„Wir machen Daten zur Basis aller Entscheidungen“
Sandra Goetz, 10. März 2023Als Sabine Jünger im Sommer 2021 beim E-Commerce-Riesen Otto in Hamburg-Bramfeld ihren neuen Job als Vice President von Otto Advertising antrat, ging ein Raunen durch die Branche. Schließlich ist die Wolfsburgerin keine Unbekannte. Jünger gehört gar zu den wenigen Frauen, die bereits zur Jahrtausendwende, damals bei AOL, an Bord waren und dem dynamischen Business treu geblieben sind. Weitere Stationen waren unter anderem Pinterest und Amazon. Nachdem Otto bereits Anfang des Jahres seine Datenstrategie präsentiert hat, sprachen wir mit Sabine über ihren Karriereweg, Challenges, Wirkungstransparenz, Technologiekompetenz und Schlüsselkompetenzen mit Blick auf den Fachkräftemangel.
ADZINE: Danke, dass du dir die Zeit für ein Gespräch direkt in der Zentrale genommen hast. Kommen wir doch gleich zur Sache, du bist in Wolfsburg aufgewachsen, wie ging es weiter?
Sabine Jünger: Nach dem Abitur habe ich in Göttingen BWL studiert und ein Auslandssemester an der Universität Pavia in Italien absolviert.
ADZINE: Deine Karriere startete 1999 bei AOL, weitere große Namen wie Pinterest und Amazon folgen auf deiner Karriere-Vita. Welche Position hattest du bei den zwei letztgenannten?
Jünger: Bei Amazon war ich von 2015 bis 2020 Head of Agency Partnerships Germany & Europe und davor habe ich als Head of RAFT- das heißt Retail, Automobile, Finance & Telco – Northern Europe bei Pinterest gearbeitet.
ADZINE: Was reizt dich persönlich am digitalen Marketing?
Jünger: Mich reizt die Dynamik, mit der Online-Marketing immer datengetriebener wird, und zwar entlang des gesamten Funnels. Traditionelles Marketing erschließt sich den Funnel von oben nach unten – von Upper Funnel über Mid Funnel bis hin zum Lower Funnel. Unser Pitch bei Otto Advertising ist anders.
ADZINE: Was heißt das konkret?
Jünger: Retail Media wird gedanklich zu oft nur mit dem Lower Funnel assoziiert. Die Gattung kann schon heute allerdings viel mehr. Deshalb bieten wir unseren Werbepartnern bei Otto Advertising Lösungen an, mit denen sie Kundinnen und Kunden entlang des gesamten Marketing-Funnels erreichen – quasi vom Lower Funnel bis hin zum Upper Funnel. Und zwar ohne Brüche zwischen den einzelnen Funnel-Stufen.
ADZINE: Wo siehst du aktuell die größten Herausforderungen bei Leiter:innen von Marketing-Organisationen beziehungsweise im E-Commerce?
Jünger: Die wohl größte Herausforderung im heutigen Marketingumfeld ist es, die richtigen Fragen zu stellen: Welche Informationen und Insights benötige ich als Marketingentscheider:in, um nachhaltig und effektiv über Kampagnen entscheiden zu können? Dafür muss ich verstehen, welche Entscheidungen Konsument:innen treffen, warum, wann und wo sie diese Entscheidungen treffen. Der Schlüssel dazu liegt in relevanten Daten. Deshalb nutzen wir First-Party-Daten von über 31 Millionen aktiven Nutzer-Konten der Otto Group und formulieren daraus handlungsleitende Insights für Marketingentscheider:innen.
ADZINE: Wird Marketing eher besser durch Wirkungstransparenz und Entscheidungshilfen oder eher durch Automatisierung und Prozessoptimierung?
Jünger: Das eine ist das „Was“, das andere das „Wie“. Um effektive Kampagnen auszuspielen, braucht es beides, und zwar genau in der Reihenfolge. Dann geht es darum, das Richtige zu tun, in einer erprobten, standardisierten Form. Advertiser und Agenturen können so gemeinsam skalierfähige Lösungen nutzen und damit ihre Ziele erreichen.
