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ONLINE VERMARKTUNG

Dinosaurier T-Online – Tech und Qualitätsjournalismus kontern den Untergang

Anton Priebe, 17. Mai 2022
Bild: Huang Yingone – Unsplash

T-Online kann getrost als ein Dinosaurier des deutschen Internets bezeichnet werden und für nicht Wenige symbolisierte es in den Neunzigerjahren das Tor ins World Wide Web. Seit 2015 befindet sich T-Online nicht mehr in den Händen der Telekom, sondern unter den Fittichen von Ströer. Zwei Jahre nach der Übernahme ist die Redaktion des Nachrichtenportals von Darmstadt nach Berlin gezogen und wurde von Grund auf saniert. Heute blickt Marc Schmitz, CEO der Ströer Content Group, auf eine Digitalredaktion aus 150 Leuten, ein Hauptstadtbüro für die politische Berichterstattung und erfolgreiche Recherchen, wie die zu Manuela Schwesigs ominöser Klimastiftung, die sogar von der Washington Post zitiert werden. Im Interview spricht Schmitz über diese Entwicklung hin zu einem ernstzunehmenden Nachrichtenmedium, die Vermarktungsansätze des Portals sowie die Technologieinfrastruktur dahinter.

Bild: Ströer Marc Schmitz, Ströer Content Group

ADZINE: Hallo Marc, T-Online erscheint seit kurzem in einem neuen Look. Warum habt ihr euch dazu entschieden? Handelt es sich dabei um eine kosmetische Überarbeitung oder steckt mehr dahinter?

Marc Schmitz: Als wir T-Online 2015 von der Telekom übernommen haben, war es ein aus der Zeit gefallenes General-Interest-Portal mit sinkenden Reichweiten und drohte auf Sicht den Yahoo-Tod zu sterben.

Wir haben dann entschieden, das Ruder hart rumzureißen, mit dem Ziel, aus T-Online die führende Nachrichten- und Medienmarke Deutschlands zu machen. Dass dies kein Sprint, sondern ein Marathon ist, war uns immer klar, und der erste Schritt war für uns der Aufbau einer neuen Redaktion in der Hauptstadt, die neue publizistische Standards setzen sollte.
Mit Florian Harms an der Spitze ist uns dies in den letzten Jahren sehr gut gelungen. T-Online hat deutlich an Relevanz zugelegt, wird mittlerweile viel zitiert und ist auf Augenhöhe mit anderen publizistischen Nachrichtenmarken.

Der nächste Schritt war, die etwas angestaubte Seite in eine top-moderne Plattform zu überführen: Im Rahmen eines umfassenden Produkt-Relaunches haben alle Kanäle einen vollständig neuen Digitalauftritt mit neuen Funktionalitäten, neuer Optik und erweiterten Services erhalten. Die komplette, 25 Jahre alte Tech-Infrastruktur wurde dafür ebenfalls von uns erneuert und zukunftsfähig aufgestellt. Man darf nicht vergessen: T-Online ist eine der ältesten Websites Deutschlands. Die technische Infrastruktur war dementsprechend in die Jahre gekommen.

Dem Relaunch ging ein dreijähriger Entwicklungsprozess voraus. Bei Design und Usability haben wir viel angeschoben. Die Seiten sind nicht nur klarer strukturiert, sie laden auch sehr viel schneller. T-Online ist nun auch optisch eindeutig als große Medienmarke erkennbar.

ADZINE: Nachrichten können nur entstehen, wenn sie finanziert werden. Wie sollte man heute strategisch an die Vermarktung eines Newsportals herangehen? Welche Strategien zur Monetarisierung eurer Inhalte verfolgt ihr?

Schmitz: Wir setzten auf das werbefinanzierte Reichweitenmodell. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist, dass wir an keiner Stelle wie ein klassischer Verlag funktionieren. Wir sind ausschließlich auf digitale Workflows ausgelegt. Das macht uns beweglich und ermöglicht, dass wir unsere Vorhaben schnell vorantreiben. Wir schaffen in fünf Jahren, wofür andere wohl doppelt so lang brauchen.

