Wie klingen eigentlich 42.000 Euro, Stefan Schwehr?
Sandra Goetz, 2. Dezember 2022Musik quäkt heute meist aus datenreduzierten Handyschlitzen oder auch Tablets. Das ist nichts für sensible Ohren und schon gar nicht für Liebhaber höchster Klangqualität, wie Dr. Stefan Schwehr, Ex-Vorstand Technik und Elektronik vom Automobilzulieferer Paragon und langjährige Führungskraft der Daimler AG, zu berichten weiß. Als privater Investor, audiophiler Enthusiast und promovierter Elektroingenieur hat der gebürtige Frankfurter die von High-Endern wie Kritikern weltweit hochgeschätzte Marke Audionet wieder zum Leben erweckt. Dies tut er als neuer Eigentümer, Geschäftsführer und Halter der Marken- und Designrechte. Ein Gespräch über Mut, Sound, hochwertige Unterhaltungselektronik und warum Luxus wenig(er) Krise kennt – und keine Black Week benötigt.
ADZINE: Hallo Stefan, du hast viele Jahre bei der Daimler AG gearbeitet und warst später dann Vorstand Technik und Elektronik der Paragon AG. Wie bist du dazu gekommen, dich im luxuriösen Nischenmarkt rund um Verstärker mit Audionet selbständig zu machen?
Stefan Schwehr: Das ist eine längere Geschichte. Generell ist es keine Entscheidung gewesen, die ich über Nacht getroffen habe, diese ist gewachsen. Kurzgefasst bin ich zu meinen Wurzeln zurückgekehrt. Bei Daimler verantwortete ich unter anderem die Vorentwicklung automobiler High-End-Soundanlagen. In der Paragon AG (heute GmbH & Co. KGaA) haben wir dann zukunftsweisende, voll vernetzte Soundanlagen samt Verstärkertechnologie für die Automobilindustrie entwickelt. Dabei habe ich auf beruflicher Ebene getan, was mich bereits als Jugendlicher fasziniert hat. Ich habe schon damals gerne mit Elektronik gebastelt, in der Schule, bei den Schulfesten, war ich immer für den Sound und das Licht verantwortlich (schmunzelt).
ADZINE: Somit war das Elektrotechnik-Studium vorgezeichnet?
Schwehr: Ja, ich habe studiert, was mich interessierte und habe beruflich als Führungskraft in der Automobilindustrie und als Vorstand und Geschäftsführer der Zuliefererbranche meine Fähigkeiten einsetzen können. Gerade die 20 Jahre im Daimler-Konzern, davon 15 Jahre alleine im Herz der Entwicklung von Mercedes-Benz-PKW, waren sehr bereichernd. Hier hatte ich die Entwicklungsverantwortung für einen Großteil der Innenraumelektronik, allem voran die Bedien- und Anzeigeelemente, und später dann zusätzlich für ein neuartiges Soundsystem, das durch eine einzigartige Lautsprecherintegration in die Karosserie einen großen Teil der Soundprobleme im Innenraum beseitigt. Dennoch ist auch bei mir nach fast 20 Jahren Daimler die Frage aufgekommen, ob das alles ist.
ADZINE: Suspense. Wie geht die Geschichte weiter?
Schwehr: Ich bin 2014 in ein anderes Unternehmen gewechselt, zur Paragon AG in Delbrück, Ostwestfalen. Das ist ein Elektronikunternehmen und Zulieferer für die Automobilindustrie. Hier war ich zuletzt als Geschäftsführer tätig. Dabei reifte der Entschluss, sich unternehmerisch noch stärker zu engagieren, auch als privater Investor, und das Angestelltenverhältnis hinter sich zu lassen.
ADZINE: Wie bist du auf Audionet aufmerksam geworden und was hat dich bewogen, einzusteigen?
Schwehr: Im Rahmen unserer Aktivitäten für automobilen Sound hatten wir seitens Paragon den Kontakt zu einer renommierten Marke aus dem Home-Bereich gesucht und mit Audionet einen idealen Partner zur marketingseitigen Aufladung unserer Produkte gefunden. Für die weltweit bedeutendste Messe für höchstwertige Unterhaltungselektronik, der High End in München, rüsteten wir 2017 gemeinsam einen eigenen Porsche Cayenne mit der modernsten und leistungsfähigsten Soundanlage aus. Mit 34 im Interieur verbauten Lautsprechern erzielten wir ein 3D-Sounderlebnis auf allen Sitzplätzen. Somit war der Kontakt schon vorhanden. Leider musste die Muttergesellschaft von Audionet in 2018 Insolvenz anmelden. Dies war dann die Gelegenheit, den Mut zu fassen, und die Marke Audionet wieder aufzubauen und erfolgreich zu machen.
ADZINE: Der Start war 2019, 2020 kam die Pandemie, mit dem Ukraine-Russland-Krieg wurde die Welt noch unruhiger und wir stehen vor einer Rezession. Wie ist es dir und dem Unternehmen seitdem ergangen? Konntest du die Mitarbeitenden halten?
Schwehr: Nun, zunächst habe ich Anfang 2019 mit den erfahrenen und bewährten Mitarbeitenden der Vorgesellschaft den Start der Audionet GmbH gewagt, mit insgesamt erstmal fünf festangestellten Mitarbeitern und mehreren Externen. Nach 2019, das unser schwerstes (Start-)Jahr war, ging es trotz, oder vielleicht auch wegen der Pandemie gut bergauf und wir konnten unseren Umsatz gegenüber 2019 bis Ende letzten Jahres um mehr als 40 Prozent steigern. Seit Mitte dieses Jahres ist weltweit durchaus eine Zurückhaltung zu spüren, die jedoch in dem von uns adressierten Luxussegment erfahrungsgemäß bei weitem nicht so stark ausfällt, wie im Bereich der günstigeren Produkte dieser Art. Gleichzeitig ist die Mitarbeiterschaft in der Zeit auf zehn Festangestellte gewachsen, unter Reduzierung der Anzahl externer Kräfte.
