Der Markt ist bereit für die Zielgruppenansprache der Zukunft
Alwin Viereck, 24. Mai 2023Evolution ist eine ständige Herausforderung. In unserer digitalen Advertising-Branche ist Veränderung sogar der Normalzustand, getrieben vom Shift der Budgets ins Digitale über die letzten 15 Jahre hin zum größten Werbekanal, bei einem sich ständig wandelnden Marktumfeld. Die Art der Internet-Nutzung verändert die Spielregeln. Ein Großteil der User ist auf mobilen Endgeräten in Apps unterwegs – spätestens seit 2022 auch in Deutschland. Und im Web-Traffic rückt die Post-Cookie-Ära immer näher. Einer besonderen Veränderung unterliegen dabei die Möglichkeiten der Addressability, also der gezielten Ansprache von Nutzerinnen und Nutzern mit Inhalten oder Werbung. Das hat mehrere Ursachen, die im Folgenden dargelegt und für die Lösungsszenarien beschrieben werden.
Addressability hängt vom Traffic ab
Wer über Addressability spricht, muss zunächst die Internet-Nutzung betrachten. Weltweit liegt das Verhältnis bei 70 Prozent In-App- vs. 30 Prozent Web-Traffic. In Deutschland liegt die anteilige Gesamtnutzung stationärer vs. mobiler Angebote gemäß IVW etwa gleichauf, mit großen Unterschieden zwischen den Publishern in Abhängigkeit von ihrem Angebot.
1. In-App Addressability
Bereits 2021 wirbelte Apple auf der In-App Seite mit App Tracking Transparency (ATT) die digitale Advertising-Branche durcheinander. User durchliefen den darauf ausgerichteten Dialog mit mehr als 70 Prozent Opt-Out-Rate. Damit wurde die Nutzung des Mobile Identifier for Advertising (IDFA) unmöglich und es folgte der dramatische Einbruch des datengetriebenen Mediaeinkaufs in iOS sowie ein Shift von Mediabudgets für App-Install-Kampagnen auf Apple-eigene Dienste wie Search Ads im App Store. Google hat für Android ebenfalls angekündigt, nach Einführung der Privacy Sandbox auf Chrome, in den Apps das Tracking via Mobile Ad SDKs durch entsprechende Funktionalitäten einzuschränken.
2. Web Addressability
Third-Party-Cookies funktionieren nur im Web und somit nur auf 30 Prozent des Internet-Traffics. Von diesen 30 Prozent müssen wiederum 30 Prozent Adblocking abgezogen werden, das sich aus 20 Prozent direktem und zehn Prozent indirektem Adblocking zusammensetzt. Ferner fallen wiederum 30 Prozent des Third-Party-Cookie-Traffics der Multi-Device-Nutzung zum Opfer, da eine fragmentierte Sicht auf den User besteht. In vielen Fällen wird dann einfach von einem komplett neuen User ausgegangen – somit sind Kernelemente einer Kampagne wie Frequency Capping oder datengetriebenes Bidding um die Media schlichtweg verfälscht oder unmöglich.
Zudem schlägt das viel diskutierte Cookie- bzw. Tracking-Blocking durch Safari Intelligent Tracking Prevention (ITP) oder Firefox Enhanced Tracking Prevention (ETP) mit weiteren 20 Prozent zu Buche. Auch Edge hat zumindest bei Neuinstallationen bereits ETP im Bauch. Chrome folgt – nach mehreren Verschiebungen dann wohl endgültig – 2024 mit der Privacy-Sandbox-Funktionalität „CHIPS“ (Cookie has independant partitioned State), die zwar Third-Party-Cookies nicht verhindert, allerdings das Cookie an die Parent Domain und damit die von Usern besuchte Seite bindet. Die Konsequenz: kein Cross-Domain-Tracking – ein Kern des datengetriebenen Audience Targetings.
Der Werbemarkt muss reagieren
Im Web funktioniert faktisch nur noch auf ca. einem Fünftel der Reichweite das bisher „einzig wahre“ Third-Party-Cookie-Tracking. Mediabudgets ausgesteuert über auf Third-Party-Cookie-Technologie-basierendem System kämpfen damit ausschließlich in dieser Reichweite um User. Im In-App-Bereich ist bei iOS durch ATT bereits heute der Traffic zu über 70 Prozent nicht mehr via IDFA adressierbar. Android wird mit der Einführung der Privacy Sandbox für den In-App-Bereich bald diesem Beispiel folgen.
