Warum ein Targeting-Verbot auf EU-Ebene katastrophal enden könnte
Anton Priebe, 10. Dezember 2021In der Politik wird noch darüber diskutiert, welche Regeln künftig europaweit für den Umgang mit Daten gelten sollen. Die DSGVO hat bereits eine Grundlage geschaffen, die Konkretisierungen erfolgen Schritt für Schritt. Der Digital Markets Act (DMA) und der Digital Services Act (DSA) sollen für mehr Klarheit sorgen, doch sind deren Inhalte umstritten. Einige fordern im DSA gar ein komplettes Verbot der Nutzung personenbezogener Daten für die Digitalwerbung – eine Katastrophe laut Heiko Staab, Co-Founder von Traffective. Im Interview erklärt Staab, was dies für Folgen für das Internet hätte, wie die Alternative aussieht und wie sich Publisher in Zukunft mit Blick auf die Monetarisierung am besten aufstellen sollten.
ADZINE: Hallo Heiko, magst du Traffective bitte in zwei Sätzen erklären.
Heiko Staab: Wir sind ein “One-Stop-Shop” für Publisher. Wir bilden über unsere technologische Plattform alle Tools, die du für digitale Monetarisierung brauchst, ab.
ADZINE: Wie seid ihr technologisch aufgestellt? Also welche Lösungen habt ihr selbst entwickelt, was deckt ihr über Integrationen ab?
Staab: Wir stellen eine Cloud-Plattform dar, die als eine Art Adapter das komplette Ad-Setup einer Seite ablöst. Über diese Plattform wird mithilfe eigener Lösungen mit den angeschlossenen Partnern kommuniziert, also beispielsweise Adservern, SSPs oder DSPs. In der Zwischeninstanz befinden sich Measurement-Tools zur Qualitätssicherung und zum Reporting von uns. Wir haben auch ein Consent-Management-Tool selbst entwickelt.
ADZINE: Ihr seid vor allem auch im Branchenverband IAB Europe aktiv. Der hat gerade erst seine #NoEasyWins-Kampagne gestartet – was steckt dahinter?
Staab: Zum jetzigen Zeitpunkt befinden sich die EU-Staaten in der Diskussion über die Gesetzesentwürfe Digital Markets Act (DMA) und Digital Services Act (DSA). Momentan ist noch unklar, wie im DSA und DMA der Umgang mit Zielgruppen in der digitalen Werbung europaweit reguliert wird.
Die Grünen haben sich dem Thema angenommen und eine große Kampagne gestartet, die sich komplett gegen datengetriebene Werbung ausspricht. Große Teile der Internetwirtschaft werden dort als Manipulationen dargestellt. Dementsprechend fordern sie ein komplettes Verbot der Nutzung personenbezogener Daten in der Werbung. Das wäre eine Katastrophe für sämtliche Medien, die sich darüber finanzieren, und endet nicht bei der Werbung, sondern betrifft auch jegliches Analytics-Tool et cetera. Deswegen gehen wir gegen die Kampagne der Grünen mit unserer eigenen vor.
ADZINE: Warum ist die Einschränkung der digitalen Werbung so problematisch?
Staab: Das Open Web ist eine der größten Errungenschaften der Neuzeit und bietet jedem die Möglichkeit an die gleichen Informationsquellen zu kommen. Ohne werbefinanzierte Modelle ist die Refinanzierung der Inhalte nicht möglich. Denn wenn jemand etwas ins Internet stellt, kostet das Geld. Man muss ja zum Beispiel Server bezahlen, um zu hosten, und die Menschen entlohnen, die Inhalte erstellen.
Auf der anderen Seite können wir nicht das gesamte Web hinter Logins und Bezahlschranken verbarrikadieren. Zumal sich Pay-Modelle nicht jeder leisten kann. Durch die Einschränkung der digitalen Werbung kommen im Endeffekt also nicht alle an die gleichen Informationsquellen heran.
ADZINE: Wieso können wir nicht zurück zur Umfeldwerbung? Wenn ich ein Auto bewerben will, schalte ich eben Werbung bei dem Autofachmagazin?