ADZINE: Wie sieht der High-End-Geräte-Markt dieser Kategorie in Deutschland aus? Was macht der Wettbewerb? Und wie läuft der Vertrieb?
Schwehr: Für uns gibt es zwei bis drei Wettbewerber, die in Deutschland auf einem ähnlichen Niveau wie Audionet sind. International sind es auf dem Level auch nicht viel. Audionet befindet sich in einer Spitzengruppe von fünf bis sechs Anbietern weltweit.
Weltweit ist der High-End-Geräte-Markt dann doch von vielen Enthusiasten geprägt, die diesem Hobby und – das ist es letztendlich – über viele Jahre nachgehen und immer wieder nach dem besseren auf dem Weg zum Besten suchen. Das ist unser Kundenkreis, für den wir im Direktvertrieb weltweit unsere Produkte verkaufen.
ADZINE: Der Handelsverband Deutschland, HDE, prognostiziert ein weitgehend stabiles Weihnachtsgeschäft. In den USA ist man skeptischer, auch, was die Margen betrifft. Mit dem Black Friday am 25. November begann dort inoffiziell das Weihnachtsgeschäft. Auch in Deutschland wird das Weihnachtsgeschäft mit Black Friday, Cyber Monday und der Black Week angekurbelt. In Umfragen geben Konsumenten an, insbesondere weniger Luxusgüter, Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik verschenken zu wollen. Was heißt das für den Markt rund um High-End-Verstärker?
Schwehr: Wir kennen die Prognose, dass bei der Elektronik gespart werden soll. Das mag stimmen, muss bei Luxusgütern aber nicht zutreffend sein, wie ich eben schon anklingen ließ. Dies haben wir auch während der Hochzeit der Pandemie gesehen. Menschen mit einem gewissen finanziellen Background investieren gerne in Sachwerte wie Luxusuhren, aber auch höchstwertige Unterhaltungselektronik wie die unsrige.
ADZINE: Das heißt, so ein Verstärker ist gleichbedeutend mit einer Luxusuhr?
Schwehr: 100-prozentig lässt sich das nicht übertragen, da Uhren, auch aufgrund ihrer geringen Größe und Handlichkeit, häufig als Sammlerstück gekauft und gehandelt werden. Ein Verstärker unserer Preisklasse ist dann einerseits doch mehr Nutzobjekt mit großem Gestaltungswert für die häusliche Innenarchitektur. Dieser verliert nicht an Wert, sondern gewinnt eher. Andererseits ist das kein Verstärker von der Stange, hier sitzen Experten mehrere Tage, wenn nicht gar Wochen daran, um diesen zu bauen. Dabei wird das Gerät erst nach den ersten 50 bis 200 Stunden immer besser. Der Verstärker muss sich sozusagen lange warmlaufen, damit der Stromfluss die Eigenschaft der Elemente klanglich ins Optimum bringt. Das kann man auch messen.
ADZINE: Audionets teuerster Vollverstärker liegt bei 42.000 Euro. Gibt es auch was darunter?
Schwehr: Sicher. Wir haben zwei weitere Verstärker mit Listenpreis knapp unter 8.000 Euro und 14.500 Euro.
ADZINE: Eure Zielgruppe ist überschaubar, in Deutschland gibt es etwa 80.000 Personen, die das Interesse hätten, sich die Extravaganz eines hochklassigen High-End-Produkts zu kaufen – wobei es, wenn, nicht beim Verstärker bleibt. Wie sprecht ihr eure Zielgruppe an?
Schwehr: Anfangs haben wir klassische Werbung unter anderem im Spiegel und in der Zeit geschaltet. Das funktionierte aber nicht für uns, das ist nicht das richtige Umfeld. Wir setzen einerseits weiterhin auf B2B-Werbung in Fachmagazinen wie Stereo, Audiotest, Image Hifi und ähnlichen AV-Medien und ganz besonders auf Social Media, allen voran Facebook. Das läuft gut.
ADZINE: Du lebst noch immer in Stuttgart, dein Unternehmen hat den Firmensitz in Berlin. Somit ist Pendeln angesagt?
Schwehr: Ja, das bin ich gewohnt, und natürlich auch meine Frau. Beate ist CIO bei DB Schenker Deutschland. Wir sind sehr jung, mit Anfang/Mitte zwanzig Eltern geworden, unsere Kinder sind daher schon lange aus dem Haus. Den Schritt mit Audionet haben meine Frau und ich gemeinsam getroffen, es ist unsere gemeinsame Investition.
ADZINE: Gibt es Möglichkeiten, die Klangkunst vor Ort zu hören?
Schwehr: Das können Interessierte in unserem Berliner Klangstudio machen oder in Hamburg und Hamm, wo wir weitere eigene Studios eingerichtet haben. In Hamburg lebt auch unser Marketingverantwortliche.
ADZINE: Letzte Frage: Wie klingen eigentlich Verstärker für 42.000 Euro?
Schwehr: Mit Worten ist das Klangerlebnis nur schwer zu beschreiben, hier kommen Begriffe wie Authentizität, Bühne, Transparenz, Klarheit, Position der Instrumente und vieles mehr zum Tragen. Vielleicht vergleichbar mit der Beschreibung des Geschmackserlebnisses erlesener Weine. Aber eines kann ich aus Erfahrung versprechen: Am Anfang stand für alle unsere Kunden nach dem Besuch des Klangstudios die Erkenntnis „so habe ich Musik ja noch nie gehört“.