Eines der Mantras im Marketing lautet wohl, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Nutzerzentrierung, Kundenorientierung oder neudeutsch “Customer Centricity” ist jedoch nicht nur eine strategische Aufgabe, sondern auch eine technologische. Diese wird umso schwieriger, wenn es um die Verknüpfung der Offline- und Online-Welt geht. Bei solchen und ähnlichen Fragen kommt IBM iX ins Spiel, eine globale Digitalagentur, die bis 2022 durch Aperto und Ecx.io im deutschsprachigen Markt aktiv war. Das Führungsduo von IBM iX, bestehend aus Tanja Waldeck und Jens Sulek, spricht im Interview über die heutigen Ansprüche an Kundenerfahrungen und den dafür nötigen Technologie- sowie Dateneinsatz.
ADZINE: Hallo Tanja & Jens, IBM iX bezeichnet sich selbst als “Beratung, Digitalagentur, Design-Studio und Tech-Company in einem”. Wieso wollen Kunden das heute alles aus einer Hand? Warum nehmen die keine Spezialisten für die einzelnen Bereiche?
Tanja Waldeck: Die Firmen, mit denen wir uns beschäftigen, sehen sich einer sehr hohen Komplexität gegenüber. Ihnen stellt sich die Frage, wie sie Kunden “end-to-end” betreuen und dabei sicherstellen, dass die digitale Ansprache immer gleich aussieht.
Dabei geht es darum, die Kundenerfahrung mit verschiedenen Daten als Unterbau abzubilden und die einzelnen Organisationseinheiten – vielleicht auch aus verschiedenen Sparten – auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und damit die Customer Experience zu optimieren. Nischenanbieter schaffen es in der Regel nicht, dies komplett umzusetzen, also von der Strategieentwicklung, über die Ausarbeitung des Designs für die Kundenansprache bis hin zur weltweiten Umsetzung.
Wir passen uns den unterschiedlichen Anforderungen der Kunden flexibel an. Manche Unternehmen haben zum Beispiel eine Digitalagentur im Haus und lassen diese einige Aufgaben erledigen. Um den Rest kümmern sich dann Spezialisten. Solche Nischenanbieter wollen aber strukturiert koordiniert werden und dafür müssen die Firmen Verantwortung übernehmen. Das kann und will wiederum nicht jede.
ADZINE: Ihr sagt, dass euer Fokus vor allem auf der “Gestaltung digitaler Experiences” liegt, “die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen.” Was sind das für digitale Experiences? Was verbirgt sich dahinter?
Waldeck: Im Prinzip meint dies jeden einzelnen Berührungspunkt, den ein Kunde im Sinne der Customer Journey mit einem Unternehmen hat.
Jens Sulek: Richtig, an jedem Punkt der Customer Journey steht der Mensch im Mittelpunkt – bei der E-Commerce-Plattform Alles.Auto zum Beispiel ist das der Autohändler und der Endkunde. Gemeinsam mit Alles.Auto haben wir eine ganzheitliche Plattform für Fahrzeugtransaktionen entwickelt. Hier werden erstmalig die Angebote des stationären Autohandels in die digitale Welt transportiert und an einem zentralen Ort gebündelt. Endkunden können vom Autokauf und -verkauf bis hin zur Buchung von Werkstatt-Terminen und Services alles online erledigen. Autohändler können eine anpassbare White-Label-Lösung für eine bessere Onlinepräsenz in die eigene Website integrieren. Dabei ist wichtig, dass dem Nutzer immer die beste digitale Experience geboten wird, beispielsweise sollte der Kauf eines Gebrauchtwagens oder einer Dachbox so schnell und einfach sein wie auf Amazon ein Buch zu bestellen.
ADZINE: “Nutzerzentrierung” ist wohl eines der Lieblingswörter im Marketing. Was muss man sich darunter in der Praxis vorstellen? Worum geht es genau?