Der Werbemarkt muss reagieren: Ein ausschließliches Festhalten am alten Third-Party-Cookie-Tracking ist eine Sackgasse, weil immer weniger messbarer Traffic zur Verfügung steht. Es gilt, die Reichweitenverluste wettzumachen, um so die erreichbaren Zielgruppen zu vergrößern.
Verschiedene Lösungen zur Wiederherstellung der Addressability
Die Lösungen lassen sich zunächst in drei große Blöcke einteilen. Gesondert ist No-Consent- und Adblocked-Inventar zu betrachten.
1. Kohorten-Targeting
Den größten Block bilden klassische Insertion-Order-Kampagnen (IO) und programmatische Pretargeted Deals. Diese unterscheiden sich bei der Anwendung von publisherseitigem Targeting nicht. Beide bieten den Vorteil, dass der Publisher ohne Streuverlust die gesamte bei ihm mittels First-Party-Targeting filtrierte Reichweite bereitstellen kann. Eine weitere Lösung sind Data Marketplaces, über die Publisher Audiences für die flexible Anwendung durch die Demand-Seite in programmatischen Kampagnen anbieten. Im Zusammenhang mit persistenten Identifiern und außerhalb des Google Universums auch Publisher/Vermarkter übergreifend.
Nischenlösungen beim Kohorten-Targeting bilden aktuell außerdem Publisher Advertiser Identity Reconciliation (PAIR) von Google, Seller Defined Audience Signalling (SDA) des IAB Tech Lab oder die Interest-based-Kohorten (Topics API) aus dem Browser Chrome.
2. 1:1-Targeting
Der vielversprechendste Weg beim userzentrierten Targeting führt über persistente IDs, wie NetID, UID2/EUID oder RampID. Diese funktionieren Browser- und Betriebssystem-unabhängig und werden meist auf Basis eines Accounts, einer E-Mail-Adresse oder Telefonnummer gebildet. Sie erlauben aufgrund des expliziten Opt-ins der User auch zukünftig die datenschutzkonforme Anwendung von Third-Party-Daten von Advertisern sowie Publishern, und das vermarkterübergreifend. Sie gelten daher als logische Evolution des Third-Party-Cookie- oder Mobile-Ad-Identifier-basierten Audience Targetings.
Google unterstützt weitere Lösungen wie Secure Signals (Provider) oder die Publisher Provided Identifiers (PPID). Zudem forciert Google im Rahmen der Privacy Sandbox „FLEDGE“ – neuerdings „Protected Audience API“ – genannt, was allerdings nur in Chrome unterstützt wird, wie alle Privacy Sandbox Features/APIs.
3. Kontextual-Targeting
Das Kontextual- oder Umfeld-Targeting ist eine der ältesten Adressierungsoptionen. Hinsichtlich Monetarisierung musste dieser Ansatz jedoch in den letzten 15 Jahren zunehmend dem Audience Targeting weichen, da hier schlichtweg bessere Leistungswerte erzielt werden. Um das Problem der zu starken Zersplitterung zu minimieren, stellt das IAB Tech Lab die Content Taxonomy bereit.
Durch die Unterstützung Künstlicher Intelligenz wurden simple Ansätze des Keyword Targetings innerhalb von Webseiten-Inhalten durch Analyse von Sinnzusammenhängen in semantisches Targeting weiterentwickelt, insbesondere auch um negative Effekte auf Werbetreibende wie Reisewerbung innerhalb eines Artikels zu einem Flugzeugabsturz zu vermeiden.
Eine Sonderrolle kommt dem No-Consent- und Adblocked-Inventar zu. Hier muss Zielgruppenansprache neu gedacht werden. Die Folge sind Lösungen wie Choice Driven Advertising, bei dem der User selbst aus einer Reihe möglicher Werbeclips auswählt, was ihn anspricht.
Schluss mit German Angst
Der Markt muss jetzt aufpassen, nicht an Geschwindigkeit zu verlieren, sei es aus Angst vor Neuem, schlichtem Unwissen oder Trägheit. Wie aufgezeigt, gibt es genügend und mittlerweile auch ausreichend skalierte Lösungen, die auf ihren Einsatz besonders auf der Demand-Seite warten. Und ja, bei der ein oder anderen Lösung muss man gelernte Pfade verlassen.
Der Markt ist bereit für die Zielgruppenansprache der Zukunft. Let’s move fast, test, fail, learn and prevail! Raus aus der Sackgasse, Schluss mit German Angst!
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