Der Markt für Connected TV (CTV) boomt und bietet allen Beteiligten der Werbewelt spannende neue Möglichkeiten. Digitale Werbung in Streaming-Inhalten eröffnet etwa Advertisern, die flüchtigen TV-Zielgruppen zu erreichen. Doch die Content-Angebote sind unübersichtlich und der Markt ist extrem fragmentiert. Die großen US-Plattformen positionieren sich, während die unabhängigen Anbieter um Beachtung kämpfen. Der Ausgang dieses Wettstreits ist ungewiss. Aus der Perspektive der Mediaeinkäufer hat eine Sache dennoch bereits Gewissheit: CTV hat großes Potenzial, aber eine echte Alternative zum klassischen TV ist es aktuell noch nicht. Bis es so weit ist, gibt es noch die eine oder andere Baustelle zu beheben.
Insbesondere die großen US-Anbieter wollen dem klassischen TV Konkurrenz machen und hoffen auf große Werbeeinahmen: Kürzlich hat Netflix Pläne für werbefinanzierte Streaming-Angebote vorgestellt und arbeitet dazu mit Microsoft zusammen. Disney Plus plant ebenfalls werbegestützte Angebote. Und sogar Amazon rammt jetzt auch mit seinem kostenfreien Streaming-Angebot Freevee einen mächtigen Pflock in den Zukunftsmarkt der werbefinanzierten Streaming-Nutzung. Gehen damit die Sahnestücke des Werbekuchens wieder an die Walled Gardens? Es deutet alles darauf hin, denn der restliche Markt ist vor allem eines: zersplittert.
Neben den Streaming-Angeboten der großen TV-Häuser wie RTL Plus oder Joyn bietet auch der Sportsender Sky CTV-Inventare an. Ein weiteres Anbietersegment sind große Verlagshäuser, die beispielsweise mit Bild Live, Welt oder Focus online auch auf Smart-TVs präsent sind. Parallel haben sich Special-Interest-Apps wie Waipu.tv, Pluto TV und Rakuten TV im Markt etabliert. Hinzu kommen noch zahlreiche weitere Streaming-App-Angebote und Kuratoren-Dienste. Nicht zuletzt mischen auch die Gerätehersteller kräftig mit, welche die Inhalte unterschiedlichster Anbieter auf ihren Geräten bündeln und eigene Streaming-Angebote im Portfolio haben.
Datensilos vergleichen – eine Sisyphusarbeit
Samsung hat beispielsweise mit Samsung TV Plus seit 2017 einen eigenen Streaming-Service etabliert, der eine breite Auswahl an Inhalten bietet. Bei Samsung Ads geht man davon aus, dass die Nutzung von FAST-Services (Free Ad Supported TV) in naher Zukunft weiter zunehmen wird. Samsungs eigener FAST-Service, Samsung TV Plus, bietet bereits 115 deutsche Kanäle sowie Tausende von TV-Shows und Filmen. „Wir arbeiten kontinuierlich daran, unser Partnerschaftsnetzwerk auszuweiten, um neue Inhalte zur Verfügung zu stellen“, sagt Christian Russ, Head of Sales DACH bei Samsung Ads.
Auf den Smart-TVs von Sony, Panasonic, Philips und weiteren Gerätemarken hat sich die Samba-TV-Lösung etabliert. Sie ist in der Hardware der Geräte integriert und vorinstalliert. Wie auch auf Samsung-Fernsehern können die Inhalte hier mithilfe einer Technologie namens Automatic Content Recognition (ACR) analysiert werden. So lassen sich Aussagen zum Sehverhalten treffen, zum Beispiel welche Inhalte im linearen Fernsehen geschaut oder welche Apps genutzt werden. Auf Basis der Nutzungsgewohnheiten stellt Samba TV Zielgruppensegmente für Werbung in digitalen Medien und Applikationen zur Verfügung. „ACR-Zuschauerdaten sind eine starke und zukunftssichere Lösung für Werbetreibende, um eine einheitliche Sicht auf die Verbraucher über Plattformen und Geräte hinweg zu erhalten, sodass ganzheitliche Omniscreen-Strategien mit minimaler Verschwendung und optimaler Häufigkeit durchgeführt werden können“, sagt Carsten Schüler, Managing Director von Samba TV Deutschland.
Auch wenn die Hersteller auf ihren Geräten eine einheitliche Sicht auf ihre Nutzer bieten können, sind die Hersteller-Ökosysteme letztlich selbst lediglich ein weiteres Puzzleteilchen in der CTV-Landschaft. Die Zersplitterung der Angebote führt dazu, dass für Advertiser die separaten Buchungen ebenso mühsam sind, wie die Zusammenstellung sinnvoller Reichweiten in gewünschten Zielgruppen. Marketer stehen also vor der Herausforderung, die Daten aus verschiedenen Silos vergleichen zu müssen. Dies ist ohne eine einheitliche und transparente Messung kaum möglich. Zwar stellen kooperierende Vermarkter Nielsen Brutto-Werbedaten, zu den von ihnen vermarkteten Video-Streaming Diensten wie RTL Plus oder Joyn, zur Verfügung. Doch um einen Komplett-Überblick über die vielen Inhalte zu bekommen, müssten alle Anbieter Transparenz schaffen und eigene Daten mit einbringen. Eine andere Möglichkeit wäre die technische Messung der Anbieter, was jedoch anhand der unterschiedlichen Plattformen und Endgeräte sehr komplex wäre.
