Die TV-Welt befindet sich im Umbruch. Gerade noch wurde das Internetsignal nebenher über die TV-Kabel übertragen, jetzt kommt das Fernsehsignal vorrangig über das Internetkabel – und das Kabelfernsehen ist abgemeldet. Das Streaming hat den Fernsehkosmos im Sturm erobert und die Nutzungsgewohnheiten der Menschen umgekrempelt. Internetfähige Empfangsgeräte, sogenannte Connected TVs (CTV), sind in den heutigen Haushalten die Norm. Damit einher geht ein komplett neues Ökosystem, in dem Gerätehersteller, Broadcaster, Medienhäuser sowie weitere Content-Lieferanten und viele andere versuchen ihren Platz zu finden. Mittendrin stecken die Adtech-Player, denn, wenn es nach ihnen geht, spielt natürlich auch Werbung in dem Ökosystem eine entscheidende Rolle. Diese Unternehmen, die bislang auf Mobile- und Desktop-Geräten zuhause waren, wollen nun die Infrastruktur für die großen TV-Werbegelder mitbauen.
Denn Werbetreibende verschieben zunehmend Budgets in Richtung des digitalen Fernsehens – oder planen es zumindest. Die Adtech-Unternehmen sehen sich als Enabler, die sich um die nötige Infrastruktur kümmern, damit die Ads in die Streams und letztlich auf die Screens kommen. Neben diversen Spezialdienstleistern für Targeting & Co. haben sich auf der Mediaeinkaufs- und -verkaufsseite vor allem einige der großen Programmatic-Plattformen und Adserver als CTV-Vorreiter positioniert. Der Kampf um die CTV-Werbedollars bedeutet auch einen Kampf um das Inventar. Insbesondere die Supply-Side-Plattformen (SSP) sind also gefragt, Integrationen mit den vielfältigen Content-Produzenten zu schaffen, während die Demand-Side-Plattformen (DSP) ihrerseits versuchen müssen, diese Angebote zu bündeln. Auch wenn absolute Zahlen Mangelware sind, hört es sich in den Geschäftsberichten so an, als wäre es eine gute Entscheidung gewesen, auf das CTV-Pferd zu setzen.
Sell-Side: Zahlen von Magnite, Andeutungen von Xandr
Unter den SSPs gelten insbesondere Xandr, Magnite, Freewheel und Smartclip als CTV-Pioniere. Pubmatic tut sich hier mit Blick auf Header Bidding hervor. Angesichts der vielen US-Player fällt dabei speziell Smartclip ins Auge. Die RTL-Tochter ist für das CTV-Inventar der Ad Alliance exklusiv zuständig, also vorrangig für das der eigenen Fernsehsendergruppe und RTL Plus. Mit dem Rivalen ProsiebenSat.1 gibt es dennoch Schnittstellen, auch wenn sich Sevenone Media in Gestalt von Yieldlab selbst um seinen Streaming-Sevice Joyn kümmert. Trotz der Übermacht der US-Plattformen wird in Deutschland also intensiv am Thema CTV gearbeitet. Unter anderem ist auch die Comcast-Tochter Freewheel involviert und schraubt gemeinsam mit ProsiebenSat.1 schon länger an der programmatischen Infrastruktur.
Jedes der Unternehmen spricht von Wachstum im CTV-Bereich, aber Zahlen sind rar. Einer, der zumindest Zahlen in den Mund nimmt, ist Magnite. Die CTV-Expertise, die kontinuierlich weiter ausgebaut wird, brachte einst Telaria in den Merger mit Rubicon. Es folgten Akquisitionen von Spotx und dem Adserver Springserve. Das Know-how scheint sich auszuzahlen, so konnte Magnite in der Schweiz gerade erst einen neuen Deal mit CH Media eintüten.
Laut den Earnings im vierten Quartal brummt das Bewegtbild-Geschäft bei Magnite. Auf CTV entfallen bereits 38 Prozent der Einnahmen, gegenüber 19 Prozent im Jahr 2020. CEO Michael Barrett wurde im Gespräch mit dem Branchenmagazin Ad Exchanger konkreter und verriet, dass der Umsatz mit CTV-Ads in 2021 143 Millionen US-Dollar betrug. Im Vorjahr waren es ihm zufolge noch 34 Millionen. Dies mildert die eher bescheidenen Wachstumszahlen für die Sparten Mobile und Desktop.
