Ein großer Pluspunkt der Digitalwerbung war bislang, dass sie mit dem richtigen Setup zielgenau an die richtigen Personen ausgespielt werden konnte. Diese Adressierbarkeit steht auf dem Spiel, denn sowohl zunehmende Regulierung vonseiten der Gesetzgebung als auch Maßnahmen der großen Tech-Unternehmen gegen Tracking und Targeting erschweren Advertisern und Agenturen ihren Job. Schon länger ist vom Ende des Third-Party-Cookies die Rede, der weithin die Grundlage für Adressierbarkeit und Personalisierung geschaffen hat. Advertiser, Agenturen und Adtech-Anbieter setzen auf verschiedene Ansätze, damit die Anzeigen künftig noch immer mit entsprechender Reichweite zum Ziel gelangen.
Die Sicht auf die Adressaten verschwimmt
“Personalisierte Werbung auf der Grundlage von Cookies oder Ad-IDs war in der Werbeindustrie seit langem die Norm”, erklärt Jan Heumüller, Zentraleuropa-Chef des Adtech-Anbieters Ogury. “Diese Identifier werden bald verschwinden und die Branche muss zukunftssichere Lösungen finden, die von Entwicklungen der Tech-Giganten unabhängig sind. Außerdem verlangen Regulierungsbehörden von Unternehmen, dass sie den expliziten Consent der Nutzer einholen, bevor sie auf die persönliche ID eines Smartphones zugreifen.” Infolgedessen sinke der Anteil der Verbraucher, die der Weitergabe ihrer Daten zu Werbezwecken zustimmen, drastisch.
Auf der Suche nach cookiefreien Alternativen würden sich viele Adtech-Plattformen ausschließlich dem kontextbezogenen und semantischen Targeting zuwenden, meint Heumüller. Diese Targetings seien zwar leicht zu implementieren, entsprächen jedoch nicht den Anforderungen, die Werbetreibende zum Überleben bräuchten: das Verständnis des Verhaltens ihrer Zielgruppe.
Marke baut auf Umfeld und First-Party-Daten
Bei Vodafone setzt man hingegen schon länger auf genau diese Form des Targetings. “Bereits während des Cookie-Zeitalters haben wir von dem User-zentrierten Targeting Abstand genommen und uns vermehrt auf Umfeld-Targeting konzentriert”, verrät Marcel Zielke, Senior Digital Media Manager beim Telko-Riesen. “Damals sahen wir in A/B-Tests signifikant bessere Ergebnisse beim Umfeld-Targeting”, so der Audience- und Datenexperte von Vodafone.
Eine goldene Regel für skalierbare Adressierbarkeit in Zukunft lässt sich Zielkes Meinung nach nicht formulieren. “Die Kampagnenarchitektur lässt den flexiblen Einsatz von semantischem, kontextuellem- oder dealbasiertem Targeting zu. Je nach Strategie wählen wir eine oder mehrere Taktiken im Setup aus”, sagt Zielke. Es sei wie so oft eine Komposition aus vielen Kampagnenbausteinen wie unter anderem Kampagnenziel, Kreation und Targeting. Im Fokus stehen unter anderem aber klar First-Party-Daten. Seit Monaten arbeite man intensiv daran, die eigenen Daten noch konsistenter zu erfassen und in Kampagnen zu integrieren.
Agentur bedient sich der Marktforschung
Auf Agenturseite schrauben Entwickler an eigenen Werkzeugen, um Adressierbarkeit herzustellen. Die Grundlage für das zukunftsfähige Targeting der PIA Media basiert auf moderner Marktforschung. “Wir setzen auf einen End-to-end-Approach von der Insight-Genese bis hin zur Aktivierung”, verrät Hanno Stecken, CEO der digitalen Mediaagentur. “Dabei setzen wir auf eine KI, die uns bei der Insight-Genese unterstützt. Dadurch haben wir die Möglichkeit, auf algorithmische Marktforschungsergebnisse zurückzugreifen. Diese bedienen sich echter Verhaltensdaten und keiner klassischen Befragungsdaten.”