AGF und Nielsen stoßen an Grenzen
Über die AGF-Streaming-Messung mit Nielsen werden dem Markt bereits seit 2014 contentbezogene Streaming-Nutzungsdaten bereitgestellt. Hier fließen die Nutzungen über alle Geräte und Angebote ein, die von den Anbietern vertaggt wurden. „Im Gegensatz zu TV ist bei der Streaming-Messung mit Nielsen ein aktives Zutun der Anbieter nötig, indem sie in die zu messenden Angebote eine Messbibliothek implementieren“, erläutert Kerstin Niederauer-Kopf, Vorsitzende der Geschäftsführung AGF Videoforschung. Derzeit beteiligen sich Broadcaster und Streaming-Plattformen wie Joyn und kleine Streaming-Angebote an der Messung, die für alle Anbieter offen steht. Eigenen Angaben zufolge führt die AGF auch regelmäßig Gespräche mit weiteren potenziellen Lizenznehmern.
Eine weitere Möglichkeit der Streaming-Messung unter dem AGF-Dach ist die 2019 gestartete Messung via Routern im AGF-Panel mit der GFK. Es handelt sich hierbei um eine passive Messung. Die AGF weist daraus bereits hochaggregiert Daten für Netflix, Prime Video, Disney+ und Youtube an Smart TV-Geräten aus. „Gemessen werden aber viele weitere Videoplattformen wie zum Beispiel auch Rakuten TV“, erläutert Niederauer-Kopf. Aktuell findet nur eine Ausweisung der reichweitenstärksten Angebote statt. Die Messung soll perspektivisch auf alle Geräte ausgeweitet werden. Niederauer-Kopf zufolge hat dieses Projekt – das auf einer passiven Messung beruht, bei der die gemessenen Anbieter also nicht selbst aktiv werden müssen, um gemessen zu werden –, grundsätzlich das Potenzial, den Marktbedürfnissen entsprechend erweitert zu werden.
Unabhängige Content-Anbieter werden Inhalte maximal verteilen
Wie sich die CTV-Landschaft weiter entwickeln wird, ist indes ungewiss. Marktbeobachter gehen von einem Wachstum aus, mit einer weiteren Verschiebung der Nutzerzahlen vom linearen TV hin zu Streamingdiensten. „Da sich die tägliche Nutzungszeit des TV aber nicht ändert, sondern sich nur von linearen zu Streaming-Angeboten verschiebt, gilt dies gleichermaßen auch für die Werbebudgets, auch wenn es länger dauert, bis diese nachziehen“, sag Ronny Lutzi. Er ist Mitbegründer und CEO von Foxxum, einem Anbieter von CTV-Betriebssystemen für TV-Hersteller, und Rlaxx TV, einem werbefinanzierten Streaming-Service. Dabei handelt es sich um ein Premium-Nischen-Angebot, das über klassische Blockbuster und Serien hinausgeht. Die Inhalte werden in kuratierten Kanälen zusammengestellt, um dem Zuschauer im Dschungel des Angebotes stundenlanges Suchen zu ersparen.
Mit Foxxum CTV OS bietet das Unternehmen ein unabhängiges TV-Betriebssystem. Während einige TV-Hersteller über eigene, proprietäre Betriebssysteme verfügen, nutzen andere TV-Marken lizenzierte Systeme von Drittanbietern wie das von Foxxum, das Angaben des Unternehmens zufolge mehr als 25 Millionen angeschlossene Fernseher weltweit erreicht. „Der entscheidende Faktor im Wettbewerb der Anbieter wird zukünftig die Tiefenintegration des Services in das OS der CTVs sein“, ist Lutzi überzeugt. Der Experte geht davon aus, dass künftig alle unabhängigen Inhalteanbieter versuchen werden, ihre Inhalte maximal zu verteilen.
Viele Hürden für Mediaeinkäufer
Für Agenturen macht dies die Arbeit nicht gerade leichter. So sieht Sascha Dolling, General Manager der Mediaplus Group, zwei zentrale Herausforderungen für das Streaming auf dem Big Screen: die Fragmentierung einerseits und die noch geringen, werblich nutzbaren Reichweiten andererseits. „Während insbesondere die großen Streaming-Anbieter vielfach noch werbefrei sind, sind Reichweiten der buchbaren Umfelder häufig noch zu gering, um wirklich reichweitenstarke und damit wirksame Kampagne auszuliefern“, so der Digital-Experte. Technische Besonderheiten je Anbieter und eine strukturelle Bevorzugung von klassischen, garantierten Buchungsformen jenseits eines echten Programmatic Advertising würden in der Planung oft zu einem kleinteiligen Flickenteppich führen – mit hohen manuellen Aufwänden gemessen an der Gesamtreichweite. „Eine echte Alternative zum linearen TV ist CTV damit zumindest als Werbekanal noch lange nicht“, sagt Dolling.
Neben der nötigen Steigerung der Reichweite ist es aus Sicht des Experten auch wichtig, dass sich der Gesamtmarkt für programmatische Abwicklungsformen öffnet. „I/O-Buchungen und Programmatic Guaranteed sind einfach keine zeitgemäßen Buchungsformen, die für Werbetreibende große Hürden hinsichtlich einer holistischen, datengestützten Mediasteuerung bedeuten“, sagt Dolling. Somit zeigt sich: Strukturelle Hemmnisse und technische Insellösungen ziehen bisher eine eher kleinteilige Mediaplanung nach sich. Bis aus den vielen, kleinen Inseln eine große, übersichtliche Streaming-Landschaft wird, dürfte noch einige Zeit ins Land gehen.
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