Die einen befürworten sie in Wirtschaft und Politik, die anderen lehnen sie ab: die Frauenquote. Jüngst setzte die Omnicom Media Group Germany ein Zeichen. Die Agenturgruppe verpflichtet sich in den kommenden fünf Jahren den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. 50 Prozent lautet das Ziel. Doch nicht alle sehen Quoten als Allheilmittel für Gleichberechtigung.
So ist Luise Weiß, VP Global Revenue bei Adsquare, keine Befürworterin einer Frauenquote: „Es geht darum, dass wir uns endlich gleichstellen und das schließt natürlich die gleiche Bezahlung ein. Die vielen Diskussionen um Quote finde ich befremdlich. Ich will wegen meiner Leistung anerkannt sein, auch auf Panels eingeladen werden, weil ich etwas zu sagen habe und nicht, weil ich eine Frau bin.“
Ähnlich, aber mit einer anderen Deutlichkeit, äußert sich Katy Schädlich. Sie hat zehn Jahre lang im Programmatic Advertising gearbeitet, unter anderem für die Publigroupe im Aufbau von Spree7, bevor sie im August 2022 zu Ethinking wechselte. „Ich sehe mich selbst als menschengegeben gleichberechtigt an und das macht bereits den großen Unterschied. Ich kann alles, was ein männlicher Kollege kann. Ok, vielleicht alles außer im Stehen pinkeln.“
Einer der wichtigen Unterschiede in der Wahrnehmung und Beurteilung der Quotenfrage liegt mit Sicherheit darin, dass Luise und Katy in der DDR aufgewachsen sind und die gleichgestellte Sozialisation inhaliert haben. „Ich war drei Jahre alt, als die Mauer gefallen ist. Das hat aber nichts daran geändert, dass ich aus einem Elternhaus komme, in dem meine Mutter selbstverständlich genauso gearbeitet hat wie mein Vater. Und ebenso anerkannt war“, sagt die Betriebswirtin Weiß, die in ihrer Funktion für 35 Mitarbeitende verantwortlich ist und damit das größte Team bei Adsquare betreut.
Doch nicht allein das familiäre Vorbild macht den Unterschied: „Alles startet mit frühkindlicher Bildung. Als DDR-Kind kenne ich es nicht anders als breitgefächert gebildet zu werden, was heute neu erfunden ‘MINT’ heißt“, ergänzt Schädlich, eine diplomierte Medienwissenschaftlerin.
Dare to be different, girls!
Marion Kölling von Xandr und Manuela Moser von Pubmatic sind zwar in Westdeutschland aufgewachsen, haben aber eine Ausbildungswahl getroffen, die sie auch heute noch vom Mainstream der BWL- oder Jurastudentinnen unterscheidet: Beide sind ausgebildete Fachinformatikerinnen für Anwendungsentwicklung. „Als ich vor zwanzig Jahren in einer Internetagentur meine Karriere startete, war ich eine von zwei Frauen in einem Web- und Software-Development-Team mit zwanzig männlichen Kollegen. Ich habe eher irritierende Blicke bekommen, wenn ich meinen Beruf erklärt habe“, sagt Kölling, die seit 2021 bei Xandr arbeitet und als Senior Director of Agencies & Brands für Zentraleuropa verantwortlich für das Buy-Side-Geschäft der Microsoft-Tochter ist.
Auch Manuela Moser war als Frau allein auf weiter Flur, als sie 2000 ihre Informatik-Ausbildung in München begann und damit die Grundlage für ihre Tech-Karriere legte. Und das hat sich bis heute kaum geändert, denn Manuela, seit 2021 Senior Customer Success Operations Manager bei Pubmatic, ist seit vielen Jahren in männerdominierenden Arbeitsgruppen aktiv. Beim BVDW in der Server-to-Server-Gruppe, beim IAB-Europe im Programmatic Committee und in der Global Privacy Working Group des IAB Tech Lab. Vor Pubmatic war die ausgewiesene Adtech-Expertin für den Online-Vermarkterkreis tätig und hat übergreifend für Deutschland Standards für die Werbeindustrie definiert.