Die Datenquelle dafür ist Erason. PIA Media ist gerade dabei, ein Joint Venture mit dem Lüneburger Startup zu gründen, das von der dort ansässigen Universität abstammt. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz ermittelt Erason Affinitäten von Online-Nutzern auf der Basis frei zugänglicher Daten und konstruiert daraus Profile. “Im nächsten Schritt matchen wir diese Audiences automatisiert mit DSP-Daten, um die Audience dann aktivieren zu können – alles aus einer Quelle”, so Stecken. Noch geschähe das Matching auf Cookiesbasis, jedoch arbeite PIA Media an einer Lösung, die davon unabhängig ist.
Identity-Anbieter glaubt an übergreifende Identifier
Neben diesen Ansätzen, die komplett ohne personenbezogene Daten auskommen, existiert die datenschutzfreundliche Variante desselben Systems, das die Cookies abgebildet haben: alternative ID-Lösungen. Eine der bekanntesten hierzulande ist sicherlich die NetID Foundation, die auf einer loginbasierten Lösung (“Single-Sign-On”) fußt. Mit Playern wie United Internet Media (Gmx und Web.de), ProsiebenSat.1 oder der RTL-Gruppe im Rücken treibt die Stiftung das Thema seit Jahren voran. Wenig überraschend ist dementsprechend die Aussage von CEO Jörn Strehlau, wie Werbekampagnen künftig adressierbar, aber auch skalierbar bleiben: “Der wichtigste Aspekt wird sein, die vielen First-Party-ID-Inseln zu verbinden. Das sieht man allein schon daran, wie viele Akteure sich in Stellung bringen, um dies für Advertiser und Publisher bewerkstelligen zu können. Entweder über Data Clean Rooms oder über das Hashen von persönlichen Daten.”
Klar sei, dass das Targeting der Zukunft auf First-Party-Daten basieren werde. “Entweder durch die Aktivierung von First-Party-Publisher-Daten für Branding- und Reichweiten-Kampagnen oder durch die Verbindung von First-Party-Advertiser-Daten mit Publisher-Daten und -Reichweiten, um dann Retargeting oder Audience-Extension-Kampagnen umzusetzen”, so Strehlau. Beide Verfahren werden ihm zufolge heute schon umgesetzt. Weitere denkbare Use Cases wären Predictive-Audience-Segmente mittels künstlicher Intelligenz zu kreieren oder in einem “Targeting Decision Tree” auch noch kontextuelle Informationen zu berücksichtigen.
Die Voraussetzung für die Reichweite, welche die NetID aufbauen kann, sind aktive Nutzer, die sich in das Ökosystem einloggen. Mit absoluten Zahlen war die Stiftung bislang vorsichtig, doch Strehlau gibt sich selbstbewusst: “Seit Ende letzten Jahres explodiert die Anzahl unserer aktiven Nutzer. Wir haben hier mittlerweile eine siebenstellige Zahl im oberen Bereich und wachsen weiterhin von Monat zu Monat in zweistelligen Prozentzahlen.”
Adtech-Anbieter schwört auf eigenen Datentopf
Jan Heumüller von Ogury glaubt ebenfalls eine Lösung ganz ohne Cookies gefunden zu haben, die auf dem eigenen Datenschatz basiert und keine Nutzer, sondern Impressions validiert.”Personified Targeting” nennt das Adtech-Unternehmen diese Strategie. “Die Funktionsweise von Personified Advertising beruht auf der Verwendung von Daten über die Interessen der Zielgruppe zur Qualifizierung der Impressionen – anstelle von persönlichen Daten zur Qualifizierung der Nutzer”, veranschaulicht Heumüller. “Diese Daten wurden über mehrere Jahre gesammelt und analysiert, wobei hier nur Daten von Opt-in-Nutzern verwendet werden, die den Zugang zu ihrer umfangreichen und individuellen Mobile Journey erlaubt haben.”
Diese Erkenntnisse validiere man darüber hinaus ständig durch Umfragen, um sicherzustellen, dass die Werbetreibenden ein Verständnis der aktuellen Präferenzen ihrer Nutzer haben. “Die Fähigkeit, die Interessen zu erkennen, die den Verbraucher wirklich ansprechen, verschafft den Marken den nötigen Vorteil gegenüber ihren Wettbewerbern auf dem Markt”, ist sich Heumüller sicher.
Wir werden diese Debatte auf der Adtrader Conference im Juni vertiefen! Die Personen aus dem Artikel sind auch als Speaker gesetzt.