Der Einsatz von Daten im Digital Advertising der Zukunft
Anton Priebe, 15. Dezember 2021Am Jahresende richten die Marktteilnehmer ihren Blick traditionell gen Zukunft. Insbesondere in Sachen Dateneinsatz verspricht das kommende Jahr ein spannendes zu werden. Denn es ist bislang unklar, wie es im Digital Advertising in puncto Daten weitergeht. Neue Gesetzesentwürfe, zunehmende Privatsphäre-Bestrebungen der Konsumenten und Maßnahmen der Technologieanbieter – es wird zumindest nicht so einfach wie bisher, datenbasierte Kampagnen auszusteuern. Über eine Glaskugel verfügt leider niemand, doch sollten die Meinungen von erfahrenen Datenexperten bei der Vorbereitung auf 2022 durchaus Gewicht haben. Daher hat ADZINE bei genau denen nachgefragt.
Grundvoraussetzung ist der richtige Tech-Stack
Bevor wir darüber sprechen können, welche Daten wie eingesetzt werden, muss das Fundament dafür gelegt sein, meint Harriet Durnford-Smith, CMO des Martech-Anbieters Adverity. “Marketingabteilungen müssen 2022 nicht nur jederzeit Zugang zu den relevanten Daten haben, sondern darüber hinaus auch die Fähigkeit entwickeln, die verfügbaren Daten im Unternehmen auch wirklich nutzbar zu machen. Nur so können in Zukunft datengestützte Entscheidungen getroffen werden.”
Das klingt selbstverständlich, scheint jedoch bei weitem nicht so zu sein. “Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, wie oft ich von Marketingleitern höre, dass sie hinsichtlich Zeit und Ressourcen mit der manuellen Datenverarbeitung zu kämpfen haben und letztlich das Vertrauen in die Genauigkeit dieser Daten verlieren”, so Durnford-Smith weiter. Daher lautet ihr Rat für 2022 bei der Basis anzufangen. “Die Einführung eines datenbasierten, technologisch ausgerichteten Marketings befähigt Unternehmen auch in unsicheren Zeiten klare Entscheidungen zu treffen, Kampagnenentwicklungen zu antizipieren und entsprechend zu handeln. So werden Marketingteams von einer Kostenstelle zum Profitcenter des Unternehmens.”
(Noch) mehr KI und Machine Learning
Künstliche Intelligenz ist eines der Buzzwords in der Digitalwerbung und wird vom Buzzword endlich zum Standard bei der Werbeauslieferung, glaubt Stephan Jäckel, Geschäftsführer des Datenexperten Emetriq. Sie soll künftig vor allem bei der Zielgruppenansprache unterstützen. “Das Digital Advertising wird 2022 stark durch den zunehmenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning geprägt sein. So werden wir beispielsweise im Bereich des Contextual Targetings häufiger KI-gestützte Analysen von Parametern wie Sentiment, Zeitpunkt, Wetter, Events, Geodaten und Gerätedaten sehen – sowohl im Internet als auch auf anderen Kanälen wie DOOH”.
Doch auch weitere Einsatzgebiete sieht Jäckel voraus: “Custom-Bidding-Lösungen und damit neue smarte Ansätze und Algorithmen für die maßgeschneiderte KI-gestützte Kampagnenaussteuerung werden zunehmend zum Standard für Prozesse wie das automatische Bidding, Pacing, Fraud Detection und die Echtzeit-Anpassung von Targeting-Parametern”. Dabei sei das Ziel stets ein Effizienzgewinn und die fortlaufende Optimierung von Kampagnen.
Damit die Daten weiterhin für die Werbeansprache zur Verfügung stehen, muss das Ökosystem allerdings “neu gestaltet” werden – “einerseits, um die neuen Chancen der Adressier- und Messbarkeit auszuschöpfen, andererseits aber auch, um Nutzern den größten Mehrwert zu bieten”, so Jäckel.