Als Manuela vor 15 Jahren mit der Verbandsarbeit anfing, gab es im OVK neben ihr nur eine weitere Frau – und etwa zwanzig Männer. Viele Jahre später ist Manuela Moser auch in ihrer BVDW-Arbeitsgruppe die einzige Frau – im IAB sieht es anders aus. „Im IAB Europe sind sehr viel mehr Frauen aktiv, während das IAB-Techlab wiederum sehr männerdominiert ist“, sagt die Bayerin und fügt ergänzend an, dass es „noch einiges“ zu tun gäbe.
In der Höhle der Löwen: Verbandsarbeit und so
Wie wichtig Netzwerke sind, haben Frauen in Adtech, Martech und ganz allgemein in der Werbung längst erkannt. Auch, dass sie sichtbar und hörbar sein müssen. Doch warum sind in der Verbandsarbeit so wenig Frauen aktiv? Dazu Moser: „Man braucht einen Mentor, eine Unterstützung, um in solche Netzwerke hineinzukommen. Meistens sind das die Manager oder ‘Head ofs’. Hinzu kommt, dass viele Männer seit Jahren in der Verbandsarbeit aktiv sind. Hier positioniert man sich, empfiehlt sich, knüpft die richtigen und wichtigen Seilschaften und bleibt am liebsten unter sich.“
Natürlich haben die Verbände, allen voran der BVDW, sich zum Ziel gesetzt, mehr Frauen in die Gremien und in den Vorstand zu holen. Doch es reicht nicht, diese reinholen zu wollen, man muss auch die Strukturen schaffen, dass Frauen gewillt sind, mit Passion und Know-how die Verbandsarbeit gemeinschaftlich nach vorne zu bringen. Denn mangelndes Interesse ist es nicht, das Frauen bislang davon abhält, sich über ihre Arbeit und die Firma hinaus zu engagieren.
Die vielen, zum Teil teuren und mitunter elitären Business-Netzwerke, die für Frauen in den letzten zehn Jahren gegründet wurden, sprechen eine deutliche Sprache: Die Message ist angekommen. Der Markt ist da: “Frauen, vernetzt euch! Erhebt eure Stimmen!” Es sollte allerdings auch klar sein, dass es (für Frauen) nicht ausreicht, auf – beispielsweise – Linkedin aktiv zu sein und zu meinen, dass Likes und Kommentare bereits die ganze Arbeit sind, um gleichstellungspolitisch nach vorne zu kommen, oder sich für das nächste Karrierelevel samt Gehaltssprung zu empfehlen, indem das Ego mit Me, Myself und I-Postings gepimpt wird – weil viele auf Social Media aktiven Männer das ja genauso tun.
Werte schaffen, ausbauen, halten
Unterstützend in puncto Selbstsicherheit beim Vertreten von Standpunkten sind firmeninterne Weiterbildungsmaßnahmen und Netzwerke. Beispielsweise hat Xandr „ein großes, internationales Frauennetzwerk, das sich regelmäßig trifft und austauscht. Hier werden Vorträge und Buchlesungen angeboten, mit Fokus auf Finanzen, Familie und natürlich persönliche Entwicklung“, sagt Marion Kölling, der es ebenso wichtig ist, ihre Erfahrungen zu teilen und Frauen darin zu unterstützen „an sich selbst zu glauben und sich all das zuzutrauen, was Männer ganz selbstverständlich tun“. Zum Beispiel C-Level-Positionen.
