Kaum ein anderes Thema ist aktuell so präsent wie Connected TV (CTV) und die damit einhergehenden Chancen für die Werbeindustrie. Die Nutzung ist vorhanden, denn die Verbraucher verbringen immer mehr Zeit mit dieser Form des digitalen Bewegtbildes. In einer aktuellen Studie untersuchte die technologieorientierte Vermarkterin Goldbach Germany die Verbreitung von CTV und die Wahrnehmung von Werbung innerhalb dieses Umfeldes. ADZINE hat mit Mario Neumann über die Ergebnisse sowie über die übergeordneten Entwicklungen im CTV-Bereich gesprochen.
ADZINE: Hallo Mario! Die “Advanced TV-Studie” wurde nun zum sechsten Mal von euch erhoben. Wie hat sich die CTV-Nutzung in den letzten sechs Jahren entwickelt?
Mario Neumann: Von 2017 bis 2022 ist die CTV-Nutzung sprunghaft angestiegen. Wir sehen nahezu eine Verdopplung in der wöchentlichen beziehungsweise regelmäßigen und täglichen Nutzung. Die Pandemie mit einem Mehr an Inhouse-Medienkonsum hat noch einmal zu stärkerem Wachstum und Bekanntheit geführt. CTV ist also in der Breite werberelevanter Zielgruppen angekommen.
ADZINE: Im Vergleich zu Großbritannien oder den USA befindet sich der CTV-Markt hierzulande aber immer noch im Aufbau. Warum hinkt der DACH-Raum hinterher?
Neumann: Dass der deutsche Markt vermeintlich hinterherhinkt, kann ich so pauschal nicht bestätigen. Die Märkte sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten und Marktbedingungen gestartet. So waren die USA schon immer ein Kabelmarkt mit einer großen Vielfalt an privaten Anbietern und auch die technischen Rahmenbedingungen waren viel eher gegeben. Streaming befindet sich dort mit dem TV-Markt auf Augenhöhe. Insgesamt ist dieser Markt so rasant gewachsen, dass die Werbekunden frei dem Motto „Media money follows reach“ gefolgt sind.
CTV in Großbritannien unterscheidet sich meines Erachtens nicht wirklich stark von uns, lediglich das Kapitalisierungsvolumen ist aufgrund des größeren Markts höher. Die Veränderung in der Mediennutzung und ihre Auswirkungen sind uns sehr ähnlich. Auffällig ist hierbei allerdings, dass beim Thema Streaming-Reichweite die BVOD- und SVOD-Inhalte noch sehr stark im Vordergrund stehen – und weniger die Anbieter von werbefinanzierten Inhalten.
ADZINE: Was glaubst du, wann wird die CTV-Nutzung die des linearen TV überholen? Wird CTV lineares TV komplett verdrängen?
Neumann: Eine Verdrängung ist nicht zu erwarten. Wir werden meiner Meinung nach ein Miteinander erleben, weil beide Systeme nach wie vor ihre Berechtigung in der Medienlandschaft haben. So wird es immer Haushalte geben, die über Kabel oder Satellit empfangen werden. Ebenso wird es immer Content geben, der in einer linearen Weise angeboten wird. CTV- und lineare Anbieter werden aber immer stärker zusammenwachsen. Die Herausforderung für die Branche hier: Ein verändertes Mediennutzungsverhalten muss auch messbar und buchbar werden. Der Markt wird aber sicherlich eine Konvergenz schaffen, der CTV und linear integrieren wird. Für Mediaplaner wird dies hochspannend werden.
ADZINE: Es kommen immer neue, werbefinanzierte Streaming-Anbieter auf den deutschen Markt. Wie ist deine Einschätzung, haben wir den Peak erreicht? Wird es hier zunehmend zu Übernahmen und Verschmelzungen von Anbietern kommen?
Neumann: Der Peak, denke ich, ist noch lange nicht erreicht. Da wir in einem Special-Interest-Kosmos sind, wird es immer wieder Publisher geben, die eine neue und weitere Nische besetzen oder zusätzlichen Content anbieten werden. Begrenzungen wird es vermutlich bezüglich der Kapazitäten der Plattformen sowie der Auffindbarkeit der Inhalte geben. Hier wird eine Konsolidierung stattfinden müssen, um es für alle Parteien einfacher zu machen – auch in der Werbevermarktung.
ADZINE: Wird es nicht hier auch irgendwann dazu kommen, dass Verbraucher genervt sind, weil das Werbevolumen im CTV-Bereich so stark zunimmt? Aktuell klingt es ja immer danach, als wäre CTV-Werbung das gelobte Land.
