Volle Adressierbarkeit ist der Schlüssel für TV-Sender im Rennen um die TV-Werbebudgets
Sebastian Busse, 28. November 2022Das Wettrennen um die Werbebudgets für Fernsehen und Video ist enger geworden. Die TV-Werbebranche ist nicht mehr allein den großen Sendehäusern überlassen. Die wachsende Anzahl digitaler Wettbewerber fordert die etablierten TV-Sender heraus, ihre Strategien immer aufs Neue zu überdenken. Noch steckt ein beträchtlicher Anteil der gesamten Werbeausgaben in Europa in der Fernsehwerbung – in Westeuropa werden 28,7 Milliarden US-Dollar jährlich für TV-Werbung ausgegeben.
Längst spielen digitale Angebote auf Smart-TVs eine immer größere Rolle und das Angebot von Werbeflächen in diesem Segment steigt – nicht zuletzt durch den Einstieg der Platzhirsche Netflix, Amazon und Disney. Digitale Umfelder werden damit für Werbetreibende zu echten Alternativen im Vergleich zum linearen Fernsehen. Global agierende Anbieter und lokale Marktteilnehmer befinden sich im direkten Wettbewerb um die Bildschirme in den Wohnzimmern Europas. Mit immer intelligenteren Angeboten kann es den europäischen Sendern gelingen, ihre dominierende Stellung auf dem TV-Werbemarkt zu wahren und ihren Vorsprung sogar weiter auszubauen.
Der Wettbewerb um die TV-Budgets wird aus vielen Richtungen geführt – von unterschiedlichen Akteuren
Drei wesentliche Vermarktungsansätze im TV-Markt, stehen sowohl für neue als auch bestehende Marktteilnehmer im Mittelpunkt: das klassische lineare Fernsehen, das noch immer die meisten europäischen Zuschauer und Zuschauerinnen erreicht, werbefinanzierte Video-on-Demand-Angebote (VOD) und lineares TV-Streaming. Steigende Aufmerksamkeit erfahren sogenannte FAST-Services. FAST steht für Free-Ad-Supported-Streaming-TV und beschreibt lineare Streaming-Angebote mit Werbeblöcken, die an klassische TV-Werbung erinnern. Alle Ansätze sind bereits jetzt erfolgreich in die TV-Werbevermarktung integriert. Gleichzeitig versuchen Social-Media-Apps wie Tiktok, Facebook und Instagram TV-Werbebudgets durch TV-ähnliche Angebote auf dem Handy und Tablet für jüngere Zielgruppen zu erreichen. Der entscheidende Erfolgsfaktor ist die richtige Kombination aus skalierbarer Reichweite, datenbasierter Zielgruppenansprache und digitaler Auslieferung von Videowerbung auf Großbildschirmen.
Hersteller von “smarten” Devices wie Samsung, LG und Roku investieren in großem Umfang in proprietäre FAST-Angebote, die in die Benutzeroberflächen der Geräte eingebettet werden und sich so nahtlos in das Nutzungserlebnis integrieren. Die Grenzen zwischen traditionellem Fernsehkonsum und Online-Videostreaming verschwinden zunehmend. Während die meisten Dienste beliebte Content-Angebote und existierende Inhalte aggregieren, investieren einige Anbieter in exklusive Inhalte. Für Werbetreibende sind lineare Umfelder im FAST-Bereich besonders spannend. Die neuen digitalen Sender schaffen die ideale Umgebung für spezifische Zielgruppen. In die Plattformen eingebettete Technologien zur automatischen Erkennung von Inhalten (Automatic Content Recognition / ACR) stellen Datenpunkte zusammen, um die Grundlage für eine automatisierte und umfeldgesteuerte Zielgruppenansprache zu bilden.
Die meisten Gerätehersteller aggregieren nicht zwingend selbst den Content, sondern nutzen White-Label-Angebote bestehender, weltweit agierender Aggregatoren wie Pluto TV und Rlaxx.tv, die ihre Inhalte auch unabhängig von Gerätelösungen anbieten und Pakete aus lokalen sowie globalen Video-Streaming-Inhalten zusammenstellen. Losgelöst von Plattform und Verbreitung bieten diese FAST-Dienste neu geschaffene, lineare Sender. Sie sind zwar auch auf Handys und Computern abrufbar, werden jedoch hauptsächlich auf Smart-TVs konsumiert. Die Attraktivität für Werbetreibende und die wachsenden Nutzerzahlen beflügeln das Wachstum dieses Segments.