„C-Level-Positionen werden immer häufiger von Frauen besetzt, da sie Unternehmen einen Mehrwert bieten. Sie stehen ihren männlichen Kollegen in Sachen Fachwissen in nichts nach. In Polen ziehen immer mehr Frauen die Fäden in Unternehmen, insbesondere in der Medienbranche“, sagt die studierte Sozialpsychologin Kasia Jędrzejczyk, Regional Marketing & PR Team Managerin APAC, EMEA, US und LATAM von RTB House mit Headquarter in Warschau. Übrigens gibt es auch in Polen wenig bis keine Probleme mit großartigen MINT-Fähigkeiten von Frauen.
Obgleich es in vielen Bereichen noch Luft nach oben gibt, und das nicht nur für Frauen, „ist unsere Branche wesentlich emanzipierter als andere“, meint Katy Schädlich selbstbewusst. Inwieweit die Adtech-Branche nicht nur lokal, sondern auch global gesehen wirklich einen zukunftsträchtigen gleichstellungspolitischen Sprung nach vorne macht, bleibt abzuwarten. Schließlich heißt es auch beim Job Recruiting unter anderem m/w/d und nicht m/w. Da kann es bei genauerer Betrachtung sozialpolitisch schwer vermittelbar sein, von einer 50-Prozent Frauenquote als Ziel zu sprechen, wenn man andere, mögliche Quoten mit Blick auf Gleichstellung nicht berücksichtigt. Beispiele gibt es hierzu bereits zur Genüge, nicht nur in den USA oder im südafrikanischen Werbemarkt.
Reach out!
Abgesehen davon gibt es einen wichtigen Aspekt, auf den Frauen ganz allgemein im Business viel mehr zu achten haben als ihre männlichen Kollegen: „Viele Frauen denken, dass sie Besonderes leisten müssen, um gut genug zu sein. Ihr fälschlich eingetrichtertes Denkmuster à la ‘Ich bin nicht genug’ hindert sie einerseits daran, Visionen wahr werden zu lassen, und kann auf der anderen Seite zu langanhaltendem Stress und damit zum Burnout führen. Es braucht Mut, um verletzbar und ungeschützt ins Rennen zu gehen, aber nur so können Frauen ihr volles Potenzial ausleben und Erfolge sichtbar machen“, sagt Marketingexpertin Brigitte Goletz, die sich nebenberuflich zur zertifizierten Coachin hat weiterbilden lassen und Frauen professionell in ihren Karrierewegen begleitet.
Goletz, Mutter von zwei Kindern und alleinerziehend, hat mehrere Jahre bei der nunmehr abgewickelten G+J-Tochter Ligatus im Marketing gearbeitet und kennt die Stress-Tücken im Digitalbusiness mit seinem hohen und vor allem schnellen Arbeitsanforderungen, aber auch die idealisierten Rollenbilder, denen Frauen insbesondere als Mutter ausgesetzt sind. Vorbilder für Frauen seien deswegen weiterhin wichtig, damit andere ermutigt werden, sich auf den eigenen spannenden Lebensweg zu machen, Karriere mit eingeschlossen.
Zu guter Letzt: Die nächste Generation sattelfest und Stereotypen-neutral zu erziehen, ist Goletz ein wichtiges Anliegen als Mutter einer Tochter und eines Sohnes. Mit diesem Anspruch steht sie nicht allein. Auch Adsquare-Managerin Luise Weiß, Mutter von zwei Kindern, setzt auf Vorbildfunktionen in der Familie: „Unsere Jungs sind weder auf mich als Mutter fixiert noch auf meinen Mann als Vater. Vor der Pandemie war ich ständig auf Dienstreisen und bin es seit April dieses Jahres wieder. Das ist weder für meine Kinder noch meinen Mann ein Problem. Wir sind beide berufstätig, verantwortungsvoll und engagiert in dem, was wir tun. Wichtig ist eine gute Kinderbetreuung, dass unsere Kinder wissen: Auch wenn wir unterwegs sind, sind wir als Eltern erreichbar.“
Dieser Artikel ist Teil einer Miniserie. Der erste Artikel der Serie ist hier zu finden: Läuft. Noch. Nicht. – Frauen in Adtech.
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