Megatrend Cookieless Targeting – Wohin geht die Reise?
Karsten Zunke, 5. Dezember 2022An diesem Thema kommt auch im Jahr 2023 niemand vorbei: Cookieless Targeting. Die Third-Party-Cookies schwinden, gleichzeitig schränken striktere Datenschutzverordnungen die gezielte Ansprache der Konsumenten ein. Während sich die US-Tech-Riesen mit ihren Walled Gardens in einer bequemeren Situation befinden, tüftelt die Adtech-Landschaft zunehmend an Alternativen für die Zielgruppenansprache. ADZINE hat sich in der Branche umgehört, wohin die Targeting-Reise im kommenden Jahr gehen könnte.
Während so mancher Marketer seinen Drittanbieter-Cookies nachtrauert, sind die meisten Adtech-Firmen voller Optimismus. Bei Quantcast beispielsweise sieht man die aktuelle Entwicklung als eine klare Chance. Schon heute surfen mehr als die Hälfte der deutschen Internetnutzer in Umfeldern ohne Third-Party-Cookies durch Browser wie Safari oder Firefox. „Wenn wir es als Branche schaffen, durch Third-Party-Cookieless-Lösungen diese Umfelder erfolgreich zu erschließen, eröffnen sich dadurch neue, inkrementelle Zielgruppen für Werbungtreibende“, sagt Sara Sihelnik, die bei Quantcast für die DACH-Region verantwortlich ist. Darüber hinaus stellt der Wegfall der Third-Party-Cookies aus ihrer Sicht für alle Teilnehmer des programmatischen Ökosystems eine Chance dar „wieder näher zusammenzurücken und neue Branchenstandards zu definieren, um auch in Zukunft relevante, nutzerfreundliche und datenschutzkonforme Werbung auszuspielen.“ Das Ziel dabei sei es, nicht nur programmatische Kampagnen cookieless über verschiedene Kanäle zu aktivieren, sondern, dass auch ein kanalübergreifendes Tracking und holistische Attributionen möglich sind.
„Cookieless Targeting im Open Web sollte auf einer interoperablen Multi-Signal-Lösung aufbauen“, sagt Sihelnik. Damit meint die Expertin, dass das Third-Party-Cookie nicht durch ein einziges alternatives Signal (zum Beispiel nur eine Login-basierte ID) ersetzt werden sollte, sondern auf mehrere Signale wie First-Party-Daten, kontextuelle Signale, IDs, Kohorten, Geo-Location, Device-Typ et cetera aufbauen und auch interoperabel mit den jeweils unterschiedlichen Anbietern dieser Signale sein sollte. Bereits jetzt ist die große Herausforderung nicht nur das Targeting, sondern auch das Tracking und die Attribution kanal- und anbieterübergreifend ohne Third-Party-Cookies hinzubekommen.
2023 könnten also spannende Entwicklungen im Targeting anstehen. Neben der Anforderung, dass Targeting-Lösungen zukunftssicher sein müssen, wächst bei Werbungtreibenden der Druck, alle Marketingaktivitäten nachweisbar und messbar zu machen. „Der Fokus auf Performance-ausgerichteten Targeting-Lösungen wächst, bei dem die Akquisitionskosten profitabel sein müssen. Darüber hinaus verlangen Werbungtreibende auch klare Messbarkeit bei dem Branding, sprich Upper- und Mid-Funnel-Maßnahmen, und das idealerweise kanalübergreifend“, sagt Sihelnik.
Mehr Investitionen in Daten und Targeting-Alternativen
Beim Identity- und Datenplattform-Anbieter Zeotap beobachtet man, dass vorausschauende Publisher und Werbetreibende ihre Targeting-Strategien bereits umgestellt und alternative Lösungen implementiert haben, die sich mehr und mehr auf Zero- und First-Party-Daten konzentrieren. Nach Einschätzung von Stefan Blumenthal, verantwortlich für Zeotaps CDP und Identity-Lösungen in DACH, erfordert dies hochwertige Kundendaten durch verschiedene Marketingaktivitäten zu generieren, zum Beispiel Loyalty-Programme, eigene Apps, Kampagnen zur Lead-Generierung und vieles mehr. „Die, wenn sie gut orchestriert sind, nicht nur dabei helfen, Third-Party-Cookies zu ersetzen, sondern auch eine großartige Möglichkeit darstellen, die Datenerfassung zu verbessern, um präzisere Daten zu erhalten, die zu einem besseren Targeting führen.“ Um dieses Ziel zu erreichen, müssen aus Sicht des Experten alle gesammelten Daten vereinheitlicht und effizient aktiviert werden, damit sie für eine personalisierte Kundenkommunikation genutzt werden können.
