Netzwerke vs. Walled Gardens: „Gut gemacht“ ist besser als „gut gemeint“
Dennie-Alexander Trost, 17. Januar 2022Walled Gardens wie Facebook oder Google können alle Möglichkeiten des Targetings nutzen, weil sie Logins einsetzen und damit das Einholen der Erlaubnis zur meist umfangreichen Nutzung der Daten verbinden. Gleichzeitig haben die Regulierungen der Politik die Position der Walled Gardens – wohl kaum absichtlich – gestärkt. Das führt zu einem klaren Ungleichgewicht im Markt: Vielen Unternehmen fehlen vergleichbare First-Party-Daten oder sie können sie nicht nutzen, um ihre Zielgruppen außerhalb der Walled Gardens personalisiert anzusprechen.
Es erweist sich als eine echte Herausforderung eigene Strategien umzusetzen, ohne von Dritten abhängig zu sein. Hinzu kommen die durchaus berechtigten, immer höheren Datenschutzstandards und -erwartungen der Menschen an Unternehmen. Damit verbunden sind rechtliche Probleme und (sehr) aufwendige Compliance-Prozesse.
Die Kooperation mit den Walled Gardens wird von vielen Unternehmen als unumgänglich angesehen. Was braucht es also, damit die gesamte Branche nicht nur eine reelle Chance zur Bestimmung des eigenen (Daten-)Schicksals hat, sondern bessere Angebote als die Walled Gardens offerieren kann? Wie müssen diese aussehen im Hinblick auf Customer Experience, Datenschutz und insbesondere auch die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, die für Reichweite und Qualität der Kampagnen zwingend notwendig ist? Diese Frage versuchen Publisher und Werbetreibende im sogenannten offenen Internet nun schon seit Jahren zu beantworten, jedoch scheint ein entsprechender Konsens nach wie vor noch nicht gefunden.
Offenes Geheimnis: Vor- und Nachteile von Walled Gardens
Es ist kein Geheimnis, dass die Revenue Shares der Walled Gardens weit über dem Durchschnitt einer „offenen“ Plattform wie beispielsweise Xandr liegen. Die Algorithmen und Ausspielungsmechanismen der Walled Gardens hingegen sind auch weiterhin nicht transparent für Werbekunden und Medienpartner: Es ist kaum bis gar nicht nachvollziehbar, wo genau, wie und wie oft die Werbung ausgespielt wird, da keine Drittinstanzen zur unabhängigen Messung zugelassen werden. Attribution, Viewability und Conversion Messung durch Drittinstanzen? Danke, nein, nicht wirklich. Die Ergebnisse messen und teilen die Walled Gardens selbst. Da alles in einem geschlossenen System stattfindet, haben Werbekunden keine hinreichende Möglichkeit, Ergebnisse und Ausspielung selbst zu überprüfen. Zusätzlich machen sie sich weiter abhängig, denn sie sammeln keine vollständigen eigenen Daten über ihre Zielgruppen – entscheidende Teile bleiben im jeweiligen Walled Garden.
Soweit alles bekannt, aber, wie erwähnt, ohne adäquate Antwortmöglichkeiten aus dem unabhängigen Markt.
Der richtige Weg ist nicht immer der einfachste
Ohne eine Agentur oder die richtigen Experten im Team ist man hier schnell verloren, diese wiederum kosten Geld und Ressourcen, die meist nicht zur Verfügung stehen.
Eine weitere Herausforderung stellen technische Anforderungen und Regelungen wie GDPR, TTDSG und die nach wie vor ausstehende EU-ePrivacy-Verordnung dar. Hier auf dem Laufenden zu bleiben und diese Vorgaben auch einzuhalten ist für viele Unternehmen schwierig bis unmöglich. Da Walled Gardens mit Logins und entsprechendem Opt-in und Consent arbeiten, ist das Thema Datenschutz und Privatsphäre innerhalb des eigenen Kosmos für sie kein großes Thema. Zur Nutzung ihrer Dienste loggen sich die Menschen ein und akzeptieren selbstverständlich die rechtlichen Bedingungen dafür.
Auch Marktfragmentierung spielt eine Rolle: Mit den vielen Marktteilnehmern des offenen Internets, das heißt viele verschiedene Standards und Plattformen für Werbung, viele Formate und dem manchmal mühsamen und selten selbsterklärendem Zugang zu den notwendigen Softwarelösungen. Ohne eine/n Programmatic-Expertin/en im Team ist man schnell an der Grenze des Machbaren angelangt und auch, wenn man beispielsweise vor der Wahl der „richtigen“ Targeting ID steht.
Überleben in der Post Cookie-Ära: First-Party-Data-Strategie und ein eigenes (Daten-)Netzwerk
Mit den Third-Party-Cookies verschwindet ein weiteres einfaches Tool, um Daten zu sammeln und Konsumenten zu tracken und zu targeten – und das ist wegen der damit verbundenen Probleme auch gut so. Die einfache Lösung für viele Unternehmen? Noch stärker auf Walled Gardens setzen. Wieder andere glauben, dass Contextual Targeting eine Alternative zur personalisierten Ansprache ist. Aber die Kampagnendaten zeigen ein differenziertes Bild und es gibt nicht das eine Mittel, um die alte Welt wiederherzustellen. Und es geht auch überhaupt nicht darum, die falschen alten Ansätze mit anderer Technologie wiederzubeleben. Dafür fehlt sowohl die Akzeptanz bei Nutzer:innen wie bei Regulatoren.
Um auch außerhalb der eigenen Kundendaten (falls vorhanden) Konsumenten anzusprechen, müssen Unternehmen eine eigene First-Party-Data-Strategie entwickeln, First-Party-Daten sammeln und zur Ergänzung der Reichweite und Datenqualität ein eigenes Partnernetzwerk aufbauen – ein erster Schritt in Richtung Unabhängigkeit. Über eine Plattform können sowohl Werbetreibende wie auch Publisher dann in beliebigen Konstellationen zusammenarbeiten und beispielsweise auch ihre Zielgruppen mit Second- und Third-Party Data anreichern.
Ein eigenes Netzwerk ist hier nicht als geschlossenes System zu verstehen, sondern als offene Plattform, auf der jeder mit jedem zusammenarbeiten kann – ohne dass je persönliche Daten außerhalb der jeweiligen Kontrolle bewegt werden müssen. Zwar bedeutet es Aufwand, diese Partner zu finden und eine Zusammenarbeit zu gestalten, aber es ist langfristig gesehen eine wertvolle Investition in die Zukunft ohne Third-Party-Cookies, aber mit großer Reichweite und wertvollen Daten für alle Partner.
Das Ende der Third-Party Cookies sollte für Unternehmen ein Weckruf sein, eine Chance, es diesmal richtigzumachen: Mit einem eigenen Netzwerk und Partnern, die datenschutzkonform und sicher miteinander arbeiten. Sich damit zu befassen, ist definitiv eine der wichtigsten strategischen Aufgaben für das Jahr 2022. Effizientes Marketing braucht Reichweite und (Daten-)Qualität. Neue Technologien bieten die Möglichkeit, genau dies in bisher nicht möglicher Form umzusetzen.
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