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Das große Puzzle aus neuen TV-Daten

Karsten Zunke, 9. Mai 2022
Bild: Zhu Jiabin – Unsplash

Die Digitalisierung krempelt das TV-Universum um. Endlich kann auf dem Big Screen gemessen, getrackt und ausgesteuert werden – soweit die Theorie. Doch die Marketing-Praxis ist eher ernüchternd: Es gibt etliche Datenquellen, zahlreiche unterschiedliche Daten und viel Stückwerk.

Als Vodafone kürzlich in Großbritannien eine TV-Kampagne durchführte, um Verbraucher von seinem Breitbandangebot zu überzeugen, wollte man auch gezielt Gamer und Streamer erreichen, welche die lineare TV-Kampagne nicht gesehen hatten. Der Telko-Anbieter konnte diese Personen laut eigener Aussage durch eine Partnerschaft mit Samsung Ads effizient ansprechen. Via CTV wurde auf Samsung-TV-Geräten eine inkrementelle Reichweite von zwölf Prozent erreicht. 320.000 zusätzliche Haushalte der gewünschten Zielgruppe sahen den Spot, heißt es.

Inkrementelle Reichweiten mit Samsung Ads

Bild: Samsung Ads Christian Russ, Samsung Ads

Samsung hat für seine TV-Geräte sein eigenes Universum für Daten und Kampagnen geschaffen. Um das Nutzerverhalten zu analysieren, setzt man auf eine sogenannte Automatic Content Recognition Technologie (ACR), die in Übereinstimmung mit den DSGVO-Richtlinien die auf einem TV konsumierten Inhalte erkennt. Sie bietet einen skalierbaren, deterministischen Datensatz aus linearen Sehgewohnheiten, Gaming-Vorlieben und allgemeiner App-Nutzung von Millionen Smart-TVs, der für Targeting und Analysen genutzt werden kann. „Insbesondere vor dem Hintergrund des angekündigten Endes der Third-Party-Cookies wird diese Technologie künftig noch an Bedeutung zunehmen, wenn Werbetreibende das Potenzial der First-Party-Daten aus dem CTV-Bereich entdecken und auf andere Kanäle auszuweiten beginnen“, ist Christian Russ, Head of Sales DACH bei Samsung Ads, überzeugt.

Cross-Device-Kampagnen mit Samba-TV-Daten

Auf den Smart-TVs von Sony, Panasonic, LG, Philips und anderen Gerätemarken hat sich die Samba-TV-Lösung etabliert. Die Lösung des TV-Datenanbieters ist in der Hardware der TV-Geräte integriert und vorinstalliert. Mit dem Einverständnis des Nutzers werden hier Informationen über die TV-Nutzung in Echtzeit bereitgestellt. Samba TV nutzt dafür ebenfalls die ACR-Technologie, welche die auf dem Bildschirm gezeigten Inhalte erfasst und mit einer Datenbank abgleicht. Ebenso werden nicht nur die Inhalte auf dem Großbildschirm erkannt, sondern auch alle TV-Spots, die in den Werbepausen erscheinen. Auf diese Weise kann beispielsweise nachvollzogen werden, ob ein TV-Spot gesehen wurde oder nicht.

Bild: Samba TV Carsten Schüler, Samba TV

Die Analyse gibt darüber hinaus Aufschluss darüber, ob lineares Fernsehen häufig auf einem Gerät geschaut wird, oder ob es sich bei diesem Haushalt eher um einen „Streamer-Haushalt” handelt. Die Erkenntnisse können helfen, künftige Kampagnen effizienter auszusteuern. Im Gegensatz zu Samsung bildet Samba TV über die Informationen des Haushaltsrouters einen sogenannten Device- oder Haushaltsgraphen. So kann beispielsweise ein Segment der Light-TV-Viewer, mit einer Kampagne auf Desktop, Tablet oder Smartphone cross-device angesprochen werden. “Es wäre wünschenswert, diese Daten auch in Deutschland für CTV-Kampagnen zu nutzen. Dafür gibt es aber noch keine geeigneten Identifier”, sagt Carsten Schüler, Geschäftsführer Deutschland von Samba TV. Das Unternehmen arbeite jedoch daran, seine TV-Daten für CTV-Kampagnen nutzbar zu machen, so der Experte. In den USA habe man bereits sehr gute Erfahrungen mit der Steuerung von CTV-Kampagnen auf Basis der gewonnenen Daten gemacht, verrät Schüler.

