Angesichts düsterer Vorzeichen wie Inflation und drohender Rezession drücken viele Unternehmen auf die Bremse und sparen Marketingbudgets ein. Die im Voraus sauber ausgearbeitete Werbestrategie scheint vergessen, wenn das Geld knapper wird. Auch in Deutschland ist diese Unsicherheit aktuell zu spüren, was Marketingverantwortliche dazu zwingt, genauer auf die Budgets zu schauen. Dabei treibt sie die Frage um, was gekürzt werden darf und was nicht. Maren Seitz vom Analyseunternehmen Analytic Partners und Ron Warncke von der Mediaagentur Carat Hamburg nahmen dies zum Anlass, um in einer ADZINE-Live-Folge über Marketingstrategien in Krisenzeiten zu sprechen. In diesem Rahmen nannten sie fünf Erfolgsfaktoren für Werbung in schwierigen Zeiten, die Marken kennen sollten, um weiterhin ruhig und strategisch in die Zukunft schauen zu können.
In Krisenzeiten beäugen Unternehmen ihre Marketinggelder als eine der ersten Einsparungsmöglichkeiten. Dabei ist das keine gute Idee, meint Maren Seitz, Head of DACH von Analytic Partners. Marken, die in der letzten Rezession mehr in Media investiert haben, seien Analysen zufolge heute in einer besseren Position gegenüber dem Wettbewerb. Diesen Eindruck bestätigt Ron Warncke, Managing Partner von Carat Hamburg. Er weist darauf hin, dass sich Konsumenten in schwierigen Zeiten verstärkt am Preis orientieren, was beispielsweise Handelsmarken in die Karten spielt. “Wenn ich dann als Markenartikler nicht erkläre, warum ich den Preis wert bin, warum Konsumenten nicht zur preiswerteren Alternative greifen sollten, habe ich ein Problem. Nicht nur in der Krise – denn es existiert kein Automatismus, dass die Konsumenten nach der Krise wieder zum alten Muster zurückkehren.”
Doch die Marketingwelt ist von der Covid-Krise gebeutelt und Unternehmen bereiten sich gedanklich auf eine Rezession vor. Was wäre, wenn die Preise erhöht werden müssen oder Lieferketten Probleme machen? “Es ist aktuell eine sehr hohe Nervosität zu spüren”, sagt Warncke. Seitz ist der Meinung, dass das “Auf-Sicht-Fahren” aus Covid-Zeiten beibehalten wurde. Deutsche Unternehmen ließen es in puncto Marketing aktuell langsam angehen. Umso mehr geht es für die Verantwortlichen darum, das Beste aus dem verbliebenen Budget herauszuholen.
Fünf Erfolgsfaktoren für Werbung in der Krise
1. Multi-Channel- statt Single-Channel-Marketing
Der Einsatz mehrerer Kanäle für Werbemaßnahmen funktioniert generell besser als einzelne. Mehr Medienkanäle machen das Marketing effizienter, sagt Maren Seitz, weil Synergien einen großen Teil zur Werbewirkung beitragen. So strahlt TV-Werbung beispielsweise häufig auf andere Maßnahmen ab und erzeugt sogenannte Halo-Effekte. Seitz führt eine Case Study an, in der die Kombination von TV mit Online-Video eine Steigerung des ROI um 30 Prozent erzielen konnte im Vergleich zur Single-Channel-Kampagne. Die Mischung aus TV und Paid Search kam auf 25 Prozent. Ein einfaches Praxisbeispiel für diesen Effekt kennt jeder, der nach einer TV-Werbung schon einmal gegoogelt hat.
“Das ist ein wichtiger Treiber und wird häufig unterschätzt”, sagt Warncke. “Wir reden im Daily Business viel mehr über Themen wie beispielsweise Targeting und nicht darüber, wie viel Synergien helfen.” Punkte, die hier zum Tragen kommen, sind etwa die Erzeugung von inkrementeller Reichweite oder die Entstehung unterschiedlicher Stimuli je nach Kanal bei Erhöhung der Frequenz. Halo-Effekte auf Kanalebene sollten maximiert werden und dafür ist eine saubere Planung notwendig.
2. Qualität der Creatives hochhalten
Nach dem Budget, das in die Werbemaßnahmen gesteckt wird, ist die Qualität des Creatives die zweitwichtigste Komponente für den Erfolg der Werbung. Bei einer Videoimpression zum Beispiel werden zwei Drittel der Wirkung vom Creative getrieben, so Seitz. “Wenn Gelder nicht umgeshiftet werden können, wird das besonders wichtig”. Denn Verträge mit Partnern ließen sich trotz Krisenzeiten meist nicht so einfach ändern.
