In den vergangenen Jahren, spätestens seit der “Cookiecalypse”-Ankündigung von Google, hat sich die Werbeindustrie schrittweise auf eine Targeting-Welt ohne Third-Party-Cookies vorbereitet. Während insbesondere die Sell-Side konsequent daran gearbeitet hat, ihr Angebot cookielos zu gestalten, galten die Advertiser von Anfang an als diejenigen, die bei der Umstellung hinterherhinken. Wer kann es ihnen verdenken? Schließlich gibt es nicht den einen Cookie-Ersatzstoff, was vielerorts zu Orientierungslosigkeit geführt hat. Heute mündet dies anscheinend in einer verqueren Lage: Die Publisher stehen mit unterschiedlichen Cookieless-Produkten bereit – aber die Buy-Side kauft ihre Zielgruppen lieber weiterhin auf Cookie-Basis ein. Wie lässt sich diese Situation auflösen?
Der Cookie ist tot, lang lebe der Cookie
Es existieren tatsächlich nachvollziehbare Gründe dafür, warum die Einkaufsseite momentan immer noch auf Third-Party-Cookies zurückgreift, um ihre Zielgruppen zu adressieren. Der naheliegendste: Sie sind verfügbar. Warum darauf verzichten, wenn die Ersatzprodukte offenbar infrage gestellt werden? “Die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der angebotenen Alternativen wirft vor allem aufseiten der Werbetreibenden oftmals noch Bedenken auf, weshalb auf Basis von Cookies eingekauft wird, solange sie zur Verfügung stehen”, erklärt Sandra Wäser, Head of Digital Strategy von der Mediaagentur Universal McCann. Ein weiterer Faktor ist die Komplexität, die mit dem Einsatz von Cookie-Ersatzprodukten verbunden ist. “Teilweise müssen mehrere Anbieter von Ersatzprodukten eingesetzt werden und es gibt unterschiedliche Standards, um eine einheitliche Zielgruppen-Targeting-Strategie zu entwickeln.”
Die Demand-Side-Plattformen (DSP) bieten munter weiter ihre Cookie-Targetings an und gaukeln den Einkäufern wirksame Reichweiten vor, sagt Wäsers Agenturmitstreiter Sascha Dolling. “Ich sage vorgaukeln, weil dem unerfahrenen Einkäufer oft gar nicht klar wird, wie viel Cookie-Reichweite er bereits für eine wirksame Zielgruppendurchdringung verloren hat”, so der General Manager von Mediaplus Realtime.
Probier’s mal mit Gemütlichkeit
Der andere Grund dafür, dass sich das Targeting mit Third-Party-Cookies hartnäckig hält, sei die menschliche Bequemlichkeit. “Neue Targetingansätze erfordern ein Umdenken in Planung, Aussteuerung und Optimierung. Je nach Ansatz ändert sich der ganze Kampagnenprozess. Ohne Sensibilisierung für das Thema wird dies aus Bequemlichkeit vermieden”, meint Sascha Dolling.
Der hohe Arbeitsaufwand wird der Buy-Side auch vonseiten der Sell-Side attestiert. Während sich viele Publisher und Vermarkter bereits für verschiedene Identity Provider entschieden haben und üblicherweise mehrere Anbieter nutzen, um die bestmögliche Bandbreite bieten zu können, gestaltet sich dieser Prozess für die Einkaufsseite selbst schwieriger, erklärt Martin Pichler, CSO vom Spezialvermarkter Highfivve, einem Spin-off von Gutefrage.net. “Sie müssen deutlich mehr Aufwand betreiben, um eine passende Lösung auszuwählen und zu implementieren.” Darüber hinaus ist der Druck derzeit noch überschaubar, da die Third-Party-Cookies in Chrome schließlich noch funktionieren.
Warum Advertiser trotzdem cookieless werben sollen
Womit wir wieder bei der Kernfrage wären: Warum sollten Mediaeinkäufer jetzt überhaupt auf cookieless umstellen, wenn sie ihre Reichweite doch in Chrome bequem aufrechterhalten können? Dafür gibt es einen ebenso naheliegenden Grund. “Werbetreibende setzen bei Mediaeinkauf und Targeting auf Bewährtes, allerdings bewegt sich die Branche aufgrund von Cookie-Blocking in eine Sackgasse, in der die mit Third-Party-Cookie adressierbare Zielgruppe von immer mehr Einkäufern umworben wird – das ist schlichtweg viel teurer”, ist Alwin Viereck, Head of Product Management beim Vermarkter United Internet Media, überzeugt.
Sascha Dolling weist darauf hin, dass Firefox und Safari längst für cookiebasierte Targetings verloren sind. Alternativen ID-Lösungen fehle es noch an Reifegrad und Verbreitung, um einen echten Lösungsweg zu bieten. “In der Konsequenz gibt es immer mehr Käufernachfrage auf immer weniger Inventar. Eigentlich absurd, wenn man Zielgruppen durchdringen und Kampagnen in ihrer Performance optimieren will”, so der Agenturfachmann.