ADZINE: Kannst du ein Beispiel geben?
Jünger: Na klar. Nehmen wir beispielsweise unsere endemischen Werbepartner, also Partner, die ihre Produkte bei Otto verkaufen – egal ob als Lieferant oder über den Marktplatz. Um effektive Kampagnen zu planen, muss die Basisarbeit stimmen. Es ist enorm wichtig, dass die Partner ihre Angebote bei Otto ansprechend und informativ gestalten und wettbewerbsfähige Produkte und Preise für die Endkund:innen anbieten. Das funktioniert wie im stationären Handel: Erst werden die Produkte im Regal attraktiv platziert und mit einem guten Preis ausgestattet, dann können sie beworben werden. Genauso funktioniert das auch online: Das Produkt muss verfügbar sein, einen attraktiven Preis haben und alle für Kund:innen wichtigen Informationen liefern.
Dann können wir mit einer Sponsored-Display-Kampagne die Relevanz des Produktes erhöhen und mit einer Ansprache über Sponsored Product Ads ein konkretes Angebot für die Suche der Kund:innen unterbreiten. Also helfen wir unseren Partnern, die Sichtbarkeit ihrer Produkte zu steigern und dann den Kund:innen das passende Produkt anzubieten, um damit die Conversion und den ROAS zu treiben.
ADZINE: Wie wichtig ist es für Otto, Technologiekompetenz im Haus zu haben und was tut das Unternehmen, um sich diese Kompetenz ins Haus zu holen?
Jünger: Die Entscheidung für die Entwicklung eines eigenen Martech-Stacks ist früh gefallen. Als Werbetreibender haben wir die Chancen gesehen, mit unserer eigenen Technologie zum einen optimale und datengetriebene Kundenkommunikation aufzubauen und das zum anderen auch möglichst effizient zu tun. Dafür haben wir ein Publisher-Netzwerk aufgebaut, das uns direkt auf die Reichweiten der größten Vermarkter in Deutschland zugreifen lässt.
ADZINE: Welchen Vorteil bringt das?
Jünger: Durch die direkte Header-Bidding-Integration vermeiden wir Intermediäre, die wiederum jeweils einen Anteil des Werbebudgets für sich beanspruchen. Kurzum: Die Integration macht uns effizienter und effektiver. Diesen Ansatz haben wir für unsere Werbepartner in unserem Adtech-Stack ausgebaut. Auf diesem Stack vereinen wir künftig alle Kernprodukte. Das verschafft uns und unseren Werbepartnern Vorteile in der Aussteuerung und im einheitlichen Reporting.
ADZINE: Du hast einen Team-Mix von bestehenden Otto-Kolleg:innen und neuen Mitarbeitenden. Was für Schlüsselqualifikationen sind entscheidend, beziehungsweise welche Qualifikationen sind deiner Meinung nach auch noch in fünf bis zehn Jahren gefragt?
Jünger: Technische und analytische Skills sind die Grundvoraussetzung für alle Professionen in unserem Bereich. Darüber hinaus unterscheiden sich die Qualifikationen je nach Rolle: zum Beispiel suchen wir aktuell eine/n Agentur-Manager/in, der/die über langjährige Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Mediaagenturen verfügt, im Produktbereich suchen wir Manager:innen mit Datenexpertise. Wichtig bei allen Rollen ist es, unternehmerisch zu denken und gestalten zu wollen. Das ist in einer Branche, die durch technische Innovationen geprägt ist und davon lebt, mit hoher Geschwindigkeit Themen zu treiben, auch eine Frage der Einstellung. Wir machen Daten zur Basis aller unserer Entscheidungen und richten unser Handeln immer an den Bedürfnissen unserer Kund:innen aus. Dafür brauchen wir Menschen, die so arbeiten wollen. Ich bin überzeugt davon, dass wir nur im Team gewinnen können – wenn wir gemeinsam „groß denken“.
ADZINE: Wir danken dir für das Gespräch und wünschen viel Erfolg.
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