Bereits vor über zehn Jahren kristallisiere sich Video als einer der Haupttreiber der digitalen Werbung heraus. Seitdem sind die Spendings in dem Bereich exorbitant gestiegen – sowohl kanal- als auch geräteübergreifend – und es scheint weiterhin kein Ende in Sicht. Doch mit dem Schwinden des Third-Party-Cookies und der Sensibilisierung der Bevölkerung wie Gesetzgebung für Datenschutz steht Video wie alle anderen Werbedisziplinen vor der Herausforderung, Targeting neu zu denken. Vor allem mit der Digitalisierung des Fernsehens kommt hier ein ganz neuer Aspekt hinzu. ADZINE hat in der Branche nachgefragt, wie “cookieless” die Zielgruppenansprache in der Bewegtbildwerbung bereits ist.
Cookieless in Bewegtbild
Keine Cookies, kein Problem – auf Anbieterseite gibt man sich selbstbewusst. “Die Anbieter im Markt haben sich wie erwartet mit eigenen Lösungen in Position gebracht. Bei Teads können Werbungtreibende heute – genauso wie bei einigen anderen Marktteilnehmern – auf Reichweiten zugreifen, die ohne Drittanbieter-Cookie kreiert werden”, sagt Florian Brill, Strategic Account Director der Mediaplattform, ohne Sorgenfalten. Dort stünden die Branchen-üblichen Audience-Segmente und die gewohnte Inventar-Qualität auch cookieless zur Verfügung. Dafür sorgt unter anderem ein Profiling in Echtzeit, also die Nutzung cookiefreier Daten wie Kontext oder Gerätemodell, und die entsprechende Berechnung von Vorhersagemodellen. Lediglich an einheitlichen Standards in Bezug auf die Targeting-Mechaniken und den Datenschutz hapere es noch.
Auch bei der Empfehlungsplattform Outbrain erweckt es den Anschein, als sei das Problem Third-Party-Cookie bereits bewältigt. “Grundsätzlich arbeitet unsere Plattform vor allem mit First-Party-Daten in Verbindung mit kontextuellen und weiteren, cookieunabhängigen Signalen, um sicherzugehen, dass Anzeigen an möglichst interessierte Nutzer ausgespielt werden”, erklärt Judy Laumayer-Nerzak, Head of Sales des Adtech-Unternehmens. “Wir verfolgen hier den Ansatz, dass eine Vorhersage der Kundenintention besser funktioniert als granulares, demografisches Targeting.” Eigene Daten in Kombination mit Kontext – damit geht Outbrain einen ähnlichen Weg wie Teads.
Auf Agenturseite hört sich das Ganze dann doch etwas anders an. Vor allem alternative ID-Lösungen stellen scheinbar noch keine zufriedenstellende Option für den cookielosen Mediaeinkauf in Bewegtbild dar. “Von ausgereift kann man aktuell sicher noch nicht sprechen”, sagt zumindest Clara Diehl, Director Product Development and Business Transformation der Hamburger Mediaagentur Pilot. Mit Blick auf ID-Lösungen beispielsweise fehle da durchaus noch “das Fleisch am Knochen“. “Die ID-Anteile in den Bid Requests sind in der Regel noch sehr überschaubar, bei hohen Volumina an Bid Requests und maximal durchschnittlichen Kampagnengrößen kann das aber zur Auslieferung einer Kampagne trotzdem ausreichend sein. Parallel sehen wir aber auch, dass die Reichweiten, die wir cookiebasiert bekommen, auch noch ausreichend sind, um durchschnittlich große Kampagnen sinnvoll auszuliefern”, so die Mediaeinkäuferin. Diehl sieht die Gefahr, dass mit dem Wegfall der Drittanbieter-Cookies und dem Schwenk auf alternative Identifier absolute Fragmentierung und Silos entstehen. Die einzelnen Silos, die ID-Anbieter neu aufmachen, müssten daher zumindest sinnvoll miteinander verbunden werden können.
Contextual als Heilsbringer?
Wen man auch fragt, der Begriff Contextual Targeting fällt immer wieder. Neben den ID-Anbietern, die versuchen, das jetzige Prinzip der personenbezogenen Ansprache datenschutzfreundlich in die Post-Cookie-Ära zu übersetzen, gilt kontextuelles Targeting als eine der künftigen Säulen, um Reichweite in der richtigen Zielgruppe sicherzustellen. Dabei sollte es jedoch eher als Ergänzung gesehen werden, meint Clara Diehl. “Die Umstellung auf Kontext ersetzt aus meiner Sicht gar nicht zwangsläufig den Einsatz personenbezogener Daten.” Vielmehr würden diese beiden Ansätze unterschiedliche Schwerpunkte in der Kampagnensteuerung bedienen. “Denn auch wenn wir die Erreichung bestimmter Zielgruppensegmente über eine kontextbasierte Aussteuerung sicherstellen können – und Kontext den Impact von Kommunikation positiv beeinflussen kann –, so braucht es trotzdem eine Art von Identifier, um Kampagneneffizienzen – wie beispielsweise Nettoreichweiten oder Kontaktklassen – zu optimieren”, so Diehl. Das sei schlichtweg über eine rein kontextuelle Aussteuerung nicht möglich.
