Wie Axel Springer sein datengetriebenes Werbegeschäft zukunftssicher macht
Anton Priebe, 13. Juni 2022Die Publisher-Landschaft in Deutschland steht aktuell vor der großen Herausforderung, ihr digitales Business zukunftssicher zu machen. Dabei liegt der Fokus vor allem auf dem Thema Daten. Technologische Veränderungen im Markt, die Abkehr von Third-Party-Cookies und zunehmende Verschärfungen im Datenschutz erfordern Maßnahmen, um das eigene Werbegeschäft am Laufen zu halten. Dabei hilft der Blick auf die Mitstreiter, um die richtigen Weichen zu stellen. Axel Springer gilt unbestritten als einer der Vorreiter, wenn es ums Digitalgeschäft geht. Christopher Reher ist als General Director Data bei der Axel Springer All Media (ASAM) verantwortlich für die Datenstrategie der Verlagsgruppe und kümmert sich unter anderem um die entsprechende Infrastruktur. Gegenüber ADZINE erklärt der Programmatic-Experte und BVDWler, wie sich der Springerverlag auf die datenärmere Zukunft vorbereitet.
ADZINE: Hallo Christopher, was siehst du aktuell als die größten Herausforderungen für Publisher im Werbegeschäft an?
Christopher Reher: Im Moment sind dies vor allem die massiven Marktveränderungen, die das nahende Ende der Third-Party-Cookies hervorruft. Der Fokus verschiebt sich dadurch nun auf First-Party-Daten. Ein besonderes Augenmerk wird hier auch wieder auf großen Tech-Unternehmen liegen und den entsprechenden Regulierungsbemühungen in der EU.
Daneben ist das laufende Verfahren in Belgien zum Transparency and Consent Framework (TCF) und dessen Weiterentwicklung ein großes Thema. Dabei freuen wir uns im Allgemeinen, dass immer mehr Marktteilnehmer eine aktivere Rolle einnehmen und in den Diskurs einsteigen.
ADZINE: Welche davon setzen eine Transformation des Werbeökosystems insgesamt voraus?
Reher: Aus meiner Sicht sollte sich das Werbeökosystem in einer ständigen Transformation befinden, um nicht an Agilität zu verlieren. Das Ausscheiden der Third-Party-Cookies hat die größte Hebelwirkung für die Transformation des Werbeökosystems. Zum einen wird dadurch der Dialog mit dem Nutzer und Kunden immer wichtiger und es gilt Vertrauen zu schaffen, zu bestärken und auszubauen. Gleichzeitig müssen Unternehmen die eigene Art der Datennutzung und -vorhaltung überdenken und gemeinsam an tragfähigen Lösungen arbeiten, um im Wettbewerb mit den großen Tech-Plattformen zu bestehen.
Das Verfahren rund um das TCF ist schwerer zu greifen, aber nicht minder relevant. Hier geht es darum, dass der einzige Standard zur Übermittlung von Consent-Signalen infrage gestellt wird. Wichtig zu verstehen ist, dass es nicht um den gesamten Standard geht, sondern eben nur um einen Teil davon. Hier wird es sicher auch zu Veränderungen kommen.
ADZINE: Welche Maßnahmen habt ihr selbst bislang ergriffen, um euer digitales Business für die Zukunft sicher aufzustellen?
Reher: Wir haben uns sehr früh entschieden, dem Thema Daten eine strategische Bedeutung zu geben. Wir haben schnell den Schritt in Richtung First-Party-Daten gewagt, eine einheitliche Datenstrategie für die Vermarktung aufgesetzt und konnten so vor die Welle kommen. Das, was andere jetzt mühsam und hektisch aufbauen, ist bei uns bei Axel Springer schon seit einiger Zeit Standard. Wir sind das wahrscheinlich einzige Medienhaus, das umfassend und über alle Kanäle First-Party-Data einsetzen kann und Lösungen mitbringt, von denen unsere Partner, aber eben auch die Nutzer, profitieren.
Unser ASAM Data Stack basiert auf unseren eigenen Techstacks in Verbindung mit Lösungen unserer Partner 1plusx und Infosum. So gelingt es uns, alle Elemente aus unserem Vermarktungskosmos zu verbinden. Dabei umfasst es zum einen unsere Marken wie Bild und Welt sowie Themen wie DOOH, TV und Marktforschung.
