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Zum Contextual-Werbestandard ist es noch ein langer Weg

Jens Depenau, 24. November 2022
Bild: Pierre Jeanneret – Unsplash

Eine gute Nachricht für den Werbemarkt: Google unterstützt den IAB-Industriestandard für einheitliche Taxonomien im Contextual Targeting. Doch sind damit jetzt wirklich alle technologischen Weichen gestellt? Für die Beantwortung der Frage bietet es sich an, den neuen Contextual-Werbestandard genauer unter die Lupe zu nehmen und Erfahrungen aus der Praxis einfließen zu lassen.

Es hört sich zunächst fantastisch an: „Google baut auf gemeinschaftliche Contextual-Werbestandards“. So berichtete Adzine Ende Oktober darüber, dass Google die Unterstützung für die sogenannten „Seller Defined Audiences“ des IAB Tech Lab angekündigt hat. Der Bericht basierte unter anderem auf einem Google-Blogpost vom 13. September 2022. Dabei liest es sich wie folgt: „We’re introducing publisher provided signals to help you categorize your first-party data into consistent audience or contextual segments and then share these signals with programmatic buyers. To help publishers and buyers find value and easily use these new first-party signals, we are working to incorporate industry standards. As a first step, we are integrating the IAB Tech Lab’s Seller Defined Audiences into this solution.”

Publisher können also zukünftig die Taxonomien des IAB für Audience und (Content) Contextual Targeting verwenden, um im Rahmen von Betatests Signale mit Google Ads und Display & Video 360 zu teilen. Anders formuliert: Google unterstützt den Industriestandard des IAB, damit sichergestellt ist, dass Taxonomien für alle Marktteilnehmer:innen im Google-Universum einheitlich definiert sind. Das Ziel ist klar und verständlich: Jeder Google-Akteur – egal ob es ein Publisher, Advertiser oder Tech-Dienstleister ist – soll zukünftig wissen, dass es zum Beispiel ein Contextual-Segment mit dem Namen „Baby Food“ gibt. Also keine andere alternative Bezeichnung wie „Baby Formula“ und auch nicht eine breitere Klassifizierung wie „Children Food“. Adzine schrieb schlussfolgernd: „Die technologischen Weichen sind gestellt und mit Google kommt ein dicker Fisch als Unterstützer hinzu.“ Auch wenn die Aussage im Kern verständlich und richtig ist, so bleiben dennoch einige Fragen offen, die ich im Folgenden teilen möchte.

Sind die technologischen Weichen wirklich gestellt?

Oder handelt es sich nicht vielmehr um den Beginn einer langen Reise, bei der erstmal nur eine von mehreren technologischen Weichen justiert wurde? Und stimmt es überhaupt, dass die Taxonomien des IAB bereits umfassend standardisiert vorliegen oder gibt es nicht doch noch Lücken? Kann eventuell also nicht jedes Thema wie gewünscht abgedeckt werden? Die Antworten auf diese Fragen sind natürlich bereits vorweggenommen. Das heißt: Ja, es sind noch mehrere technologische Weichen zu stellen und ja, die Taxonomie weist noch Lücken auf.

Kommen wir auf das bereits genannte Beispielthema „Baby Food“ zurück, so wird schnell deutlich, dass noch ein langer Weg vor uns allen liegt, bis wir davon sprechen können, dass im Bereich (Content) Contextual wirklich eine Standardisierung Einzug gehalten hat. Zum einen liegt in der sogenannten „Content Taxonomy“ des IAB gar kein Eintrag zum Thema „Baby Food“ vor. Es gibt zwar einige separate „Food“- und „Baby“-Themen, aber eben kein konkretes „Baby Food“-Thema. Für Fälle wie diesen muss man daher dann doch den Pfad der Standardisierung verlassen und auf individuelle Custom-Segmente zurückgreifen. Das heißt, man spricht mit einem oder mehreren Contextual-Targeting-Anbietern und brieft das Thema neu ein. Doch wer jetzt glaubt, dass zumindest die Methodik der Segmentbildung vollumfänglich standardisiert ist, der wird leider schnell vom Gegenteil überzeugt.

Sogenannte Fullpath-URL-Analysen im Rahmen einer programmatischen Kampagne zeigen in der Regel schonungslos auf, dass die Bandbreite der Contextual-Methodiken im Markt sehr groß ist und dass die Wahl des richtigen Contextual-Anbieters wohlüberlegt sein muss.

