Cookiecalypse zum Trotz: Werbewirkungsmessung mit AI und Statistik
Anton Priebe, 27. Januar 2022Erfolgsmessung ist sowohl eine der Stärken als auch eine der Schwächen digitaler Werbung. Die Verschiebung ins Digitale verspricht alles messbar zu machen, doch in der Praxis stellt sich dann doch oft ergebnislos die Frage, was wie und vor allem warum gemessen wird. Die Innovations- und Marketing-Beratung TD Reply wurde am Marketing-Lehrstuhl der TU Berlin gegründet und verfolgt eine Kombination aus einem KI-getriebenen und einem statistischen Ansatz, um den Erfolg von Werbekampagnen sichtbar zu machen. Lars-Alexander Mayer, Managing Director des Beraters, gibt sich entsprechend entspannt mit Blick auf die drohende “Cookiecalypse” und beschreibt im Interview, was Statistik verknüpft mit den richtigen Tools leisten kann.
ADZINE: Hallo Lars, bitte beschreibe TD Reply in zwei Sätzen.
Lars-Alexander Mayer: Wir kommen aus der Konsumentenwissenschaft und nutzen Automatisierung sowie digitale Daten, um größere Kausalzusammenhänge zu erklären und Prognosen zu geben. Wir leiten daraus möglichst einfach zu verstehende Handlungsanweisungen ab, die Marketing-Entscheider in die Lage versetzen, bessere Entscheidungen zu treffen.
ADZINE: Wie das?
Mayer: Im Digitalen lassen sich Spuren wiederfinden, die Rückschlüsse auf das zulassen, was in der nicht-digitalen Welt passiert. So bauen wir die Brücke zwischen holistischen Marketing-Kampagnen, Produkt-Launches und Performance-Messung beim Abverkauf.
ADZINE: Welche Technologien kommen dabei zum Einsatz?
Mayer: Wir haben ein eigenes Dashboard, in dem Daten zusammenlaufen, und bauen die Konnektoren zu allen anderen Tools selbst. Social Listening ist dabei ein wichtiger Baustein, für den wir für den chinesischen Markt sogar ein eigenes Tool entwickelt haben. Ansonsten nutzen wir die gängigen Werkzeuge anderer Anbieter und veredeln die Daten mit Tools wie IBM Watson, um noch mehr aus den Worten oder Bildern herauszulesen.
Ein ebenso wichtiger Kanal wie Social Listening ist der Share of Search, also das Volumen organischer Suchen. Dies ist mit der Verbindung von Google Trends und Adwords auch auf täglichem Level sehr genau zu bestimmen. Dadurch können letztlich sehr genaue Entwicklungen von Marktanteilen herausgelesen werden.
ADZINE: Wie lässt sich das für das eigene Geschäft nutzen?
Mayer: Der Share of Search dient als Katalysator. Du kannst organisches Suchinteresse natürlich durch Kampagnen generieren, aber vielmehr noch mithilfe einer guten Marktpositionierung oder gezielten Produkt-Launches. Je mehr du an diesen Stellen gegen den Wettbewerb gewinnst, desto besser konvertiert alles hinterher in den digitalen Kanälen.
ADINZE: Eines eurer Hauptthemen ist die Messbarkeit von Marketingmaßnahmen. Die “Cookiecalypse” bringt hier bald erhebliche Einschränkungen mit sich. Wie kann man sich dagegen wappnen?
Mayer: Eigentlich müsste man die Marketing-Welt fragen, ob es vor der Cookiecalypse überhaupt möglich war, Marketingmaßnahmen zu messen – oder ob es sich dabei nicht einfach nur um Klick- beziehungsweise Conversion-Strecken handelt, die dann als Marketing-Messung hingestellt werden. Denn so werden sämtliche Querwirkungen und Interaktionen außen vor gelassen.
Nichtsdestotrotz möchten wir natürlich möglichst genau verstehen, wie die Consumer Journey läuft, wenn wir uns im Ökosystem einer Marke befinden. Das wird auch weiterhin möglich sein. Für die Aktivierung, sprich das Interesse der Menschen an der Marke oder dem Produkt, orientieren wir uns am Share of Search. Das Engagement mit einer Kampagne messen wir mit dem Social Listening und dem, was uns die jeweiligen Kanäle zur Verfügung stellen.
