Der technische Fortschritt im Zuge der Digitalisierung steigt bekanntermaßen exponentiell. Das Problem dabei: Während Maschinen über ein Update auf den neusten Stand gebracht werden können und – zumindest theoretisch – über unendlich viel Speicherplatz verfügen, gilt beides nicht für den Menschen. Neue Dinge müssen gelernt und angewandt werden, damit sich Wissen verfestigen kann und selbst wenn man den Faktor Zeit außer Acht ließe, hat das Gehirn letztendlich eine natürliche Grenze für Wissen, das es aufnehmen kann. Das hat auch Folgen für alle Marktteilnehmer und vor allem die Talente in der Digitalbranche, die sich in zwei Thesen veranschaulichen lassen.
Digitale Universalgenies sterben aus
Die Zeit, in der „Online“ als Below-the-fold-Kanal eine Randerscheinung in der Mediawelt darstellte, ist selbstredend schon lange vorbei. Wie der German Digital Advertising Latecast im vergangenen Jahr bereits gezeigt hat, entfielen deutschlandweit 53 Prozent aller Werbeausgaben auf digitale Kanäle. Der Anstieg der Budgets hängt auch mit der Vervielfältigung der Angebote zusammen. Auf der einen Seite sind gänzlich neue Kanäle wie Search oder Social entstanden, auf der anderen Seite werden ursprünglich klassische Kanäle wie Out-of-Home (OOH) oder TV zunehmend digitalisiert. Auch die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten pro Kanal verändern sich stetig.
Reichte für einen Social-Media-Experten früher noch die Bedienung von Facebook aus, so muss er heute auch Tiktok, Instagram und Snapchat verstehen, bedienen und beraten können. Ging es in der Anfangszeit von Search noch vor allem darum, die günstigsten Preise für ein Keyword zu erreichen, kann man heute komplexe Retargeting- und Messaging-Strategien umsetzen, indem man die unterschiedlichen Google-Tools miteinander verbindet. Gerade mit Etablierung des programmatischen Ökosystems hat diese Entwicklung in der jüngsten Zeit noch einmal Fahrt aufgenommen. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass ein neues Feature in der Systemlandschaft gelauchnt wird oder ein gänzlich neuer Anbieter mit einem neuen Ansatz den Markt betritt.
Die Tage, an denen ein einzelner Mensch als dies überblicken konnte, sind endgültig gezählt. Vielmehr ist es von entscheidender Wichtigkeit, absoluter Experte in einer Einzeldisziplin zu werden. Gewinner werden diejenigen Konstrukte sein, die es schaffen, solche Fachexperten bestmöglich miteinander zu vernetzen und die unterschiedlichen Disziplinen zu orchestrieren, ohne dabei den notwendigen Tiefenblick für die jeweilige Fachrichtung zu verlieren. In dem Zusammenhang sage ich eine Abkehr von Aggregaten wie „Online Marketing Manager“ oder „Digital Planner“ voraus. Vielmehr wird es neben den Experten der Einzeldisziplinen digitale Projektmanager geben, die die Stränge bei internen wie externen beziehungsweise Kundenprojekten zusammenführen. Auch unter dem Stichwort „Fachkarriere“ bleibt es spannend zu beobachten, wie Unternehmen diesem Spagat begegnen werden.
Zusammenfassend kann man sagen: Zukünftig muss jeder ein bisschen was von allem Digitalen verstehen müssen, aber keiner wird alles von allem Digitalen verstehen können.
Agenturen nehmen die Ausbildung von Fachkräften stärker selbst in die Hand
Gleichzeitig sieht sich die Branche mit einem nie dagewesenen Fachkräftemangel konfrontiert. Jeder, der in der HR-Abteilung einer Mediaagentur sitzt oder selbst auf der Suche nach digitalen Talenten für sein Team ist, weiß, dass der „war for talents“ nicht nur eine übertriebene Phrase ist. In der Tat kann einen die Suche nach einem passenden Kandidaten schnell verzweifeln lassen. Die Nachfrage wächst nicht nur vertikal, also zusammen mit der zunehmenden Nutzung und Entwicklung digitaler Kanäle, sondern auch horizontal durch die breiter gewordene Palette an nachfragenden Unternehmen. Neben den Agenturen sind dem Trend nach vor allem die Beratungshäuser, aber auch Kunden selbst, verstärkt an digitalen Mediaexperten interessiert. Dadurch wird nicht nur die Suche erschwert – der ausgedünnte Pool an potenziellen Talenten lässt außerdem die Gehälter nach oben schießen.
Unternehmen befinden sich in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite möchte man ein faires Gehaltsgefüge auch gegenüber bestehenden Strukturen nicht gefährden, selbst wenn man sich wirtschaftlich in der Lage sieht, den Anstieg mitzugehen, auf der anderen Seite überbietet einen der Wettbewerb im stetigen Buhlen um digitale Kompetenzen.
In der Folge werden sich Agenturen noch stärker als zuvor im Bereich Education engagieren müssen. Neben der klassischen Ausbildung von Berufsstartern werden Umschulungs- und Quereinsteigerprogramme in den Fokus von HR und Geschäftsführung rücken.
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