutzen der Studie zufolge 52 Prozent der CTV-Nutzer in Deutschland kostenpflichtige Streaming-Anbieter (SVOD) wie Amazon Prime, Apple TV, Netflix oder Disney Plus. 41 Prozent schauen über CTV Live TV, ein Drittel nutzt die Mediatheken der TV-Sender (BVOD), werbefinanzierte Plattformen (AVOD) wie Youtube oder Rakuten TV sowie kostenfreie, werbegestützte Streaming-TV-Angebote (FAST) wie Pluto TV, Waipu TV oder Samsung TV Plus. Und jeder fünfte CTV-Nutzer zappt auch bei Video-Aggregatoren rein.
Der CTV-Markt ist extrem fragmentiert
Auf die Frage, welche CTV-Angebote deutsche Verbraucher am häufigsten nutzen, zeigen sich zwei Dinge. Erstens: Der Markt ist enorm fragmentiert. Und zweitens: Diejenigen Anbieter, die sich in der Branche explizit als CTV-Anbieter positionieren, darunter Samsung TV, Pluto oder Rakuten TV, kommen in Deutschland bislang nur auf Nennungen im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Der dominierende Player in Deutschland und fast allen anderen Ländern Europas – mit Ausnahme von Italien und UK – ist Youtube, hierzulande gefolgt von den Mediatheken von ARD und ZDF und Joyn.
Angesichts der vielen unterschiedlichen Akteure im Markt muss daher die Frage erlaubt sein: Soll CTV weiterhin für “Connected TV” stehen und sich damit auf einen vergleichsweise kleinen Teil des Ökosystems beschränken? Oder wird nicht eher der Begriff “Converged TV” dem Fernsehen der Zukunft besser gerecht, weil er der Branche implizit noch eine Hausaufgabe mit auf den Weg gibt: Nämlich, aus den vielen unterschiedlichen Facetten wieder ein ganzheitliches Erlebnis zu machen – für den Zuschauer, aber auch für die Werbekunden.
Eigeninitiative statt Lean back
Denn wie sieht das Nutzungserlebnis für die Zuschauer aktuell aus? Das über Jahrzehnte gewohnte Lean-Back-Medium – in den vergangenen Jahren erweitert durch das Smartphone als Second Screen – hat eine ganz andere Qualität angenommen: Früher drückten sie einfach nur auf die Taste 1, 2, 3 oder vier und das Programm, das voreingestellt war, lief. Heute ist gleich mehrfach Eigeninitiative gefragt: Die Zuschauer müssen sich nicht nur gezielt entscheiden, welche Inhalte sie sehen wollen. Sie müssen auch einen Weg finden, wie sie am einfachsten und schnellsten an diese Inhalte kommen.
Als Gatekeeper positionieren sich hier gerade unterschiedliche Player: Content-Anbieter wie Zattoo, Joyn oder Waipu.tv, Hardware-Hersteller, die entscheiden, welche Streaming-Anbieter auf den Fernbedienungen und Bildschirmen eingebunden werden sowie Software-Hersteller, die die Betriebssysteme der Fernseher bereitstellen. Auch der Gesetzgeber hat erkannt, wie massiv der TV-Markt gerade umgewälzt wird und für 2024 eine Gesetzesnovelle auf den Weg gebracht, die Mietern erlaubt, ihren Kabelanbieter selbst auszuwählen – mit monatlicher Kündigungsfrist. Dadurch wird sich der Markt ebenfalls noch einmal komplett neu strukturieren.
Viele Datensilos erschweren die Kampagnenaussteuerung
Und wie sieht die Media-Experience der Werbekunden aus? Auch hier täte eine Vereinfachung gut. Bis dato betreibt jeder CTV-Anbieter sein eigenes Silo mit seinem eigenen Datenset. Und jeder Werbekunde, der mit diesen Anbietern zusammenarbeiten möchte, muss notgedrungen mit zehn verschiedenen Silos und zehn unterschiedlichen Messverfahren hantieren. Die Attraktivität für die Advertiser würde erheblich steigern, wenn es gelänge, diese Töpfe miteinander zu verbinden und Kampagnen anbieter- und betriebssystemübergreifend zu messen und auszusteuern. Eine Möglichkeit bieten Identifier. Doch auch dieser Markt ist sehr dynamisch und ähnlich fragmentiert.
Der Wandel, den das Fernsehen gerade durchlebt, ist viel dramatischer als vielen bewusst ist. Der Markt ist von allen Seiten einer Disruption ausgesetzt. Wir alle tragen unseren Teil dazu bei. Aber kaum einer zeichnet ein ganzheitliches Bild. Doch dieses Bild eines konvergierten Fernsehmarktes ist notwendig, damit alle von einer besser Customer Experience profitieren: Werbungtreibende, Vermarkter und vor allem die Zuschauer.
Tanno Krauß diskutiert diese Entwicklung im Detail auf der diesjährigen Adtrader Conference im gleichnamigen Panel: CTV, vom Connected zum Converged TV.
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