Ansonsten äußert sich nur Branchenkollege Xandr, wenn auch bedeckt. Neuerdings unter dem Dach von Microsoft operiert Xandr auf beiden Seiten, Mediaein- sowie -verkauf, und hatte bereits vor einem Jahr eine drastische Steigerung seines CTV-Geschäfts verkündet. Die globalen Gesamtausgaben über die Xandr-Plattformen im Bereich CTV stiegen demnach um 235 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Demand-Side: Hinweise von The Trade Desk
Auf der Einkaufsseite positioniert sich neben Xandr, das auf beiden Hochzeiten tanzt, besonders The Trade Desk als CTV-Spezialist. Dennoch macht auch hier wieder RTL auf sich aufmerksam. Mit Amobee als Einkaufsplattform arbeitet die Mediengruppe an einer programmatischen TV-Plattform für Europa, die CTV umfassen soll. Ein weiterer interessanter Player im Einkauf ist Splicky vom Vermarkter Goldbach.
Mit Zahlen kann allerdings nur The Trade Desk aufwarten. Auch wenn für keinen der Kanäle eine spezifische Zahl herausgegeben wird, wächst CTV dem Co-Founder und CEO Jeff Green zufolge schneller als alle anderen Geschäftsbereiche. “Im Jahr 2021 war CTV erneut der größte Impulsgeber für Werbeausgaben auf unserer Plattform,” so Green im letzten Earnings Call. “Im vergangenen Jahr tätigten mehr als 15.000 Werbetreibende Ausgaben für CTV auf unserer Plattform. Die Zahl der Advertiser, die mehr als 1 Million US-Dollar für CTV ausgaben, hat sich im Vergleich zu 2020 fast verdoppelt.”
Sven Hagemeier, Director Inventory Partnerships EMEA bei The Trade Desk, ergänzt: “Die vergangenen zwei Jahre haben für Connected TV definitiv den Durchbruch bedeutet. Allein auf unserer Plattform hat sich im letzten Jahr der Anteil von Connected TV am Gesamtumsatz in Europa verdoppelt.” Connected TV sei für viele Werbekunden, etwa aus dem Konsumgüter- oder Automobilbereich, nicht mehr wegzudenken. “CTV ist hochattraktiv, insbesondere um Streaming-Nutzer zu erreichen, die dem linearen TV abhandengekommen sind, und um die neuen Möglichkeiten des Audience Targetings und der übergreifenden Kontaktsteuerung zu nutzen”, meint Hagemeier.
Auch in diesem Jahr soll sich Sven Hagemeier zufolge das CTV-Wachstum weiter fortsetzen. Dafür sorgen seiner Meinung nach vor allem neue und bessere Inhalte auf der Supply-Seite. “Im Januar ist beispielsweise NBC Universal's Peacock in Deutschland bei Sky gestartet, Discovery+ wird folgen und Disney+ hat gerade erst eine werbefinanzierte Option für den internationalen Markt in 2023 angekündigt.”
Die Content-Lieferanten sind vielfältig und ziehen zunehmend Werbung statt Abo-Modelle zur Finanzierung in Betracht. Inzwischen ist schon Hardliner Netflix offenbar geneigt, eine werbegestützte Version seines Dienstes zu entwickeln.
Big Tech schläft nicht
Im gleichen Atemzug mit den Bemühungen der Adtech-Player und Content-Anbieter sollte allerdings auch die Konkurrenz vonseiten der Giganten des Werbegeschäfts genannt werden. Die GAFAM (Google, Amazon, Facebook, Amazon, Microsoft) beobachten das CTV-Feld mit Adleraugen und übernehmen oft mehrere anstehende Aufgaben selbst in die Hand: das Produzieren von Inhalten sowie deren Distribution und Vermarktung – und das direkt auf globaler Ebene. Gerade wurde bekannt, dass Amazon mit Freevee auf dem CTV-Markt angreifen will. Das Angebot soll den Dienst IMDB TV ablösen und werbefinanzierten Gratis-Content auch in Deutschland anbieten. Apple TV ist hierzulande schon länger präsent und sogar Google will mit werbefinanzierten TV-Shows mitmischen. Es wird damit gerechnet, dass Facebook ebenfalls bald mit einem Zukauf in das wachsende CTV-Geschäft einsteigt. Microsoft ist mit Xandr zwar nicht auf Content-, aber schon auf Adtech-Seite dabei.
Die Tech-Riesen sind nicht dafür bekannt, die Vermarktung ihres Inventars in fremde Hände zu geben. Der Kampf um die Vorherrschaft in der Sparte CTV bleibt also spannend – und das Ergebnis steht noch aus.
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