Die führenden VOD-Dienste ziehen mit werbegestützten Angeboten (AVOD) nach. Konzentrierten sich die meisten globalen VOD-Dienste in der Vergangenheit vorwiegend auf abonnementbasierte Geschäftsmodelle (SVOD), ändert sich dies im Moment sehr schnell. Seit kurzem bieten Netflix, Disney, Amazon und Co. auch werbefinanzierte Optionen an. Wenngleich diese Verlagerung als neue Entwicklung wahrgenommen wird, sollte YouTube in diesem Kontext nicht vergessen werden. Zwar setzt Youtube vorwiegend auf kurze Videoformate, längere Produktionen spielen dennoch eine zunehmend wichtige Rolle auf der Plattform.
Warum FAST und AVOD gerade dann für Werbung spannend sind, wenn Hobbys oder spezifische Interessen bedient werden sollen, zeigen Anbieter, die sich auf bestimmte Inhalte und Themen konzentrieren, sowie maßgeschneiderte Inhalte produzieren oder lizenzieren. Musikstreamingdienste wie Vevo, Xite.tv und Qwest.tv sind auf den gängigsten Mobil- und TV-Geräten verfügbar, und trotzdem ständig mit der Herausforderung konfrontiert, relevante Zugriffszahlen zu generieren. Gerade deshalb findet sich deren Angebot häufig in den Whitelabel-Lösungen der TV-Hersteller oder als eigener Sender bei Aggregatoren wie Pluto TV.
Für Sender ist volle Adressierbarkeit der Kern des Erfolgs
Viele europäische Fernsehsender definieren "Adressierbarkeit" als strategische Priorität. Der Wandel von klassischer linearer One-to-Many-TV-Werbung hin zu Adressierbarkeit mit granularer Zielgruppenansprache ist ein entscheidender Faktor für eine nachhaltige, langfristige Produkt- und Geschäftsstrategie. Mit zahlreichen Werbeformaten und neuen Distributionskanälen gestalten die Sender die Zukunft der TV-Werbebranche federführend. Sie sind mit zahlreichen Angeboten im SVOD-, AVOD- und FAST-Bereich erfolgreich und spielen auf allen Kanälen im Rennen um die Werbebudgets mit. Dazu gehören Strategien, um die eigenen TV-Daten nutzbar zu machen und geräteübergreifend gezielte Werbung zu ermöglichen. Immer häufiger lassen sich gemeinsame Initiativen, Fusionen, Übernahmen und strategische Allianzen zwischen Sendern, Medienhäusern und Adtech-Unternehmen beobachten. RTL Deutschland und ProSiebenSat.1.1 haben mit einer europäisch ausgerichteten Addressable TV-Initiative bereits ihr zweites Joint Venture nach der D-Force bekannt gegeben, das die Digitalisierung der TV-Werbung intensiv vorantreibt. Die Addressable-TV-Initiative soll zwischen Smart-TV-Herstellern und Sendern vermitteln. Eine stärkere Verzahnung von Adtech und Vermarktung ist für die Sender ein Grundbaustein der langfristigen digitalen Wachstumsstrategie.
Die drei Säulen der Adressierbarkeit
In der europäischen TV-Werbelandschaft lassen sich drei Kernbereiche der Adressierbarkeit unterscheiden.
1. Adressierbarkeit im linearen TV über HbbTV
Die klassische lineare Fernsehwerbung ist mit dem HbbTV-Standard und Addressable-TV digital geworden. Der weiterentwickelte HbbTV-TA-Standard erlaubt eine noch nahtlosere und skalierbarere Adressierbarkeit der TV-Werbeinsel. Für die meisten Sender ist das lineare Fernsehen weiterhin das Kerngeschäft und stellt den größten Anteil an Werbeeinnahmen, daher investieren die Sender in großem Umfang in Lösungen, die die enorme Reichweite und die Nutzungsdaten des traditionellen Fernsehens auch digital nutzbar machen. Der HbbTV-Standard ist ein wichtiger Taktgeber für diesen Wandel. Dieser ermöglicht die Kombination von herkömmlicher Fernsehübertragung (z. B. Kabel, Satellit, terrestrisch) und der Einblendung digitaler Werbung in das laufende Programm. In Deutschland, Spanien und Italien ist die eingeblendete Displaywerbung schon fester Bestandteil. HbbTV-TA schafft nun die Grundlage für den framegenauen Austausch von Werbung innerhalb des Werbeblocks in Kombination mit einer granularen, gerätespezifischen Ansprache. Damit steht der adressierbare Werbeblock kurz vor der Realität. Genau hier wird die Addressable-TV-Initiative greifen und mit TV-Herstellern und Sendern einheitliche Lösungen erarbeiten.