Neumann: Zuschauer sind bekanntlich von nicht relevanter und zu viel Werbung genervt. Deshalb ist es so wichtig, dass Werbung passt und gut dosiert ist. Laut unserer diesjährigen Studie akzeptieren 60 Prozent der 16- bis 49-Jährigen Werbung im CTV-Umfeld. Knapp ein Drittel der Befragten gab an, sich an Werbung zu erinnern und mit Freunden darüber zu unterhalten. Werbung würde von 70 Prozent der User in der Zielgruppe von 30- bis 49-Jährigen akzeptiert, wenn Inhalte im Gegenzug kostenlos wären.
Die Digitalisierung und die damit verbundenen Funktionen haben zu einer neuen Art von Werbekonsum geführt, der die gesamte Medienlandschaft beeinflusst. Wir sehen eine regelrechte Dynamisierung des Werbeblocks. Hier wird CTV natürlich auch lineares TV beeinflussen. Und das bietet neue Wege für Werbung, insbesondere in der Ansprache von Zielgruppen. Targeting, Umfeld und Attention sind hier die neuen Schlüsselbegriffe, die Werbung passend zu den konsumierten Inhalten bei der richtigen Zielgruppe ohne Streuverluste ausspielt. Relevanz durch Targeting ist der USP in der CTV-Planung.
ADZINE: Aber welche Art von Werbung wollen Verbraucher im CTV-Umfeld eigentlich sehen? Welche Rolle wird der Startbildschirm hierbei spielen?
Neumann: Gute Frage – ein zentrales Thema im CTV: Verbraucher wollen vor allem relevante Werbung sehen. Werbung, die sie unterhält und reibungslos in die Device- Umgebung eingebettet ist. Hier sehen wir eine bemerkenswerte Veränderung: Der Startbildschirm wird immer wichtiger. Laut unserer letzten Studie sehen 57 Prozent der Zielgruppe im Alter von 16 bis 29 Jahren bereits beim Start die Benutzeroberfläche und steigen nicht direkt in das Programm ein. Hier entsteht also bereits die Möglichkeit für einen ersten Kontakt mit der Brand. Nicht der Sender wird gestartet, sondern die Startoberfläche des Geräts beziehungsweise des Anbieters wird gescreent.
ADZINE: In der Werbeindustrie richtet sich der Fokus zunehmend auf Attention als Messgröße. Ist die Aufmerksamkeit der Zuschauer bei CTV-Werbung höher als im linearen TV?
Neumann: Man kann davon ausgehen, dass dosierte, sehr zielgenaue Werbung im CTV-Umfeld größere Aufmerksamkeit und Resonanz hervorrufen wird. Es kann auch einen Unterschied machen, ob man unterbrochen wird von nur zwei 15-Sekunden-Spots statt eines sechsminütigen Werbeblocks. In CTV hat man passgenaue Werbung durch eingangs geschilderte Targeting- und Content-Parameter wie der Möglichkeit der Frequenz-Steuerung. Dies bietet für Werbetreibende ganz neue Möglichkeiten, im TV zu werben. Zum Beispiel kann ein Autohaus regional ausgesteuert unterschiedliche Modelle bei verschiedenen Zielgruppen bewerben. Und auch Car-Brands, um beim Automobil-Beispiel zu bleiben, können Spots für unterschiedliche Modelle einer Automarke zur gleichen Zeit in unterschiedlichen Kanal-Kontexten ausgespielt werden. Sogar innerhalb der Spots kann man ein A/B-Testing mit unterschiedlicher Dramaturgie durchführen. Und all das in Echtzeit.
ADZINE: Wie gut siehst du die deutsche Adtech-Landschaft gerüstet für den vermeintlichen Ansturm auf CTV-Werbung?
Neumann: Ich denke, sie ist sehr gut aufgestellt. Zentral ist, dass man bei aller Unterschiedlichkeit der Systeme mit allen relevanten Schnittstellen zusammenarbeiten können sollte. Dazu bedarf es eines „Universalsteckers“. Gut wird es denen gelingen, die es schaffen, die Anforderungen der „traditionellen“ Broadcaster mit den Vorteilen der Online-Planung sowie den CTV-spezifischen Merkmalen zu verknüpfen. Hier sind besonders die Adtech-Anbieter im Vorteil, die frühzeitig von der veränderten Mediennutzung profitieren und in eine Weiterentwicklung investieren konnten.
ADZINE: Vielen Dank für das spannende Interview, Mario!
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