Ich denke, dass wir mit T-Online ein Beispiel dafür sind, dass man mit digitalem Journalismus – auch ohne Bezahlschranke – sehr profitabel sein kann. Und wir glauben daran, dass das gut für Deutschland ist. Journalismus darf kein Elitephänomen werden. Indem wir unsere Beiträge kostenlos anbieten, leisten wir einen Beitrag zur Bewahrung einer gut informierten Bürgergesellschaft.

ADZINE: Welche Bedeutung hat Programmatic Advertising für T-Online? Wie hoch ist der programmatische Anteil eurer Vermarktung?

Schmitz: Programmatische Vermarktung nimmt einen immer höheren Stellenwert ein. In den USA werden mittlerweile 90 Prozent aller Werbeflächen programmatisch vermarktet – bei uns sind es bereits über 50 Prozent und die Tendenz ist weiter steigend. Allerdings gibt es bei uns neben der programmatischen Vermarktung nach wie vor ein sehr starkes IO-Geschäft und programmatische Vermarktung ist ja auch nicht gleich programmatische Vermarktung – das Spektrum reicht ja von Private Deals und Fixprice Deals über Private Auctions und Open Auctions.

In der Ströer-Gruppe gibt es dafür eigene Experten, die an den verschiedenen Komponenten für einen vollautomatisierten und individualisierten Ein- und Verkauf von Werbeflächen in Echtzeit arbeiten. Davon profitiert auch T-Online.

Programmatische Vermarktung ist also essenziell – sowohl die damit verbundenen Targetingfähigkeiten als auch der möglichst breite und leichte Zugang für Werbetreibende zu unserem Inventar. Bei uns liegt der Fokus allerdings nicht mehr so stark auf dem Ausbau des programmatischen Inventars – hier ist nahezu alles, was wir zugänglich machen möchten, auch buchbar – sondern eher auf der immer smarteren Verzahnung von Programmatic- und IO-/Konzeptgeschäft und darauf, kontinuierlich mehr Hoheit über die programmatische Vermarktungskette bei Ströer und bei der T-Online anzusiedeln.

ADZINE: Wie seid ihr technologisch dafür aufgestellt, also wie sieht euer Adtech-Stack aus?

Schmitz: Da profitieren wir ebenfalls von den Synergien aus der Ströer-Gruppe. Mit unserer eigenen Hardware greifen wir auf einen Technologiekern „Made in Germany“ zurück – dieser beinhaltet eine Supply-Side-Platform, einige Funktionalitäten eines Adservers sowie eine Data Management Platform inklusive Daten-Poll und Targetingtechnologien. Das Header-Bidding auf Basis des sehr erfolgreichen Modells von Yieldlove ist dort implementiert und auch Seeding Alliance wickelt darüber den automatisierten Verkauf von Native Ads für T-Online ab. Und auch die In-App- und die ganzheitliche Videovermarktung läuft darüber. Außerdem haben wir vor kurzem erst unsere Partnerschaft mit Taboola bis 2028 verlängert.

Den Relaunch und den damit verbundenen Wechsel auf ein neues System haben natürlich auch zur Optimierung des Vermarktungssets genutzt. Das neue Setup ist nicht nur in technischer Hinsicht besser. Das Gesamtsystem ist so flexibel, dass wir jederzeit skalieren und in alle Richtungen reagieren können. Speed spielt dabei ebenfalls eine herausragende Bedeutung. Wir haben nicht nur unsere Seiten viel schneller gemacht, sondern eben auch die Werbung, was natürlich zu besseren Auslieferungs- und Visibilitywerten beiträgt.

ADZINE: Was tut ihr, um eure Daten optimal zu vermarkten?

Schmitz: Den Kern der digitalen Vermarktung bildet das Geschäft der zielgruppengenauen Werbeaussteuerung – sowohl daten- als auch umfeldgetrieben.

Wir haben dafür bei unseren Publishern eine Content-Engine geschaffen, die wir dazu nutzen können, die passendsten Umfelder für unsere Werbekunden ausfindig zu machen und zu bespielen. Wir können so zu nahezu jedem Thema die Daten in Real-Time ziehen: Wie performt ein Thema, wie ist die Saisonalität, wie entwickeln sich die Reichweiten in der Zukunft? Und diese Intelligenz nutzen wir direkt im Produkt, um Themen-Cluster und Recommendation zu bauen – und starke Vermarktungs-Specials zu schaffen.