Repräsentative TV-Nutzungsdaten von der AGF

Ein Klassiker für die Erhebung von linearen TV-Nutzungsdaten ist das AGF-Panel. Mit seinen 5.400 teilnehmenden Haushalten kann repräsentativ die gesamte Bundesrepublik abgebildet werden. Das Panel wird von der GFK im Auftrag der AGF betrieben. Mithilfe einer Mess-Router-Technologie (AGF Smart Meter) erfasst die AGF seit 2020 in diesem Panel außerdem die Nutzung von Streaming-Angeboten auf smarten TV-Geräten. Damit kann die durchschnittliche tägliche Sehdauer wichtiger Videoplattformen wie Netflix und Amazon Prime Video auf dem Big Screen ermittelt werden. Die AGF misst für Bewegtbildangebote sowohl Reichweiten für die Werbung als auch für das Programm beziehungsweise den Content. Mit „Follow the Campaign“ (FTC) wurde bereits 2019 ein Projekt zur crossmedialen Messung von Kampagnenreichweiten gestartet. Dafür kooperiert die AGF mit Nielsen und dem Tool Digital Ad Ratings (DAR). Für FTC werden TV-Kampagnenbestandteile aus dem AGF-Panel mit Desktop- und Mobile-Bestandteilen aus der DAR-Messung verarbeitet. Gemessen wird dafür die Nutzung an TV-Geräten, Laptops, PCs, Smartphones und Tablets. Bei einigen Testkampagnen hat die AGF bereits Erweiterungen um ATV/Switch-Ins vorgenommen.

Bild: Marina Weigl Kerstin Niederauer-Kopf, AGF

Laut AGF stößt dieses Projekt auf reges Interesse im Markt: Fast alle großen Mediaagenturen sowie zahlreiche Werbungtreibende haben sich der AGF zufolge beteiligt und man erhalte laufend Anfragen. Nielsen hat zuletzt an DAR methodische Anpassungen vorgenommen, sodass das FTC-Projekt pausiert wurde. „Wir sind jetzt im Review-Prozess und gehen davon aus, dass wir im Sommer wieder loslegen können“, kündigt Kerstin Niederauer-Kopf, Vorsitzende der Geschäftsführung AGF Videoforschung, an.

Adscanner liefert sekundengenaue Ausweisung von Werbeinseln

Für die Messung von TV-Daten ist auch Adscanner in einer guten Marktposition. Die Lösung des Datenanbieters erhebt die Nutzungsdaten von fast einer Million Kabel- und IPTV-Kunden von Vodafone. Die Datenerhebung findet auf unterschiedlichen Vodafone-Endgeräten statt, zum Beispiel Kabelboxen, IPTV-Boxen und OTT-Devices. Ebenso können Nutzungsdaten in der Vodafone-App erhoben werden, die zum Beispiel auf Apple-TV-Boxen oder mobilen Endgeräten installiert sind. Je nach Endgerät können unterschiedlich umfangreich Daten erhoben werden: Während man bei der Nutzung der Vodafone-TV-App auf mobilen Endgeräten „nur“ die lineare TV-Nutzung misst, besteht bei den Kabel- und IPTV-Haushalten zusätzlich die Möglichkeit, auch nicht-lineare Nutzung wie Timeshift, PVR-Nutzungen (Personal Video Recorder) oder die Nutzungszeit von TV-Apps zu analysieren.