„Ich denke, dass Daten auch im Jahr 2023 eine große Rolle beim Targeting spielen werden. Definitiv weniger Third-Party-Daten, sondern mehr und mehr die effiziente Nutzung von First-Party-Daten.“ Werbetreibende wollen ihre Kunden in Walled Gardens gezielt ansprechen; Einzelhändler konzentrieren sich zunehmend auf Retail Media. Blumenthal geht davon aus, dass Werbetreibende und Publisher im kommenden Jahr weiter in Kundendatentechnologie investieren und verstärkt cookielose Targeting-Alternativen testen werden, zum Beispiel Universal IDs – eine Einschätzung, die viele Marktbeobachter teilen. Und die universellen IDs sind nicht nur für Display eine Alternative.
Konsolidierung bei Universal IDs erwartet
„Für das kommende Jahr erwarten wir, dass die mobile Landschaft ein wichtiger Schwerpunkt für die Einführung von Universal-IDs sein wird“, sagt Joanna Burton, Chief Strategy Officer beim ID-Lösungsanbieter ID5. Der Hintergrund: Mobile Werbe-IDs haben nur noch eine begrenzte Lebenserwartung. Apple hat bereits die Funktionalität von Identifier for Advertisers (IDFA) eingeschränkt und Google wird wohl in weniger als zwei Jahren mit Google Advertising ID (GAID) dasselbe tun. „Der Bedarf an einer alternativen Lösung ist also so groß wie nie zuvor“, ist Burton überzeugt.
Entsprechend lebhaft entwickelt sich der ID-Markt, in dem verschiedene Lösungen universeller IDs wetteifern. Universelle Identifikatoren haben anfangs nur einen begrenzten Wert, doch mit zunehmender Akzeptanz durch Verlage und Technologieplattformen steigt dieser Wert erheblich. „Obwohl es ‚viele‘ verschiedene Anbieter gibt, haben nur eine Handvoll Identifikatoren den Umfang und die Akzeptanz erreicht, die notwendig sind, um ein effizienter Ersatz für Cookies von Drittanbietern zu werden“, sagt Burton. Die Expertin geht daher davon aus, dass sich der Markt allmählich konsolidieren und einigen wenigen Anbietern den Weg ebnen wird, um sich als Branchenstandard zu etablieren. „Für die Werbetreibenden wird die Konsolidierung des Marktes auf eine Handvoll vertrauenswürdiger und zukunftssicherer Anbieter eine einfachere Prüfung und Einführung ermöglichen. Sie laufen nämlich nicht mehr Gefahr, mit einer Überfrachtung konfrontiert zu werden, wie dies bei einigen Unternehmen in der gegenwärtigen Marktsituation der Fall ist.“
Den eigenen Datenschatz heben – auch 2023 eine Herausforderung
Letztlich ist es eine Binsenweisheit, dass im Zuge des schwindenden Third-Party-Cookies die First-Party-Daten immens an Wert gewinnen. „Allerdings fehlen vielen Werbetreibenden konkrete Ansätze, ihren eigenen Datenschatz ausreichend zu heben“, sagt Stephan Jäckel, Geschäftsführer bei Emetriq. Die großen Herausforderungen liegen aus seiner Sicht zum einen im Zugang zu ausreichend Trainingsdaten zur Erweiterung der eigenen Daten, um eine relevante Reichweite zu gewährleisten. „Zum anderen müssen sich Werbetreibende Know-how aneignen, um Daten im eigenen Werbe-Ökosystem zu aktivieren.“
Zu den alternativen Targeting-Ansätzen gehört aus seiner Sicht auch das kontextuelle Targeting. Eine weitere Option sieht der Experte in Multi-Party-Computation-Ansätzen in Clean Rooms, bei denen Datensätze zweier Partner sicher und souverän zum Algorithmen-Training kombiniert werden. „Es stehen also aktuell eine Vielzahl an alternativen Ansätzen und Lösungen zur Personalisierung und Zielgruppenansprache auch ohne Third-Party-Cookie in den Startlöchern. Künftig werden Werbetreibende wohl auf eine smarte Kombination verschiedener Targeting-Ansätze setzen“, sagt Jäckel.