Die größte Herausforderung ist aber die grundlegende Veränderung des digitalen Ökosystems bei der Klassifizierung von Nutzern in Zielgruppen. Von dieser Veränderung ist der gesamte digitale Werbemarkt betroffen. Unser Ziel ist es, alternative Produkte und Technologien zu entwickeln, um auch künftig qualitativ hochwertige Targeting-Produkte und Webseitenmonetarisierung anbieten zu können.

Man muss aber hier erwähnen, dass die Datenschutzbemühungen der EU teilweise über das Ziel hinausschießen und möglicherweise unser gesamtes Business bedrohen. Hier würde ich mir wünschen, dass differenziert wird zwischen den großen Datenkraken aus den US und einheimischen Publishern, die zumindest ein funktionierendes Targeting benötigen, um ihr Business erfolgreich fortführen zu können.

ADZINE: Wie bereitet ihr euch auf eine Zukunft mit zunehmenden Datenschutzbestrebungen vor?

Schmitz: Natürlich bedeuten die sich verschärfenden Datenschutzvorschriften eine enorme Herausforderung für die gesamte Branche. Wir haben uns auch im Sinne der Nutzer für ein transparentes System entscheiden: Mit dem Pur-Abonnement bieten wir unseren Nutzern einen tracking- und weitestgehend werbefreien Zugriff auf unsere Inhalte oder sie geben uns die Einwilligung zur Nutzung der Daten. Ich bin der Überzeugung, dass wir so ein datenschutzkonformes Modell im Sinne unserer Nutzer etabliert haben.

Gravierender für das Werbe-Ökosystem wird das Aus von Third-Party-Cookies auch bei Chrome. Das wird ein Paradigmenwechsel, auf den wir uns bereits massiv vorbereiten. Ich bleibe aber optimistisch für den Gesamtmarkt: Die Budgets der Werbetreibenden verschwinden durch das Aus von Third-Party-Cookies nicht, sondern suchen sich andere Kanäle. Diese Entwicklung kann man gut bei den Apps beobachten: Hier war nach dem Start von Apples ATT und niedriger Tracking-Zustimmung die Sorge ebenfalls groß. Heute sehen wir, dass starke Publisher-Marken davon sogar profitieren.

ADZINE: Wo seht ihr künftig das meiste Potenzial in der Vermarktung?

Schmitz: Wie oben schon geschildert, ist ein ebenso leistungsfähiges wie datenschutzkonformes, programmatisches Setup zentraler Bestandteil. Dies bedarf natürlich eines Investments in Experten und Technologie oder eben der Zusammenarbeit mit einem Vermarkter, der genau dies leistet.

Gleichzeitig sehen wir, dass es auf der anderen Seite der Medaille den immer größer werdenden Wunsch nach individuellen Lösungen gibt. Kunden wollen eben entweder standardisierte Lösungen über programmatische Plattformen oder maßgeschneiderte Konzepte, die dann eben auch Kampagnenziele besser erfüllen.

Zusätzlich sehen wir, dass es einen großen Bedarf an regionaler Werbung gibt, und da Targetingmöglichkeiten – wie beschrieben – immer schwieriger umzusetzen sind, haben wir für T-Online eigene Regionalangebote geschaffen. Wir sind derzeit in 13 Städten und Metropolregionen mit regionalen Inhalten – sowohl im Web, wie auch auf unseren Public-Video-Screens – und können dort individuelle Lösungen für die entsprechende Region anbieten. Dies ist insbesondere für uns und Werbekunden spannend, weil die Auflagen von Regionalzeitungen weiter rückläufig sind und die Digitalangebote meist hinter Paywalls stecken. Wir bieten jedoch freien Zugang zu regionalen Inhalten und damit Werbeumfelder für Werbekunden mit regionalem Fokus – egal, ob es Unternehmen sind, die nur regional verankert sind oder eben Unternehmen, die regionale Strukturen haben, wie Hotelketten oder Baumarktketten. Diese Regionalangebote weiten wir im Laufe der nächsten Jahre weiter aus.

ADZINE: Danke für das Interview, Marc!

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