Bild: Adscanner Christian Nienaber, Adscanner

Als Datenquellen werden DSGVO-konform unter anderem die Giga-TV-Endgeräte von Vodafone verwendet, die sekundengenaue Protokolle zur Videonutzung liefern. Eine eigene Videoerkennungssoftware sorgt dafür, dass der Anbieter das gesamte Programm und insbesondere alle Werbespots erkennen und ausweisen kann. Zusammen mit weiteren Datenquellen bietet man seinen Kunden so am Tag nach der Ausstrahlung ab 9 Uhr ein Bild auf die deutsche TV-Landschaft „inklusive der sekundengenauen Ausweisung jeder Werbeinsel“, betont Christian Nienaber, CCO, Adscanner. Zurzeit erhebt das Unternehmen die TV-Daten noch endgerätebasiert. „Wir entwickeln unsere Lösung aber dahingehend weiter, dass unsere Kunden bald auch die Möglichkeit haben, digitale Kampagnen mit klassischen TV-Kampagnen noch enger zu verknüpfen, um so genauer auf Zielgruppen eingehen zu können beziehungsweise sich an thematischen Interessen der Fernsehzuschauer orientieren zu können“, sagt Nienaber. Außerdem möchte man in wenigen Wochen in Zusammenarbeit mit Vodafone ein TV-Panel launchen, mit dessen Hilfe die TV-Nutzung nach soziodemographischen Merkmalen analysiert werden kann. Darüber hinaus plant Adscanner noch in diesem Jahr die Integration weiterer Endgeräte und Datenpartner, sodass man dem selbst gesteckten Ziel – eine Videodatenplattform für geräteübergreifende Messung und Aktivierung zu sein – wieder einen Schritt näherkommen wird.

Flickenteppich ist für Mediaplaner herausfordernd

Bild: Pilot Clara Diehl, Pilot

Daten von TV-Geräten, Set-Top-Boxen, Sendern, TV-Paneln, Cross-Device-Graphen...für Agenturen ist dieser Flickenteppich eine nicht unerhebliche Herausforderung in Sachen Planung. „Samsung, Samba und Adscanner sammeln TV-Daten beispielsweise auf der Geräte-Ebene. Aber wir wissen teilweise nicht, ob und welche Geräte davon zu einem Haushalt gehören“, sagt Clara Diehl, Direktorin Produktentwicklung audiovisuelle Kommunikation bei Pilot. Soziodemografische Daten fehlen bisher in den meisten Fällen.
Samba TV und Samsung Ads sind zum Beispiel auf den TV-Geräten integriert, entsprechend können sie auf den großen Bildschirmen alles mitmessen – aber nur so lange, bis ein User eine App auf dem TV-Gerät öffnet. Das Öffnen und Schließen der App kann getrackt werden, aber nicht die Inhalte oder die Werbung, die User innerhalb der TV-App konsumieren.

„Es ist ein großes Puzzle“, sagt Diehl. “Niemand besitzt die ganze Wahrheit. Jeder hat ein Puzzleteil und an manchen Stellen überlappen sie sich.“ Für Agenturen besteht die Herausforderung darin, dieses Puzzle Stück für Stück zusammenzusetzen. Noch ist dies laut Diehl nicht möglich, da man ausschließlich Datensilos betrachtet. Selbst innerhalb der TV-Häuser könne man noch nicht die OTT-Nutzung sauber mit der Nutzung des linearen TV matchen. Die Frage, wie viel inkrementelle Reichweite zu einem TV-Plan aufgebaut werden kann, wenn man noch einen Streaming-Plan hinzunehmen würde, lässt sich Diehl zufolge bis dato nur über Annahmen und Ableitungen beantworten, weil meist die entsprechenden Datenpunkte fehlen. „Wir haben viele Daten, aber wir können sie aktuell nicht sauber zusammenbringen“, sagt Diehl. „Das ist ein Marktproblem, an dem die Beteiligten gemeinsam arbeiten müssen“. Und es dürften noch weitere Daten und Dateninseln hinzukommen. So kündigte kürzlich die Prosieben-Tochter Virtual Minds an, erstmals das klassische, lineare TV programmatisch buch- und aussteuerbar zu machen. Es bleibt also spannend – insbesondere für die Mediaplanung.

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