Alternative ID-Lösungen gelten als mögliche Kandidaten, um die Aufgabe des Third-Party-Cookies zu übernehmen, wenn Google 2024 den Stecker in Chrome zieht. In “cookiefreien” Umgebungen wie Safari oder Firefox können sie heute bereits Adressierbarkeit für Werbung herstellen, doch der Anbieter-Markt ist fragmentiert und die Reichweiten sind wenig transparent. Bisher liefern nur erste Pilot-Projekte Anhaltspunkte, um deren Praxistauglichkeit einzuschätzen. Für Media-Agenturen macht das die Kampagnenplanung nicht einfacher.
Aktuell gibt es eine Reihe von vielversprechenden ID-Lösungen am Markt. „Jede dieser Lösungen hat ihre Vor- und Nachteile, aber alle befinden sich noch mehr oder minder in einer Testphase“, sagt Heidi Saers, Head of Programmatic & Platform Media bei Plan.Net. Bisher wurden in der Agenturgruppe Kampagnen mit IDFusion und ID5 geschaltet. Zudem konnten aussichtsreiche Kampagnen vor allem mit der NetID umgesetzt werden. So hat die ebenfalls zur Serviceplan-Gruppe gehörende Mediaplus kürzlich eine Kampagne für den ADAC mithilfe der NetID ausgesteuert und dabei die Reichweiten der drei Vermarkter Ad Alliance, Media Impact und United Internet Media kombiniert. So war es der Agentur auch möglich, die Kontaktklassen Vermarkter-übergreifend zu optimieren. Durch die Kombination der drei Vermarkter konnten immerhin 700.000 Ad Impressions ausgespielt werden, die 340.000 Unique User erreichten.
Erste Tests sind vielversprechend
Bei Havas Media zählen neben etablierten Ansätzen wie dem semantischen Targeting und der Verwendung von Second- und First-Party-Daten auch alternative ID-Lösungen auf dem Programm, um Adressierbarkeit für Werbemaßnahmen herzustellen. Mithilfe des Identifiers ID5 sowie ausgewählter Inventarpartner für Cookieless-Targeting wurden zum Beispiel bereits User in den Browsern Safari und Firefox erfolgreich angesprochen. „Auf diese Weise konnte eine zusätzliche Reichweite von 16 Prozent der Nutzer erzielt werden, die mit einem normalen Cookie-basierten Ansatz nicht erreicht worden wäre“, sagt Marie Schell, Director Programmatic Media von Havas Media Germany. Diese ersten Tests dienten als “Proof of Tech”, um die Grundlage für künftige Tests von weiteren ID-Anbietern zu schaffen. „Wir planen, noch weitere ID-Lösungen ebenfalls zu testen, da der Markt noch sehr fragmentiert bleibt. Diese Tests dienten als erste Bewertung und helfen uns, künftige Tests systematisch anzugehen“, sagt Schell.
Auch bei der Omnicom Media Group beobachtet man die aktuellen Entwicklungen genau. „In der Praxis sind ID-Lösungen leider noch nicht etabliert, daher können wir nur punktuell Reichweite aufbauen“, sagt Matthias Cada, Managing Director bei Annalect. Grund ist die Fragmentierung der ID-Lösungen, das bedeutet, dass sich sowohl Demand- als auch Supply-Side noch nicht für einen Standard entschieden haben. „Auch Advertiser und User, die zum Beispiel einen Consent samt ID (E-Mail) an die Plattform übergeben, sind noch zögerlich“, sagt Cada. Dies liege an der Komplexität des Marktes, Datenschutzbedenken und teils fehlenden Mehrwertes für Endkunden. Bei der Omnicom Media Group hat man alle Lösungen aktiv getestet, „da wir stark an die Substitutionskraft von First-Party-Daten gegenüber dem Cookie glauben. Ziel ist diese als festen Bestandteil für Addressable Media zu nutzen, das Potenzial zeigen unsere Tests und Case Studies“, sagt Cada.