Cookieless schmackhaft machen
Der Einkaufsseite müssen die Cookie-Alternativen schmackhaft gemacht werden. Der Anforderungskatalog vonseiten der Agenturen ist zumindest eindeutig. “Eine nahtlose Aussteuerung und Messung, qualitatives und reichweitenstarkes Inventar, valide Match-Raten und die Performance sind die Stränge, die ineinandergreifen müssen”, stellt Sandra Wäser von Universal McCann klar. ID-basierte, datenschutzkonforme Lösungsansätze würden bereits heute gute Ergebnisse zeigen und eine personalisierte Ansprache möglich machen. Doch ist es schwierig, die eine alleinstehende Lösung zu finden, denn die Customer Journey ist nicht linear und die Medienlandschaft hoch fragmentiert.
Das bedeutet Aufklärungsarbeit und anschauliche Praxistests. “Es ist von großer Bedeutung, dass im Bereich des Cookieless Advertising große und aussagekräftige Case Studies entstehen”, meint Martin Pichler. “Durch diese können wir den Fokus noch mehr auf dieses Thema richten und somit das gesamte Ökosystem darauf ausrichten”, glaubt der Highfivve-CSO.
Dass die Orientierungslosigkeit aus der Vielzahl an noch unausgereiften und ungetesteten Lösungen resultiert, bestätigt Olaf Peters-Kim, Geschäftsführer von Welect. Das Adtech-Unternehmen hat ein Verfahren entwickelt, das die User selbst entscheiden lässt, welche Werbung sie sehen wollen. Diese stellt er der Buy-Side konsequent vor. “Damit der Markt eine bessere Entscheidungsgrundlage hat, lade ich die geschätzten Kolleginnen und Kollegen ein, genauso konkret und transparent ihre Lösung zu präsentieren, insbesondere in Bezug auf den für die Kunden verbunden Arbeitsaufwand und der Gewährleistung, dass die Lösungen auch in Zukunft einer umfassenden Datenschutzprüfung standhalten können.”
To identify or not identify?
Alternative ID-Lösungen zeichnen sich schon lange als eine der Säulen des künftigen Targetings ab. Peters-Kim traut ihnen jedoch nicht per se, vor allem da sie ebenso wie die Third-Party-Cookies einen Consent vom Nutzer benötigen. “Einige Datenschutz- und Rechtsabteilungen hinterfragen zudem, ob für die Implementierung von Pseudonymisierungs- und Anonymisierungs-Lösungen tatsächlich rechtsgültige Zustimmungen vorliegen. Ich bezweifle, dass der durchschnittliche Verbraucher auch nur annähernd versteht, worin er tatsächlich eingewilligt hat”. Daher erwartet der Gründer, dass die zuständigen Behörden in Zukunft solche Lösungen sorgfältig prüfen werden. “Das wird also noch spannend und das Aus für einige dieser Ersatzprodukte bedeuten”, so Olaf Peters-Kim.
Trotz dieser Bedenken scheinen sich die Lösungen auch im hiesigen Markt zunehmend auf Advertiser-Seite zu etablieren. Zumindest legen unter anderem die Zahlen der DSP Adform diesen Schluss nahe. “Wir verzeichnen in jedem Fall, dass der Großteil der Publisher bereits First-Party-ID-basierten Traffic sendet. Und aktuell steigt auch der eingekaufte ID-basiert Traffic merklich an. Wir scheinen uns endlich dem Tipping Point zu nähern”, verrät Alexander Weißenfels, VP DACH bei Adform. Zwar sei insgesamt der Anteil des Third-Party-Cookie-basierten Traffics immer noch am größten, doch sieht er “einen klaren Trend hin zu alternativen IDs”. So wird “auf einzelnen Publishern in Deutschland bereits bis zu 60 Prozent des Traffics auf alternativen IDs eingekauft”. Zwei Drittel des Safari-Firefox-Traffics in Deutschland wird über Adform bereits wieder adressierbar gehandelt.
Eine Portion Druck und einen Becher voll Mut
Der Trend auf der Buy-Side Richtung Cookieless ist also zu erkennen und die Sell-Side, die Third-Party-Cookies mit viel Mühe aus ihrem Angebot verbannt hat, kann aufatmen. “Cookieless-Targetings müssen gar nicht mehr schmackhaft gemacht werden. Es braucht nur mehr Sensibilisierung für deren Notwendigkeit”, glaubt Sascha Dolling. Als stellvertretender Vorsitzender der Fokusgruppe Programmatic Advertising im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) ist diese Sensibilisierung zum Teil auch seine Aufgabe. Doch ist er frohen Mutes. Schließlich gebe es durchaus erfolgreiche, cookielose Ansätze auf der Buy-Side.
Sein BVDW-Kollege Alwin Viereck, der sich unter anderem im Identity Lab engagiert, appelliert an die Courage der Einkäufer: “Kunden und Planer brauchen den Mut, über Bekanntes hinaus zu denken, und den Antrieb, sich proaktiv mit der De-facto-Zukunft der Adressierbarkeit von Zielgruppen zu beschäftigen”. Es ist angerichtet auf der Sell-Side – die Publisher hätten ihre Hausaufgaben gemacht. “Es steht alles bereit, Lösungen in Vermarkter- und Device-übergreifenden Kampagnen zu nutzen”, so Viereck.
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