“Natürlich tut es mir als kompletter Mediamann ein bisschen weh, aber die Kreation ist natürlich der absolute Treiber einer Kampagne. Daher ist es so wichtig, Media und Kreation von Anfang an zusammenzudenken”, sagt Ron Warncke. Wenn komplexe Geschichten nicht mehr ausreichend erklärt werden können, da das Mediabudget eingespart wird, müssen sie allerdings auch manchmal einfacher werden, gibt der Agenturprofi zu bedenken. “Wenn der Druck fehlt und ich nur mittelmäßige Kommunikation schaffe, habe ich ein Problem.”
3. Brandbudgets nicht vernachlässigen
Marketer wollen oft auf kurzfristige Erfolge hinaus, um das Unternehmen über Wasser zu halten. Doch es gilt nicht nur auf kurzfristige Performance und den schnellen Abverkauf abzuzielen, sondern auch die längerfristigen Auswirkungen im Blick zu behalten, erklärt die DACH-Chefin Maren Seitz. Langfristigen Erfolg erreichen Unternehmen vor allem durch die Stärke der Marke. Sobald die vernachlässigt wird, fällt ein gewisser Grundumsatz ab und der ist besonders schwer wieder aufzubauen, sagt Seitz.
Viele Unternehmen müssen ihre Preise erhöhen, etwa weil Rohstoffe teurer werden. Das können sich nur starke Marken erlauben, betont Warncke. Außerdem würden sich Investitionen in die Marke schon relativ schnell auswirken und nicht erst in ferner Zukunft spürbar sein. Maren Seitz weist in diesem Sinne auf Kanäle hin, die besonders kurz- als auch langfristigen ROI liefern: Lineares TV, Paid Search, Digital Display und Social.
4. Szenario-Planung entwickeln
Eine Marketingstrategie, die auf verschiedene Szenarien in der Zukunft ausgerichtet ist, zahlt sich in Krisenzeiten aus. Dies können etwa Faktoren sein, wie der Anstieg des Verbraucherpreisindex, die Zunahme des Wettbewerbs oder Erhöhung der Zinsrate.
Seitz führt das Beispiel von McDonald’s an, dessen Restaurants zu Covid-Zeiten schließen mussten. CEO Mike Kempczinski sagte in einem Interview im Oktober 2022, dass die Werbeausgaben zwar heruntergefahren, aber angespart wurden. Investiert wurde verstärkt, kurz bevor die Menschen wieder in die Restaurants und Wettbewerber ihre Ausgaben ebenfalls erhöhten. Denn Werben wird teuer, wenn alle zeitgleich in der Recovery-Phase starten, ihre Werbemaßnahmen hochzufahren, weiß auch Warncke.
5. Trends kennen und nutzen
Marketer sollten Trends kennen und für sich nutzen, aber nur, wenn es Sinn ergibt. Drei Trends, die in der Werbeindustrie aktuell besonders hervorstechen und viele Fragen aufwerfen, sind Retail Media, die Zukunft von TV und neue Plattformen. “Wichtig ist es, ein Auge auf Trends zu behalten, aber auch zu schauen, ob sie zur Zielgruppe passen”, sagt Seitz. So funktioniere Tiktok beispielsweise bei älteren Zielgruppen offenbar nicht gut. Darüber hinaus können sich neue Kanäle mit der Zeit auch übersättigen und an Reiz verlieren.
Ron Warncke weist darauf hin, dass TV mit seinen derzeitigen Entwicklungen für Marken mit weniger Budget interessant wird und auch für sie Möglichkeiten zum Branding bietet. Mit Blick auf Retail Media mahnt der Fachmann jedoch zur Vorsicht. Man sollte sich fragen, ob die Sales, die hier mit Performance-Anzeigen generiert werden, nicht auch anders zustande kommen wären. In der Krise kann sich schließlich niemand leisten, mehrfach zu zahlen. “Es bringt nichts, Maßnahmen mit hineinzunehmen, um Verkäufe zu generieren, die auch so getätigt werden”, erklärt Warncke. Daher sei es besonders wichtig, ganzheitlich zu messen, um die Wirkungsbeiträge einzelner Maßnahmen sowie die Einflüsse externer Marktfaktoren isoliert betrachten zu können, meint Seitz.
Keine Kürzungen sind auch keine Lösung
Trotz des wiederkehrenden Appells, Werbemaßnahmen in schwierigen Zeiten nicht herunterzufahren, gilt dieser Rat nicht pauschal für alle Organisationen. So gibt es Sektoren, für die es nicht vorherzusehen ist, ob sie sich überhaupt jemals wieder erholen, gibt Maren Seitz zu bedenken. Andernfalls sind manche Sektoren von bestimmten Krisen gar nicht betroffen. Und dann gebe es noch die Unternehmen, die es gar nicht durch eine Krise schaffen würden. Die können ihre Werbemaßnahmen natürlich ganz einstellen.
Hier geht's zur Session "Krise kontern: Marketing und Mediaplanung in 2023" in der ADZINE Mediathek.
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