Staab: Mal abgesehen davon, dass datengetriebene Werbung sich nicht jeder Kontrolle entzieht – Stichwort CMP – und nicht per se böse ist, rufst du auch für kontextgesteuerte Werbung nach der DSGVO personenbezogene Daten auf. Denn du benötigst eine IP-Adresse, welche die Auslieferung der Werbung sicherstellt.
ADZINE: Was ist deiner Meinung nach die bessere Lösung?
Staab: Wir gehen in Zukunft von einem Drei-Säulen-Modell aus. Das Filetstück bei der Monetarisierung sind die Logins, die mit einer ID verknüpft werden können. Außerdem werden kontextuelle Modelle eine Rolle spielen – man kann auf kontextueller Basis übrigens auch Audiences bilden. Das dritte ist der Privacy-Sandbox-Ansatz, den Google aktuell mit den Kohorten fährt. Die Zukunft ist also gar nicht so grau, wie so viele denken. Die Lösungen gibt es schon und wir werden sie weiterhin verbessern.
ADZINE: Zunächst zur zweiten Säule – wo liegen derzeit die größten technologischen Baustellen beim kontextuellen Targeting?
Staab: Das Thema ist nicht neu, wird aber betrieben wie Kraut und Rüben. Wir sind mit dem IAB und Prebid dabei neue Taxonomien für Kontext-Segmente auszuarbeiten, um sie zu vereinheitlichen und skalierbar zu machen. Das Segment Auto beispielsweise kann sich bei zwei Publishern stark unterscheiden. Künftig sollen Segment-IDs zum Einsatz kommen, die im programmatischen Ökosystem übermittelt und mit einer gewissen Kontrollinstanz hinterlegt werden.
Publisher werden in Zukunft privat nur noch mit ausgewählten Partnern auf der Advertiser-Seite zusammenarbeiten, die ihren kontextuellen Datensatz mit eigenen Daten anreichern dürfen. Wer das ist, wird nach dem Umsatzpotenzial entschieden. Für den Open Markt wird es hingegen vereinheitlichte und skalierbare Basic-Segments geben, auf welche die Nachfrage-Seite bieten kann.
ADZINE: Zurück zur ersten Säule – beim Thema Logins sind wir zwangsweise auch bei den alternativen ID-Lösungen. Wie ist der Stand dieser ID-Lösungen in Deutschland? Glaubst du, dass bereits zukunftsfähige Lösungen bestehen?
Staab: Wir glauben, dass der Heilige Gral nur eine Open-Source-Lösung sein kann. Damit sehen wir die Unified ID, die alle Lösungen zusammenführt, auch als Lösung für Europa. Die einzelnen ID-Anbieter wiederum reichern ihre IDs mit eigenen Daten an.
Viele Advertiser sind aber noch zögerlich beim Thema ID. Es existieren noch zu viele Lücken auf dem Feld, zum Beispiel fehlt die Rechtsverordnung dahinter. Wir schleusen einige IDs zwar schon durch, sind aber noch zurückhaltend mit der “großen Login-Offensive”. Wir warten auf Open Source.
ADZINE: Ein weiterer Blick in die Glaskugel – was wird uns im kommenden Jahr besonders beschäftigen?
Staab: Die PIMS, Personal Identification Management Systems.
ADZINE: Magst du das bitte elaborieren?
Staab: Nehmen wir beispielsweise das Privacy-Center von Google. Das ist ein PIMS und in dem legst du alle Einstellungen für die Google-Services fest. Den Link dorthin findest du in jedem Produkt.
Das Ziel ist es nun, ein PIMS für das gesamte Open Web zu schaffen. In dem loggt man sich mit seiner E-Mail-Adresse überall ein und greift auf ein gemeinsames Privacy-Center zu. Im Prinzip ist dies die Vision, welche die NetID seit jeher propagiert.
Das neue TTDSG gibt in Paragraph 26 eine Richtlinie für Systeme, die den Consent einholen, und legt fest, wie diese zu agieren haben. Somit hat es die Grundvoraussetzungen für PIMS festgelegt, die genauen Grenzen sind jedoch noch nicht konkretisiert. Mit diesem Thema werden sich bald sehr viele Marktteilnehmer beschäftigen.
ADZINE: Heiko, danke dir für das Interview!
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