Waldeck: Zunächst einmal müssen wir dazu die Messlatte definieren: Die letzte, beste Erfahrung, die jemand mit einem Unternehmen gemacht hat, ist der Mindeststandard für alle kommenden. Heute geht es darum, die Kunden individuell anzusprechen und dafür werden viele verschiedene Daten benötigt. Um diese zu bekommen, brauchen Unternehmen wiederum das Vertrauen auf Kundenseite.
Wenn das Vertrauen vorliegt, teilen Kunden vielleicht ihre Lebensumstände, Vorlieben oder sogar ihren Standort mit dem Unternehmen. Das mündet in einer sehr spezifischen Ansprache und somit in einer hohen Nutzerzentrierung. Die Voraussetzung dafür ist Sicherheit, auch hinsichtlich der IT-Infrastruktur, damit Daten nicht verloren gehen. Dazu gehört ebenfalls die transparente Aufklärung darüber, was mit den Daten geschieht.
ADZINE: Wie muss ein Tech-Stack heute aussehen, der Unternehmen in die Lage versetzt, ihre Kunden bzw. potenziellen Kunden ins Zentrum zu rücken?
Sulek: Advertiser sollten sich heute einen Tech-Stack aufbauen, der aus verschiedenen Komponenten besteht. Das kommt aber ganz individuell auf die Zielsetzung der Unternehmen an. Wir beraten agnostisch und kombinieren zum Beispiel auch mal eine Adobe-CDP mit einer Komponente aus der Marketing-Cloud von Salesforce. Wir sorgen dann für die nötigen Brücken, die programmiert werden müssen.
Waldeck: Dabei ist es besonders wichtig, Dinge in Echtzeit adressieren und anpassen zu können. Der Tech-Stack muss Daten direkt auswerten können, um ein entsprechend angepasstes Angebot zurückzuspielen. Früher wurden Werbemittel für eine Kampagne einmal festgelegt und laufen gelassen. Heute funktioniert das nicht mehr. Dafür kommt häufig KI ins Spiel, die es vor zehn Jahren vielleicht noch gar nicht gab.
ADZINE: Was gibt es innerhalb der Architektur bei der Verarbeitung der Daten zu beachten?
Sulek: Mit dem Shift von Third- zu First-Party-Daten wird ein sauber aufgesetztes Consent-Management sehr wichtig. Viele unserer Kunden bauen Analytics-Einheiten auf, um Daten inhouse bearbeiten und auswerten zu können. Auch Data-Clean-Rooms, um Datengenauigkeit zu verbessern, spielen eine zunehmend wichtige Rolle.
ADZINE: Wie gehen Unternehmen an den Aufbau von First-Party-Daten strategisch ran?
Sulek: Die Unternehmen sollten den Kunden gegenüber offen kommunizieren, dass sie Daten sammeln und ihnen auch den Mehrwert aufzeigen. Wenn sich ein Nutzer beispielsweise auf dem Kundenportal einer Website zu erkennen gibt, dann muss das Portal einen so großen Nutzen bieten – also eine so personalisierte Erfahrung oder besseres Angebot liefern –, dass es sich für ihn lohnt. In der Autoindustrie könnte dies etwa die Konfiguration eines Autos sein, die ein Nutzer im Kundenportal speichert und später verändern oder mit anderen teilen kann.
ADZINE: Inwiefern hat sich das Thema Nutzerzentrierung im Laufe der Zeit gewandelt und wohin entwickelt es sich in Zukunft?
Waldeck: Früher war sie physisch zu spüren, etwa im Ladengeschäft oder beim Autohändler, heute verlagert sie sich ins Digitale. Hier müssen Firmen sicherstellen, dass dazwischen kein Bruch in den verschiedenen Interaktionen mit dem Kunden entsteht. Mit perspektivisch neuen Geräten, die zusätzliche Berührungspunkte mit Unternehmen darstellen, wird es für Firmen zunehmend herausfordernder, die Daten über alle Kontaktpunkte hinweg in Realtime anzupassen und somit eine gute Customer Experience herzustellen. Sowohl der Nutzer als auch Technologie und Unternehmen befinden sich im stetigen Wandel. Es gilt, sich jederzeit schnell anpassen zu können.
ADZINE: Danke für das Interview!
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