Starke Zunahme von UID auf The Trade Desk Plattform
Eine der zahlreichen IDs am Markt ist das Open-Source-Projekt Unified ID 2.0, initiiert von The Trade Desk. Der Adtech-Anbieter ist bewusst an große Infrastrukturanbieter wie Snowflake, Amazon oder Salesforce herangetreten, um möglichst einfach und im großen Stil Unified IDs zu generieren. Laut Lukas Fassbender, VP DACH bei The Trade Desk, hatte das Unternehmen zum Ende Q4 2022 knapp 15 Prozent aller Datenangebote auf seiner Advertising-Plattform bereits mit einer UID versehen. „Wir erwarten, dass sich das bis Mitte dieses Jahres auf 75 Prozent erhöht“, sagt Fassbender. Um die Reichweite zu vergrößern und vor allem den Markt zu vereinheitlichen, arbeitet The Trade Desk beispielsweise mit Liveramp zusammen – so können Kunden dort sowohl eine Liveramp-ID als auch eine UID generieren. „Das Potenzial der Zusammenarbeit der offenen Anbieter ist immens. Wir sprechen mit allen Parteien“, sagt Fassbender.
Für den europäischen Markt möchte der Adtech-Anbieter die European UID etablieren, die ebenfalls auf dem Framework der UID basiert, aber die strengen Datenschutzanforderungen in der EU berücksichtigt. In Europa ist man für diese ID zunächst mit zwei Advertisern und zwei Publishern gestartet. In einer ersten Alpha-Phase sollen die Funktionalitäten getestet werden. Fassbender geht davon aus, dass es nie eine einzige ID-Lösung für den gesamten digitalen Werbemarkt geben wird, vielmehr werde sich eine handvoll verschiedener IDs im Markt bewähren.
ID-Markt weiter in Bewegung
Wer bei den ID-Lösungen im Markt heute bereits die Nase vorn hat, lässt sich bisher nur schätzen. „Es ist schwierig, eine genaue prozentuale Markt-Aufteilung der verschiedenen ID-Lösungen zu bestimmen, da die Daten nicht öffentlich zugänglich sind“, erläutert Saers. Die Verbreitung variiere je nach Region und Marktsegment stark, aber es verteile sich nicht nur auf die Big-Tech-Unternehmen Google, Amazon und Meta.
In Deutschland dürfte laut Saers NetID als gemeinsame Lösung von deutschen Verlagen mit mehr als 100 angeschlossenen Websites, darunter auch sehr viele der größten Newsportale, führend in der zu erreichenden Reichweite sein. Auch ID5 sieht sie vorn, einen globalen Anbieter, der mit einer Vielzahl von deutschen Publishern, SSPs und DSPs zusammenarbeitet, um hier eine reibungslose Integration von First-Party Universal Identifiern (FPUIDs) zu ermöglichen. „Mit Spannung werden auch die weiteren Entwicklungen zu TrustPiD, bei dem es sich um ein Joint Venture der europäischen Mobilfunkanbieter Orange, Telefónica, Vodafone und Telekom handelt, verfolgt, da hier großer Reichtum an First-Party-Daten liegt“, so die Expertin. Hier hat nun die EU-Kommission der Gründung zugestimmt und sowohl Telekom als auch Vodafone haben schon die ersten Testkampagnen mit pseudonymisierten Nutzerkennungen geschaltet. „Es bleibt abzuwarten, wer sich in Zukunft durchsetzen kann und weitesten verbreitet sein wird“, sagt Saers.
Fragmentierung bereitet Agenturen weiter Kopfzerbrechen
Die größte Herausforderung aus der Media-Sicht bleibt also nach wie vor, mit welchem einzelnen Anbieter man die größte Reichweitenabdeckung bekommt und somit eine gute Skalierung. „Aus technischer Sicht müssen die ID-Anbieter möglichst kompatibel sein mit den Systemen wie DSPs oder Dataprovidern, um agnostisch arbeiten zu können“, sagt Martin Popoff, Head of Ad Operations & Tracking bei Havas Media Germany. Der Datenschutz ist dem Experten zufolge eine weitere Komponente, die für einen Advertiser wichtig ist. „Es müssen neue Trackings vom Datenschutz freigegeben und auf der Seite verbaut werden. Die Gefahr bei den Lösungen ist, dass sie versuchen, einen Cookie mit anderen Methoden nachzustellen, was gegebenenfalls rechtlich irgendwann infrage gestellt wird oder aber Tech-Provider wie Apple versuchen werden, dies zu unterbinden“. Damit zeigt sich im digitalen Marketing einmal mehr: Das Ziel ist klar, der Weg bleibt spannend, das Ende ist allerdings weiter ungewiss.
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