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PROGRAMMATIC

Ist die Zeit reif für das Beste aus Platform & I/O?

Ghanem Awn, 5. Juli 2022
Bild: Vardan Papikyan - Unsplash

Programmatic Buying und Selling hat über die letzten Jahre seinen Anteil am digitalen Mediabudget in Deutschland stetig auf heute etwa 60 Prozent gesteigert. Diese Entwicklung hat etwa zehn Jahre gedauert und wurde anfänglich insbesondere auf der Medienseite von viel Zweifel und Skepsis begleitet. Fakt ist auch, dass nach wie vor ein großer Teil, eben etwa 40 Prozent, der Budgets direkt und damit weitgehend manuell und daher ineffizient platziert werden.

Betrachtet man die Großwetterlage in der Media- und Datenwelt, könnte der Anteil der I/O-Buchungen sogar schon bald wieder wachsen, da sich die Rahmenbedingungen für Programmatic Buying aktuell eher verschlechtern als verbessern. Die Bedenken in Bezug auf den Datenschutz, die schwindende Verfügbarkeit von Third-Party-Cookies, fehlende Ad-Qualität in Open Markets und die begrenzten maschinellen Zugriffsmöglichkeiten auf Inventare werden zunehmend zu einem Engpass.

Können die zentralen Vorzüge des Programmatic Buying in Gestalt des präzisen Profil-Targeting über große Reichweiten mit messbaren Ergebnissen nicht länger geliefert werden, sind die Tech-Fees für Programmatic nur noch schwer zu rechtfertigen. Das gilt für die Buy-Side wie auch die Sell-Side.

Publisher rücken in den Fokus

Während die Targeting-Informationen und das Audience-Wissen bisher überwiegend auf der Buy-Side lag und die Medien quasi als Profil-Selbstbedienungsladen für Advertiser dienten, wird in Zukunft kaum etwas ohne die Daten der Publisher gehen. Ob Contextual oder First-Party-Nutzerdaten mit entsprechendem Consent – die Veredelung der Medialeistung wird nur mit dem Know-how des Publishers stattfinden.

Eines dürfte allerdings klar sein. Selbst wenn sich der Markt zugunsten der Publisher dreht, wollen weder Agenturen, Advertiser noch Vermarkter mit ihren bisher programmatischen Budgets zurück zum händischen Mediabusiness.

Das bedeutet, dass das I/O-Business technologisch aufgerüstet und stärker automatisiert werden muss. Das operative Geschäft muss dabei fundamental an Effizienz gewinnen, Kampagnen-Optimierung vereinfacht werden. Gleichzeitig müssen durch die aktuellen Umstellungen der Branche First-Party-Daten von Advertisern aktiviert werden können, um die Attraktivität für Advertiser sicherzustellen, insbesondere auch hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit mit den Produkten der großen Walled Gardens.

Gleichzeitig müssen die Transparenz direkter Kunden- und Lieferantenbeziehungen sowie Garantien gewährleistet bleiben und damit einhergehend der Verlust von Gebühren an Zwischenhändler minimiert sowie der Grad an Working-Media maximiert werden. Diese unabhängige Plattform muss Vorteile für Käufer wie Verkäufer bringen und eine Alternative zu den Walled Gardens darstellen, damit die Mediabudgets innerhalb des unabhängigen Media-Markts gesteigert werden können.

Programmatic und I/O verschmelzen

Für die meisten Marktteilnehmer wird Programmatic und I/O auch weiterhin parallel existieren. Beide Disziplinen ergänzen sich und werden sich zunächst getrennt voneinander innerhalb des Adtech-Ökosystems weiterentwickeln.

I/O-Buchungen werden dabei im Hinblick auf Automatisierung einen Schub bekommen. Aufgrund von steigenden digitalen Mediabudgets und weiter zunehmender Komplexität durch Multichannel-Ansätze entsteht eine Notwendigkeit für mehr Effizienz in der Abwicklung. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass klassische I/O-Umfeldbuchungen durch die Cookie-Veränderungen übergangsweise eine Renaissance erleben werden.

Mittelfristig werden beide Handelsdisziplinen technologisch weiter miteinander verschmelzen. Das wird sich zunehmend auch in den Plattformen widerspiegeln. Aus Anwendersicht wäre das ein Idealszenario. Wie gut und wie schnell bleibt abzuwarten, da beide Wege ursprünglich unterschiedlichen Ansätzen entstammen. Für die Plattformanbieter steigert eine Zusammenführung den Aufwand und die Komplexität weiter. Deshalb ist fraglich, ob es wirtschaftlich ist, eine Alleskönner-Technologie permanent und für jede Eventualität vorzuhalten, oder ob sich nicht Publisher wie auch Einkäufer eher an dem Kern ihres Geschäfts und Medienkanals orientieren und danach auch die entsprechende spezialisierte Technologie für ihren Geschäftsschwerpunkt auswählen sollten.

Für die Daseinsberechtigung mehrerer Plattformen, die auf ein bestimmtes Thema spezialisiert sind, spricht neben der Automatisierung weiterer Mediakanäle, dass durch den Wegfall eines zentralen Userprofilings im Bereich Programmatic zusätzliche Silos entstehen.

Automatisierte I/O-Buchung nimmt international Fahrt auf

Auf internationaler Ebene gibt es zum Beispiel bereits Technologien, die ausschließlich auf die automatisierte Abwicklung von I/O-Buchungen spezialisiert sind und ihre Technologie der Einkaufs- sowie der Verkaufsseite für eine effizientere und intelligentere Abwicklung von I/O-Mediabudgets bereitstellen. Für diese Disziplin gibt es noch keine einheitlich geltende Bezeichnung, diese lautet beispielsweise “Premium Direct” oder “Automated Direct”.

In großen Märkten mit sehr ausgeprägten Publisher- und Agenturstrukturen werden sich lokale Anbieter und Initiativen dem Thema ebenfalls widmen und an Lösungen arbeiten, um die dortigen Anforderungen zu bedienen. Eine gewisse internationale Kompatibilität, so wie es sich im Bereich Programmatic Advertising stufenweise etabliert hat, ist allerdings empfehlenswert, damit man weiterhin an globalen Maßnahmen und Budgets partizipieren kann. Das heißt, ein Blick über den Tellerrand ist in jedem Fall zu empfehlen.

Die weitere Entwicklung von Programmatic Advertising und dem I/O-Business bleibt abzuwarten. Aufgrund der sich gerade stark ändernden Rahmenbedingungen ist es tatsächlich denkbar, dass es für viele Marktteilnehmer die Reise wieder stärker in Richtung I/O geht.

Bild Foto: Ghanem Awn Über den Autor/die Autorin:

Ghanem Awn hat die letzten zwei Jahrzehnte damit verbracht, Unternehmen im Bereich Digital Advertising und Platform Technology aufzubauen. Er verfügt über eine nachgewiesene Erfolgsbilanz bei der Gründung und Entwicklung von strategischen Geschäftseinheiten und kommerziellen Kooperationen mit Start-ups, Konzernen und globalen Partnern. Bevor er als Managing Partner zu Polarisfactor kam, war er COO der Yieldlab AG (übernommen von ProSiebenSat1 SE). Vor seiner Zeit bei Yieldlab war Ghanem Awn zudem als Senior Key Account Manager EU bei DQ&A Incubeta für die strategische Partnerschaft mit Google Doubleclick verantwortlich. Awn ist Mitglied im Beirat der Elli Academy. Für die Adtrader Conference fungiert Awn als Industry Advisor.

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