Wir haben mittlerweile mehr als 70 Millionen Profile, die wir über alle Kanäle und Browser über First-Party-Daten ansprechen können und unseren Partnern so eine einmalige Kombination von Reichweite, Inhalten und Performance bieten. Wir sehen hier verlässliche Anstiege von 70 bis sogar 200 Prozent der relevanten Targeting-Metriken. Dies umfasst alle gängigen Targeting-Arten und wir können jederzeit Sonderlösungen erzeugen.
Für jene Partner, die ihre eigenen Daten ebenfalls in Kampagnen einbringen wollen, haben wir die Möglichkeit geschaffen, über die Nutzung von Data Clean Rooms, rechtssicher Daten zusammenzubringen und Kampagnen so noch besser auf die Zielgruppen der Partner zuzuschneiden. Mit der Infrastrukturlösung von Infosum ermöglichen wir außerdem eine vernetzte Datenkollaboration, die für die Partner Automatisierung, Skalierung und gleichzeitig maximale Sicherheit beim Handling von Daten und bei deren werblicher Aktivierung bietet.
ADZINE: Welche Maßnahmen habt ihr künftig noch geplant?
Reher: Unser Fokus liegt für das zweite Halbjahr 2022 darauf, möglichst viele Cases umzusetzen und sicherzustellen, dass wir unseren Partnern für die Zeit nach dem Third-Party-Cookie bestmögliche und funktionale Lösungen bieten.
Unser Ziel ist, dass die Budgets zukünftig nicht nur noch in Richtung der Plattformen gehen, sondern hier eine starke und verantwortungsvolle Basis für die zukünftige Zusammenarbeit des freien Marktes geschaffen wird.
Gleichzeitig arbeiten wir aktiv an weiteren Lösungen, die KMUs aktiv helfen und ihnen Zugang zu bester Werbung mit maximaler Reichweite und einem starken Erinnerungseffekt geben. Wir haben ebenfalls Projekte in der Bearbeitung, die sich spezifisch mit den Sorgen kleinerer Publisher befassen, und bemühen uns aktiv darum, dass der freie Markt nicht nur in Wort, sondern auch in Tat und Technologie zusammenwächst. Wir streben ein Angebot an, das diesen Marktteilnehmern die Sorgen vor der Zukunft nimmt und ihnen Zugang zu den herausragenden technologischen Lösungen und der geballten Power unserer Experten gibt.
ADZINE: Inwiefern ist hier auch Bewegung bei den anderen Marktteilnehmern erforderlich?
Reher: Wir können die Marktveränderungen nicht allein bestreiten. Und freuen uns, wenn weitere Markteilnehmer uns dabei unterstützen und sich ihrer Verantwortung und Teilhabe bewusst werden. Das fängt an bei Werbetreibenden, die in Zukunft selbst große First-Party-Datenproduzenten werden und gleichzeitig mit Budgetentscheidungen den Markt beeinflussen. Das betrifft die Agenturen, die eng an der Seite ihrer Partner stehen und vor der Herausforderung stehen, proaktiv neue Lösungen zu finden. Es betrifft die Intermediäre, die sich mit der neuen Realität – gerade auch in der Frage der Datenproduktion und -nutzung – arrangieren müssen. Und es betrifft auch die Publisher, die am Ende nur gemeinsam den freien Markt und damit die Medienvielfalt erhalten können.
ADZINE: Wo siehst du am meisten Bedarf für Innovation, um als Publisher weiterhin attraktive Zielgruppenprodukte anbieten zu können?
Reher: Publisher sollten sich die Mühe machen, First-Party-Daten rechtssicher zu erheben, zu nutzen und daraus Schlüsse zu ziehen. Publisher müssen aktiv in den Dialog mit ihren Nutzern treten und Inhalte anbieten, für die Nutzer bereit sind, auch langfristig Datennutzung zu erlauben. Damit stärken sie die Eigenständigkeit und Herrschaft über ihr Geschäftsmodell, und auch die direkte Verbindung zu ihren Nutzern und überlassen diese nicht den Plattformen.
Zukünftig wird der Trend ebenfalls zur dezentralen Datenvorhaltung gehen. Auf diese Weise minimiert man das Potenzial von “data breaches”, erhält aber gleichzeitig die Aktivier- und Vermarktbarkeit.
Insgesamt sind die Publisher Treiber des Marktes und in einer positiven Position, um den freien Markt zu erhalten und langfristig zu stärken.
ADZINE: Danke dir für das Interview!
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