Die Wirtschaftsprognosen für das kommende Jahr sind nicht rosig. Es hätte schlimmer kommen können, so der Tenor seitens der Regierung, aber trotzdem scheint es, als ob der Gürtel enger geschnallt werden muss. Das Konsumklima kühlt merklich ab, hohe Energiepreise und Inflation belasten darüber hinaus die Industrie. Auch die Werbung bekommt die Folgen zu spüren. Doch die Advertiser sollten nun keinesfalls ihre Budgets kürzen, meint Alexander Weißenfels von Adform, sondern vielmehr die unternehmerische Chance wahrnehmen, die sich daraus ergibt. Als VP DACH verantwortet er das deutschsprachige Geschäft der ursprünglich dänischen Adtech-Plattform. Mit der Aussage denkt Weißenfels nicht nur an sein eigenes Business, sondern führt im Interview gute Gründe für Werbung in Krisenzeiten an. Obendrein liefert der Fachmann seine Prognose für die Werbeindustrie und verteilt Ratschläge an die Marktteilnehmer.
ADZINE: Hallo Alexander, wenn man den Zeitungen Glauben schenkt, befinden wir uns zurzeit am Rande einer Rezession. Die Konsumlaune ist vor allem angesichts steigender Inflationsraten getrübt. Wie wirkt sich dies auf die Werbeindustrie aus? Und spürt ihr dies auf der eigenen Plattform?
Alexander Weißenfels: Die Folgen der Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die derzeit hohe Inflationsrate: Ja, die derzeitigen Mehrfachkrisen wirken sich natürlich auch auf den Werbemarkt aus. Während im Frühjahr die Werbewelt noch völlig in Ordnung war, wiesen die Analysen von Nielsen zuletzt ein deutliches Minus bei den Brutto-Werbeausgaben in diesem Jahr aus; gerade in den letzten Monaten zeigte die Kurve immer mehr nach unten.
Wir sehen vor allem eine gewisse Zurückhaltung in Bezug auf langfristige Verträge und Investitionen. Unternehmen setzen stattdessen auf kurzfristige Tests und auf mittelfristige Kooperationen. Und um Investitionsrisiken zu vermeiden, verlassen sich Unternehmen derzeit auf die bereits bestehenden Verträge. Das verlangsamt auch den Trend zum Inhousing.
ADZINE: Marketingverantwortliche stehen vor der schwierigen Entscheidung, Budgets einzusparen oder nicht. Wie lautet dein Rat in dieser Situation?
Weißenfels: Aus Angst vor sinkenden Einnahmen wollen Unternehmen in Situationen wie dieser häufig instinktiv ihre Budgets kürzen und damit verbunden auch ihre Werbeausgaben verringern. Ich aber würde den Entscheiderinnen und Entscheidern dringend raten, der Empfehlung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu folgen: Kürzt keine Marketingbudgets in Krisenzeiten. Denn verschiedene Studien zeigen, dass Werbetreibende ihren Umsatz und Marktanteil steigern konnten, wenn sie in vergangenen Rezessionen ihre Spendings aufrechterhielten oder sogar erhöhten. Um die Kundschaft in Krisenzeiten zu halten, müssen Unternehmen also nicht weniger, sondern mehr Werbeaufwand betreiben.
Gleichzeitig sollten Unternehmen überprüfen, wofür und wann das Werbebudget verwendet wird und ihre Kommunikation an die derzeitigen Kontexte anpassen. Eine solche Situation birgt dann eben auch immer unternehmerische Chancen. Sind die Zeiten gut, sollte man werben. Sind die Zeiten schlecht, dann muss man werben.
ADZINE: Warum genau sollten Marketingbudgets in Krisenzeiten nicht gekürzt werden? Was wäre die Folge?
Weißenfels: Für das Aufrechterhalten oder Erhöhen des Marketingbudgets in Krisenzeiten sprechen meiner Ansicht nach drei zentrale Gründe. Gehen wir erstens davon aus, dass viele Unternehmen dem Instinkt folgen und ihre Budgets verringern, dann befinden sich weniger Anzeigen im Markt. Dadurch sinkt das ‘Noise Level’. Und ein verringerter Werbelärm birgt die Chance, Relevanz und Markenbekanntheit bei Verbraucherinnen und Verbrauchern zu schaffen. Denen wird zweitens in unsicheren Zeiten das Bild eines stabilen Unternehmens vermittelt. Und drittens sinken die Werbepreise, Unternehmen erhalten also mehr Werbemöglichkeiten für ihr Budget.