2. Adressierbarkeit im klassischen TV über Managed Platforms
Die zweite Möglichkeit, digitale Werbung im linearen TV auszuspielen, läuft über sogenannte Managed-Platforms. Die Gerätehersteller kontrollieren über Set-Top-Boxen die Signalauslieferung und stellen Plattformen und Infrastruktur zur Werbebuchung bereit. In Frankreich, den Beneluxstaaten und Nordeuropa wird das Fernsehprogramm hauptsächlich über Set-Top-Boxen und Netzwerke von Telekommunikationsunternehmen ausgeliefert. Mithilfe dieses Systems bauen die Anbieter ein digitales Signal ins Programm ein und steuern so Werbung digital an. Die TV-Sender arbeiten in diesen Fällen eng mit den Telekommunikationsunternehmen und Betreibern zusammen. In Märkten wie Frankreich und Belgien führten diese Kooperationen bereits zu erfolgreichen ATV-Werbeangeboten. Ein weiteres Beispiel ist Sky Adsmart, das Addressable-TV-Angebot der Sky Plattform.
3. Adressierbarkeit bei linearen Livestreams und BVOD
Der große Bildschirm im Wohnzimmer ist nach wie vor der beliebteste Ort, um Videoinhalte zu schauen. Das gilt auch für die Streaming-Plattformen der TV-Sender, die sogenannten Broadcaster-Video-on-Demand-Angebote (BVOD). Da die Nachfrage und Nutzung von Inhalten auf digitalen Plattformen ständig zunimmt, reagieren die Sender mit der Ausweitung ihrer Dienste auf digitale Plattformen. Derzeit werden die Dienste auf allen digitalen Geräten angeboten, der Smart-TV bleibt aber das wichtigste Endgerät, um BVOD und andere Streaming-Inhalte, wie zum Beispiel FAST-Services zu konsumieren.
Diese digitalen Angebote versetzen die Sender in die Lage, ihr lineares Programm mit On-Demand-Funktionen und einem exklusiven Zugang zu lokal produzierten Inhalten zu kombinieren. Werbung im Rahmen dieser Angebote kann über Pre-Rolls, Mid-Rolls oder durch den Austausch von Werbeunterbrechungen in linearen Übertragungen via Server-Side-Ad-Substitution-Technologien (SSAS) erfolgen.
Die Sender sind dem Wandel technisch gewappnet
Während sowohl die TV- als auch die Online-Werbebranche auf die genauen Pläne der SVOD-Plattformen für ihre werbefinanzierten Geschäftsmodelle reagieren, sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die TV-Häuser mit ihrem Portfolio aus linearen Sendern, BVOD-Angeboten und digitalem Content weiterhin die größte Reichweite und Angebotsvielfalt in der Videowerbung bieten. Europäische TV-Sender sind die klaren Marktführer für hochwertige Bewegtbildformate. Dies ist eine Ausgangslage, um eine mehrgleisige Zukunftsstrategie zu entwickeln, die einen Teil der TV-Werbebudgets in den digitalen Bereich verlagert. Das Erfolgsmodell dafür ist, Adressierbarkeit auf allen Verbreitungsplattformen bereitzustellen.
Die Sender haben bereits bewiesen, dass sich ihre Fortschritte und Investitionen in Addressable-TV-Produkte auszahlen. Die Adtech-Infrastruktur der Sender wächst. Nicht nur die RTL Group mit ihrer breit aufgestellten Technologieinfrastruktur investiert in zukunftsfähige (Ad-)tech-Lösungen für lineares Fernsehen und Online-Angebote. In Großbritannien, Benelux, Spanien, Italien und Frankreich arbeiten ebenso führende TV-Häuser an eigenen Lösungen oder nutzen die Lösung anderer, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ziel aller ist es, den eigenen Zuschauervorsprung für die Werbewirtschaft auszubauen. Länderübergreifende Kooperationen spielen dabei eine wichtige Rolle. Angesichts des öffentlichen Interesses an den Vorstößen von Netflix, Disney und anderen Streamingdiensten in Richtung werbefinanzierter, fernsehähnlicher Angebote haben die europäischen Sender längst ihre eigenen Anstrengungen unternommen und ihre Position im Rennen um die Werbebudgets auf den TV-Bildschirmen weiter gefestigt.
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