Mithilfe von Social Listening bauen wir auch die angestrebte Markenpersönlichkeit in digitalen Daten nach. So werden Markentreiber wie beispielsweise Nachhaltigkeit oder Innovation offenbar und letztlich können wir so erkennen, wie viel Marktanteil noch mit der jeweiligen Positionierung zu gewinnen ist. Mit diesen Markenbeobachtungen versuchen wir sehr große Konstrukte in granulare, automatisierte Zeitreihenmessungen zu überführen. Eine Fragestellung wie: “Warum kommt jetzt mehr Traffic auf unserer Seite an?”, hat in der Regel nicht viel mit einzelnen Digitalkampagnen zu tun, sondern vielmehr damit, dass die Markenpositionierung gestärkt worden ist.
ADINZE: Magst du ein Beispiel dafür geben?
Mayer: TV ist in der Hälfte der Fälle der größte Interessenbringer der Werbekanäle. Es hat immer noch die meiste Reichweite und Menschen googeln aufgrund von Fernsehwerbung – natürlich nicht jeder, aber eine so signifikant große Anzahl von Personen, dass auf weiteren Kanälen, die besser und direkter messbar sind, das Interesse und die Wahrscheinlichkeit einer Conversion steigen. Diese Zusammenhänge können mithilfe von Statistik aufgezeigt werden.
ADINZE: Die Voraussetzung für diese Art der Werbewirkungsmessung bringen nur große Unternehmen mit. Was machen die anderen?
Mayer: Auch wenn die Positionierungsthematik nur von den Großen voll ausgeschöpft werden kann, dient das Thema Search immer als Katalysator zwischen dem, was tatsächlich in der realen Welt stattfindet, und dem, was online oder offline konvertiert. Auch kleine Unternehmen können digitale Daten zuhilfe nehmen, um zu prüfen, ob ein Interesse am Produkt existiert, und dieses Interesse dann mit statistischen Verfahren auf den Abverkauf herunterbrechen. Der Schwellwert bei Google liegt bei 15 Suchanfragen pro Tag und Land. Auch sehr kleine Unternehmen, wie etwa spezialisierte Messen, bekommen diese sogar im Rahmen einer gezielten, regionalen Maßnahme zusammen.
ADINZE: Hilft dieser Ansatz auch beim Targeting? Das ist ja das zweite große Thema, wenn es um die Cookiecalypse geht.
Mayer: Wir messen verschiedene Targetings auf den Impact, nicht nur in puncto Conversion, sondern mit Blick auf die übergeordnete Gesamtwirkung auf alle Touchpoints. So können wir feststellen, ob eine Kampagne über- oder unterperformt. Dadurch wiederum wird deutlich, ob ein Targeting zu eng oder zu weit gefasst ist.
Aktuell wird eher zu eng getargetet – auf Kosten der Effektivität. Die Gießkanne ist oftmals tatsächlich die bessere Methode, um möglichst viel zu bewegen.
ADINZE: Was ist für Unternehmen, die sich auf die Post-Cookie-Ära vorbereiten wollen, jetzt der wichtigste Schritt?
Mayer: Man sollte sich darauf besinnen, was die konkreten Ziele sind, die man mit seinem Marketing erreichen möchte. Häufig sind die gar nicht so klar formuliert, weshalb dann gut auszuwertende Conversion-Strecken die Antwort sind. Wenn ich mir bewusst bin, was ich mit meinem Ansatz erreichen möchte, dann gibt es Tracking- oder Statistik-basierte Lösungen, die eine relativ gute Bemessung dieser Ziele ermöglichen.
Diejenigen, die zu stark an Digital glauben, überschätzen das Tracking der Nutzerprofile. Die anderen unterschätzen es. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit wie immer irgendwo dazwischen. Man sollte sich also auch fragen, was man vom Nutzer wirklich braucht und was anders erschließbar ist.
ADINZE: Danke dir für die Insights, Lars!