Um die niedrigen Werbepreise für sich zu nutzen, sollten Unternehmen aufgrund der schnellen und unverbindlichen Implementation auf Programmatic Advertising setzen – so können sie von den niedrigen RTB-Preisen profitieren. In den Walled Gardens dagegen ist weiterhin von einem starken Wettbewerbsumfeld auszugehen, in umkämpften Krisenzeiten sind alternative Plattformen deshalb wichtiger denn je.
Wenn Marketingbudgets gekürzt werden, wirkt sich dies direkt auf die Fähigkeit des Unternehmens aus, sich von einem wirtschaftlichen Abschwung zu erholen. Denn: Die Bekanntheit, die Share of Mind und im Zweifel auch die Abverkäufe sinken und damit ändert sich die gesamte Ausgangsposition, um wieder in ruhiges Fahrwasser zu kommen.
ADZINE: Was können Unternehmen tun, um ihr Marketing krisensicher aufzustellen? Insbesondere mit Blick auf die verwendete Technologie?
Weißenfels: In diesen herausfordernden Zeiten ist es für Unternehmen wichtig, auf effiziente Lösungen zu setzen, um den Zeit- und Kostenaufwand möglichst gering zu halten. Die Technologien sollten zudem krisenerprobt und die anbietenden Unternehmen profitabel sein – das sind nicht immer und automatisch nur die Walled Gardens. Außerdem sollten sich die Verantwortlichen im Klaren darüber sein, wie das vorhandene Werbebudget verwendet wird. Transparente Lösungen liegen also im Trend, da sie sichtbar machen, wo genau der eingesetzte Werbeeuro schlussendlich hinfließt und was genau dabei rumkommt.
ADZINE: Wie wird sich die Lage der Werbeindustrie deiner Meinung nach in der nächsten Zeit weiterentwickeln?
Weißenfels: Es wird sicherlich Unternehmen geben, die dann auf der Gewinnerseite stehen. Aber ebenso die, die sich dann auf der Verliererseite wiederfinden. Wer jetzt aufgrund von Vorsicht und Budgetdruck nicht die Weichen für das Ende des Third-Party-Cookies stellt, wird Probleme bekommen. Auch ist mit einer schnelleren Konsolidierung in der Adtech-Branche zu rechnen.
Unternehmen sollten insbesondere zwei Themen berücksichtigen, die derzeit massiv an Bedeutung gewinnen: Erstens gilt es, das Umdenken in Richtung Datensensibilität zu berücksichtigen. Und zweitens sehen wir, dass besonders Video-Ads zu höheren Engagement-Raten und einem größeren ROI führen.
ADZINE: Wenn du jeder Partei im Werbeökosystem genau einen Ratschlag für Krisenzeiten mit auf den Weg geben müsstest, also Advertisern, Agenturen, Publishern und Adtech-Anbietern. Wie würde dieser für die jeweilige Partei lauten?
Weißenfels: Zunächst würde ich die Gelegenheit nutzen, um einen Rat an alle Parteien im Werbeökosystem auszusprechen: Wir müssen weiterhin sehr eng zusammenarbeiten, um die Lösung für die Zeit nach Ende des Third-Party-Cookies zu bieten – das sollte unser gemeinsames Ziel sein, ohne einfach nur blind nach einer möglichst ähnlichen Alternative zu suchen. Werbetreibenden würde ich empfehlen, sich vom business as usual zu lösen und das Messaging entsprechend der derzeitigen Situation auszurichten. Denn wie gesagt ist ein wirtschaftlicher Abschwung nicht der richtige Zeitpunkt, um das Werben zu stoppen oder zu verringern, sondern um zu überprüfen und entsprechend anzupassen, wie geworben wird.
Agenturen sollten während ihrer Beratungs- und Unterstützungstätigkeiten den Mut aufbringen, Advertiserinnen und Advertiser nicht ausschließlich in die Walled Gardens zu führen. Denn dieses Wettbewerbsumfeld wird auch in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs umkämpft bleiben. Den Publisherinnen und Publishern sowie auch den Adtech-Anbieterinnen und Adtech-Anbietern würde ich eine ähnliche Empfehlung aussprechen: Bildet Allianzen und arbeitet mehr denn je zusammen, um zu verhindern, dass die Walled Gardens schlussendlich allein auf der Gewinnerseite stehen.
ADZINE: Danke für das Interview, Alexander!
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