Beide Ansätze, personen- sowie kontextbezogenes Targeting, haben also selbstredend ihre Daseinsberechtigung. “Für uns ist ganz klar: Contextual ist kein Plan B für Cookie-basiertes Targeting”, so Florian Brill. “Aus unserer Sicht ist Contextual eine komplementäre Technologie, die wir bei Teads abhängig vom Kampagnenziel vor allem strategisch einsetzen, um das Cookieless Audience Targeting sinnvoll zu ergänzen.” Für inhaltliche Sinnzusammenhänge wie beispielsweise Nachhaltigkeit könne es gut eingesetzt werden.
“Letzten Endes möchten beide Ansätze genau die Personen erreichen”, sagt Judy Laumayer-Nerzak von Outbrain. Statt der Inhalte richtet sich zielgruppenspezifisches Targeting eben auf die Präferenzen der Nutzer aus. “Allerdings werden diese Anzeigen nur noch auf Plattformen funktionieren, die auf Nutzerdaten zurückgreifen können. Im Open Web wird aufgrund der reduzierten Möglichkeiten zur Datennutzung das granulare Zielgruppenmarketing abgelöst werden”, prophezeit sie.
Connected TV kennt keine Cookies
Digitale Bewegtbildwerbung spielt sich heutzutage nicht mehr nur auf Desktop-Geräten, Laptops, Tablets oder Smartphones ab – auch das Fernsehen ist inzwischen digital. Der Anschluss an das Internet und das veränderte Mediennutzungsverhalten, von analog linear zu digital on-demand, eröffnen Werbetreibenden bis dato ungeahnte Möglichkeiten. Doch das Targeting steckt hier noch in den Kinderschuhen und stellt die Adtech-Landschaft vor neue Herausforderungen. “Grundsätzlich ist das Targeting im CTV differenzierter zu betrachten als im Web, da es sich bei CTV sich eher um ein Shared Device handelt, was vornehmlich im Wohnzimmer der Audience Content und Werbung distribuiert”, erklärt Olaf-Norman Brandt, Head of Business Development Supply & Partnerships DACH der Video-Komplettlösung Showheroes. “Es handelt sich um eine Cookieless-Situation, wodurch Contextual-Targeting primär relevant ist.”
Sein Unternehmen nutzt eigene Technologie, um Werbung kontextuell und automatisiert auszuspielen, auch in Echtzeit. Die Datenbasis dafür liefern Informationen der Sender wie EPG-Daten (Electronic Program Guide), die abseits von Adtech dazu verwendet werden, um dem Zuschauer das Programm vorzustellen. App-Namen oder Kategorien wie Sport sind ebenfalls hilfreich. Publisher können weitere Metadaten zur Verfügung stellen. “Für uns ist die kontextbezogene Verwendung von Metadaten nach wie vor die wichtigste Strategie, da wir anhand dieses Textes nicht nur die grundlegende Kategorie des Videos besser verstehen können, sondern auch die Stimmung und die Themen darin, was uns viel differenziere Targeting-Optionen bietet”, so Brandt. Für die Zukunft seien Technologien wie Object-Recognition oder Automatic Content Recognition (ACR) spannend, die bestimmte Pixel des Videos abtasten oder den Ton erkennen.
Bei der Agenturgruppe JOM teste man unterschiedliche Ansätze bei diversen Kunden. “Das geht, neben den Walled Gardens, zum einen über kontextuelles beziehungsweise Umfeld-Targeting im Bereich von ATV – Spotüberblendung – bis hin zu Storytelling-Ansätzen auf dem großen Screen mit Technologieanbietern wie Samsung oder Samba TV”, verrät Henning Ehlert, Managing Director der JOM Group. “Wichtig finden wir, dass solche Tests dann nicht über Performance-Indikatoren wie Klicks, Klickraten, View-Through-Rates et cetera bewertet werden, sondern über eine kampagnenbegleitende Marktforschung, die eher in Richtung der Markendimensionen ausgelegt sind.” Eine interessante Idee sehe seine Gruppe darüber hinaus im choicebasierten Targeting von Welect. Der Adtech-Anbieter stellt Konsumenten verschiedene Spots zur Auswahl, für die sie sich entscheiden können.
TV-Werbedollars geben Ansporn
TV bleibt sowieso ein Sonderfall, schließt Clara Diehl. “Bei der programmatischen Auslieferung von CTV-Kampagnen sind wir in der Regel auf pretargeted Deals angewiesen und auch eine übergreifende Frequency-Capping-Steuerung ist je nach Kampagnen-Setup nur bedingt möglich.” Der Wermutstropfen: Es gibt wohl kaum ein anderes Feld, das von den Adtech-Playern derart mit Argusaugen verfolgt wird, wie der Emporkömmling Connected TV. Das Errichten der nötigen Infrastruktur stellt Anteile am Kuchen der großen TV-Gelder in Aussicht. Dementsprechend ist auch das Interesse groß, Advertisern hier funktionierende Werbeprodukte zu liefern – und das schließt Targeting mit ein.
Tech Finder Unternehmen im Artikel
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