Programmatic vs. I/O – Kaum Wandel in der deutschen Vermarktung
Anton Priebe, 6. März 2023Programmatic Advertising lebt vom Dateneinsatz. Doch mit den Veränderungen in der Gesetzgebung und dem Wandel in der Datenlandschaft stehen perspektivisch weniger personenbezogene Informationen für die Auslieferung von programmatischen Werbekampagnen zu Verfügung. Daher stellt sich die Frage, wie datenbasiert Werbung in Zukunft sein muss und ob klassische I/O-Buchungen unter Publishern eine Renaissance erfahren? ADZINE hat in der Vermarkter-Welt nachgefragt, wie sich die Buchungsformen Programmatic und I/O das Inventar aufteilen und wie sich diese Aufsplittung künftig entwickeln wird.
“Allgemein sind keine drastischen Veränderungen in Sachen Programmatic Advertising zu erwarten”, meint Rasmus Giese, CEO von United Internet Media. Der Anteil der programmatischen Vermarktung blieb in den letzten Jahren “auf hohem Niveau relativ stabil”. Der OVK betitelte diesen 2022 mit 70 Prozent des Display-Werbemarkts bei einem Umsatz von 3,8 Milliarden Euro. 2021 waren es 3,6 Milliarden.
Burda Forward bietet sein Inventar schon lange komplett zum automatisierten Handel an und erwartet ebenfalls keine großen Überraschungen. “Da unsere programmatisch verkauften Flächen bereits jetzt 80 Prozent unserer Display- und Video-Umsätze ausmachen, werden wir hier sicherlich keine signifikanten Wachstumsraten mehr erzielen und weiter in die Optimierung der preislichen Sweetspots investieren”, sagt Sabrina Büchel, Executive Director von Burda Forward.
I/O für Sonderwerbeformen, Programmatic für Performance
Ob I/O oder Programmatic – “insgesamt stellen wir daher auf beiden Buchungsformen ein Wachstum fest”, gibt Norman Birke, Vice President Product bei Ströer Media Solutions, hingegen zu Protokoll. Dennoch würden sich die beiden je nach Kampagnentyp unterscheiden, daher hätten sowohl I/O als auch Programmatic als Buchungskanal ihre Existenzberechtigung.
“Wir beobachten, dass sich die Auslieferung von primär zielgruppenorientierten und performanceorientierten Kampagnen schrittweise auf den Bereich des Programmatic Advertising verlagert hat”, erklärt Birke. Für I/O spielen speziell Sonderwerbeformen eine große Rolle. “Von Kunden und Agenturen bekommen wir regelmäßig das Feedback, dass der Einsatz von neuen und innovativen Sonderwerbeformen und eine umfeldorientierte Auslieferung über die heute eingesetzten DSPs nur schwer möglich ist.” Dabei würden einige Kampagnenansätze gerade auf einer umfeldorientierten Auslieferung basieren, die so nicht realisierbar ist. Darüber hinaus biete nur der I/O-Bereich die Flexibilität, den vollen Umfang an Sonderwerbeformen und integrativen Buchungsoptionen, wie zum Beispiel Advertorials, wahrzunehmen.
Anstieg von I/O-Buchungen in 2023?
“Wir sehen daher gerade auf den Tagesfestplatzierungen und Sonderwerbeformen weiterhin eine sehr starke Nachfrage über klassische I/O-Buchungen, ergänzt durch Programmatic Guaranteed Deals und erwarten dies auch für 2023”, so Birke. Diese Beobachtung teilt Burdas Sabrina Büchel. Das Medienhaus bemerkt seit Mitte 2022 den Trend hin zu einer erhöhten Nachfrage nach Tagesfestplatzierungen auf den bekannten Marken mit hohen Tagesreichweiten.
Wird die Buchungsform I/O an sich also wieder beliebter? Der Anteil der I/O-Buchungen war bisher relativ stabil, sagt Rasmus Giese, und die sogenannte Corona-Delle scheint ausgeglichen – mehr aber auch nicht. “Erfreulicherweise sehen wir in manchen Branchen eine gewisse Rückkehr zur Normalität: Die Lieferengpässe in der Automobilindustrie sind zu einem Großteil überwunden, die Tourismusbranche kaum noch durch Corona-Beschränkungen betroffen. Da diese Segmente vielfach auf großflächige Werbemittel und Premium-Inszenierungen durch Events setzen, verzeichnen wir speziell in diesen Bereichen wieder mehr klassische I/O-Buchungen”, so der UIM-Chef.
Analog dazu schätzt Büchel die Lage ein. “Wir glauben nicht, dass der I/O-Anteil in 2023 signifikant steigen wird”, meint die Programmatic-Expertin von Burda. Das liegt aber eher daran, dass der Verlag schon jetzt unterschiedliche Cookieless-Lösungen programmatisch zur Verfügung stellt und weiterhin an Alternativen feilt. “Wir arbeiten gerade gemeinsam mit dem OVK und BVDW an der Entwicklung neuer Standards für kontextuelles Targeting und Audience-Segmente, die hervorragend anstelle von Third-Party-Cookies programmatisch genutzt werden können”, sagt Büchel.
Ähnliche Strukturen im TV-Universum – Hauptsache einfach
Abseits der Desktop- und Mobile-Umgebungen sind I/O wie Programmatic ebenso gesetzt. “Ich bin überzeugt, dass es immer einen Platz für I/O geben wird, wenn es um das Premium-Inventar der Broadcaster oder um Marken-Inszenierungen geht”, meint Oliver Vesper, Chief Digital Officer und Deputy CEO der RTL Ad Alliance. Er sieht generell auf der Demand-Seite einen Fokus auf den großen Screen, auf aussagekräftige First-Party-Datensätze und eine wachsende Komplexität bei der Bereitstellung skalierbarer Kampagnen. “Damit steigt auch der Wert einer detaillierten Beratung für die Käufer bei der Einrichtung und Auslieferung ihrer Kampagnen”, so Vesper.
Das I/O-Segment werde heute bereits durch zahlreiche Optimierungstools unterstützt. Die Kampagnenergebnisse würden daher kaum Performance-Unterschiede aufweisen, zum Beispiel mit Blick auf Durchsichtraten, Brand Safety, Viewability oder Audience-Audit. “Der Vorteil einer automatisierten Media-Einkaufsstrecke entfällt allerdings, das zeigt sich zum Beispiel bei einer großen Produktpalette, die beworben wird oder bei stetigen Änderungen in Mengen-Tableaus wie zum Beispiel im FMCG-Segment.” Der allgemeine Trend in der Buchung ginge unabhängig von der Form hin zu “so einfach und skalierbar wie möglich”, besonders im internationalen Vertrieb.
Dieser Artikel ist Teil einer Serie. Teil I bietet eine kurze Übersicht über die technologischen Baustellen der Digitalvermarkter. Teil II widmet sich den First-Party-Datenstrategien und Cookie-Alternativen der verschiedenen Player.
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