Mit Data Clean Rooms zum sauberen Targeting
Insbesondere Data Clean Rooms haben momentan Hochkonjunktur, da sie einen DSGVO-konformen Datenaustausch zwischen Advertisern und Publishern ermöglichen. Nach Ansicht von Morika Georgieva, Manager Customer Success EMEA bei Permutive, sind Clean Rooms für Werbetreibende und Publisher – die Verbraucherdaten respektieren und das Vertrauen wiederherstellen wollen – ein verantwortungsvoller Weg zur Verbesserung der Werbung. „Aber Clean Rooms müssen Teil eines End-to-End-Workflows sein“, ist die Expertin überzeugt. Beim Adtech-Anbieter wird der Standpunkt vertreten, dass ein Clean Room ein kritischer Teil einer Aktivierungsplattform ist, „aber Daten können nicht kontrolliert und die Privatsphäre nicht vollständig geschützt werden, wenn sie nicht in den gesamten Publisher-Stack integriert sind.“ Das Unternehmen hat daher einen Data Clean Room in seine Audience-Plattform integriert.
Auch nach Einschätzung von Sylwia Iwanejko-Sajewska, Country Managerin DACH bei Triplelift, werden First-Party-Daten beim Targeting 2023 die größte Rolle spielen. „Darüber hinaus wird vor allem eine überarbeitete Supply-Path-Optimization-Strategie – welche die Lieferkette schlank hält und für mehr Transparenz sorgt – entscheidend sein, um Zielgruppen auf effizientere und durchdachtere Weise zu erreichen“. In Anbetracht der aktuellen Marktentwicklungen liegt nach Einschätzung von Iwanejko-Sajewska die Zukunft in Ansätzen, die Media- und Data-Lösungen kombinieren und Käufern und Verkäufern so einen besseren Zugang zu Angebot und Nachfrage des Inventars ermöglichen. „Auch die Nutzung von Predictions wird eine entscheidende Maßnahme sein, um die stetige Abnahme der Targeting-Qualität durch Third-Party-Cookies auszugleichen.“ Um sich an der Stelle weiter zu verstärken, hat Triplelift erst kürzlich den Schweizer DMP-Anbieter 1plusx übernommen.
2023: Zusammenarbeit ist Imperativ im Open Web
Gleichzeitig wird das offene Internet weitere Herausforderungen meistern müssen, um beim Targeting von den Walled Gardens nicht abgehängt zu werden. „Für Publisher ist es daher nun höchste Zeit, sich mit neuen Technologien auf die Zeit ohne Cookies vorzubereiten. Und auch bei Werbetreibenden steigt der Druck, mit immer weniger Budget und Personal die Performance und Effizienz ihrer Kampagnen kontinuierlich zu steigern“, sagt Iwanejko-Sajewska.
Nach Ansicht von Jäckel ist die Herausforderung, eine nachhaltige Alternative für digitale Werbewirkung im Open Web zu schaffen, sogar eine gesellschaftlich relevante. Denn nur ein starkes offenes Internet ermögliche freien Zugang zu unabhängigen Informationen. „Dafür ist es unbedingt notwendig, dass das offene Internet im Werbemarkt konkurrenzfähige Angebote bietet. Zusammenarbeit ist dabei Imperativ, denn keine First-Party-Silo-Strategie kann gegen die Werbemaschinerie der Giganten bestehen“, sagt Jäckel und prognostiziert, dass 2023 einige überraschende Ankündigungen in dieser Hinsicht bereithalten werde.
Regulatorisch den Überblick behalten
Tilman Harmeling, Senior Expert Privacy, Usercentrics, denkt noch einen Schritt weiter: „Eine weitere große Frage wird sein, was eigentlich passiert, wenn man die First-Party-Daten erzeugt hat.“ Wie werden unterschiedliche Unternehmen diese am besten miteinander kombinieren können, dabei datenschutzkonform bleiben und so auch Rücksicht auf die Privatsphäre nehmen? „Differential Privacy" könnte dem Experten zufolge beispielsweise ein wichtiges Thema sein, also dass man Datensätze verändert, um dadurch Personalisierung weitestgehend auszuschließen. Data Clean Rooms nutzen es häufig als Grundlage.
Die größte Herausforderung, um im Open Web beim Targeting mit den GAFAs mithalten zu können, besteht seiner Einschätzung nach jedoch darin, im aktuellen Umfeld den Überblick zu behalten – und zwar aus regulatorischer, aber auch aus ökonomischer Sicht. Harmeling würde Unternehmen daher empfehlen, sich mit den Grundlagen zum Digital Services Act & Digital Markets Act vertraut zu machen. Grundlagen treten aktuell bereits in Kraft und sollen bis 2024 gelten. Um nicht den Anschluss zu verlieren und Innovationen zu verpassen, sollten sich Unternehmen zudem idealerweise breit gefächert und regelmäßig über die Entwicklungen der Walled Gardens und deren Alternativen informieren. „Für die Zukunft ohne Cookies gibt es noch keine klare Lösung. Unternehmen bleibt im Moment nur die Möglichkeit, den Markt genau zu beobachten und offen für innovative Lösungen zu sein.“
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