Zur Veranschaulichung einige Erkenntnisse aus der Praxis

Basis: Manche Anbieter scannen lediglich die URL ab, ob bestimmte Keywords enthalten sind. Andere Anbieter scannen hingegen den geschriebenen Text (Display Contextual) und/oder Bild- und Tonspurelemente (Video Contextual). Damit wird deutlich, dass erstgenannte Anbieter bei kryptischen alphanumerischen URL-Zeichenfolgen ohne Klartext schnell an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gelangen, wenn es zum Beispiel gilt, „Baby Food“-Themen zu identifizieren.

Semantik: Auch hier gibt es sehr heterogene Arbeitsweisen im Markt. Vom simplen Keyword-Abgleich bis hin zur komplexeren semantischen Analyse (inklusive Keyword-Gewichtungen) findet sich alles im Contextual-Targeting-Markt wieder. Übertragen auf „Baby Food“ bzw. „Baby Formula“ kann dies im negativen Fall dazu führen, dass „Baby“ und „Food“ bzw. „Formula“ einzeln als Keyword aufgesetzt werden, sodass allgemeine „Baby“-, „Food“- oder sogar „Formula (1)“-Umfelder aktiviert werden.

Sprache: Speziell bei Anbietern, die nicht mit semantischen Modellen arbeiten, kann die Keyword-Sprache zur möglicherweise unerwünschten Auslieferung führen. Es sollte daher immer möglichst eine semantische Analyse basierend auf überwiegend deutschen Keywords umgesetzt werden. Erfolgt dies nicht und werden mehrere möglicherweise englischsprachige Keywords im Keyword-Set integriert, kann die Auslieferung beim „Baby Food“-Beispiel vor allem auf englischsprachigen Websites erfolgen. Das muss zwar per se nicht schlecht sein – es sollte jedoch mit dem Kunden vor Kampagnenstart gemeinsam besprochen werden, ob sich dieser auf englischsprachigen Umfeldern sehen möchte oder nicht.

Sentiment: Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist bei der Tonalität festzustellen. Kein Werbetreibender, der im Baby Food-Umfeld Werbung schalten möchte, will diese in negativ behafteten Umfeldern (z. B. Nahrungsmittelskandal im Baby Food, negative Testbewertungen des konkret beworbenen Produkts) platziert sehen. Nicht jeder Contextual-Anbieter bietet jedoch diese Sentiment-Analyse an, sodass man auch hier sehr genau hinschauen sollte, mit wem man das Contextual Targeting umsetzen möchte.

Technik: Und abschließend ist die technische Anbindung des Contextual-Anbieters (zum Beispiel an die DSP) hervorzuheben. Ist der Anbieter quasi in Echtzeit an die Plattform angedockt (wodurch es möglich ist, top-aktuell veröffentlichte und werberelevante Artikel beispielsweise aus dem News-Bereich erfassen zu können) oder arbeitet dieser mit einem (deutlichen) Zeitverzug auf Basis von URL-Listen (das heißt, der Anbieter scannt selbständig – zum Beispiel ein Mal täglich – alle News-Sites ab und integriert die relevanten URLs in eine regelmäßig zu updatende URL-List)? Beim Thema „Baby Food“ ist die News-Dichte zwar weniger volatil im Zeitverlauf. Für andere Themenumfelder ist die Aktualität jedoch ein sehr wichtiges Kriterium, sodass zusammenfassend auch bei der technischen Anbindung genau hingeschaut werden sollte.

Fazit: Die Standardisierung der Methodik muss der nächste Schritt sein

Ein wichtiger Schritt zu mehr Standardisierung im Contextual ist durch das Commitment von Google, auf Basis der „Seller Defined Audiences“ des IAB Tech Lab mit anderen Playern zusammenzuarbeiten, getan. Jedoch handelt es sich dabei zunächst nur um die Standardisierung der Taxonomie, die in manchen Themenbereichen zudem noch unvollständig ist. Eine Standardisierung der Methodik sollte nun der nächste Schritt sein, damit zukünftig auch weitere technologische Weichen für ein einheitlich standardisiertes (Content) Contextual Targeting und damit auch für eine effiziente Cookieless-Zukunft gestellt sind.

Bild Jens Depenau Über den Autor/die Autorin:

Seit März 2022 verantwortet Jens Depenau als Expert Partner Data Strategy der GroupM die gruppenweite Weiterentwicklung, Testung und Implementierung neuer Lösungen für erfolgreiches Marketing ohne Third-Party-Cookies. Im Zuge der Wachstumsstrategie des führenden Mediaagenturnetzwerk Deutschlands treibt der erfahrene Data-Experte die Entwicklung alternativer Targeting- und Measurement-Möglichkeiten voran. Neben seiner beruflichen Laufbahn engagiert sich Jens Depenau regelmäßig als Speaker bei diversen Kongressen und Panels rund ums Thema Cookie-lose Werbung.

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