Impression- statt Nutzerdaten
Neu gestalten muss man das Werbeökosystem gar nicht, wenn es nach Jan Heumüller, Zentraleuropachef des Mobile-Spezialisten Ogury geht. Es reicht der Fokus auf die richtige Ebene beim Targeting. “Auf Nutzerdaten basierende Planungen, bei der die Nutzer-ID die wertvollste Dimension des Medieneinkaufs ist, wird es bald nicht mehr geben, da der Pool der zugänglichen individuellen IDs mit der Verschärfung der Vorschriften zum Datenschutz immer kleiner werden wird”, erklärt Heumüller. “Um die Herausforderungen des schrumpfenden Zielgruppenpools zu bewältigen, bietet die Branche Lösungen an, die auf Kontext und semantischen Daten basieren, denen es jedoch an ‘Zielgruppenintelligenz’ fehlt. Gleichzeitig halten einige Unternehmen an der alten Methode der Zielgruppenansprache fest und klammern sich an IDs und Cookies, um die Personalisierung durchzuführen.”
Dabei schaut die Industrie bislang auf die falsche Stelle, um zu personalisieren. “Im Jahr 2022 werden sich Medienkäufer auf neue Technologien verlassen müssen, die in der Lage sind, die von den Werbetreibenden geforderten Leistungen zu erbringen und gleichzeitig die Privatsphäre der Nutzer zu respektieren. Eine der nachhaltigsten Optionen, um Marken und Einkäufern bei der Bewältigung dieser Herausforderung zu helfen, ist die personalisierte Werbung, die sich auf Daten über das tatsächliche Publikumsinteresse stützt, die zur Qualifizierung von Impressionen verwendet werden, anstatt auf persönliche Daten zur Qualifizierung von Nutzern.”
Nutzungsbezogene Datenpunkte und Location
Einen anderen Ansatz fährt Francois Roloff, CEO von Madvertise und seines Zeichens ebenfalls Mobile-Experte. Zwar werden die Technologien im Digital Advertising immer besser und schneller, wodurch mehr Daten zur Verfügung stehen. Doch zeitgleich erhöht sich die Hürde, diese Daten für Werbezwecke einzusetzen: “Vor allem, wenn es um die automatisierte Erkennung von Nutzungssituationen und Kontext geht, steigt neben dem Konvergenzgrad auch die Komplexität der Verarbeitungsmöglichkeiten. Für die Verfeinerung des Targetings wird es zunehmend darauf ankommen, die Präzision der Nutzer- sowie nutzungsbezogenen Datenpunkte wie Haushalts- und Medienkonsumdaten möglichst auf Echtzeitniveau zu bekommen”, ist Roloff überzeugt.
Einen zweiten Tipp hat der Madvertise-Chef noch im Köcher: “Marketer sollten 2022 für ihre Werbebotschaft zudem Affinitätswellen nutzen: Technologien wie die Automated Content Recognition ermöglichen es, dass Inhalte aus verschiedenen Quellen wie TV, Streaming oder Radio zur Nachverfolgung und Attribution der User von einem Mobile Device erkannt und für Kampagnen in Echtzeit verarbeitet werden. Auch Location-Based-Services werden wichtiger, bei denen mobile Nutzungs- und Locationdaten den Handel dabei unterstützen, Nutzer in die Stores mit spannenden Angeboten und Deals zu ‘navigieren’”.
Datenschutz als Prämisse
Beim Stichwort Location-Based wird das Adtech-Unternehmen Adsquare hellhörig. Laut Luise Weiß, VP Revenue beim Berliner Marktplatz für Location- und Audience-Daten, gibt es kommendes Jahr drei Kernthemen für den Bereich Data-Driven Advertising: Datenschutz, Unabhängigkeit und Technologie. “Datenschutz wird für jeden modernen Marketer in 2022 an oberster Stelle stehen und eine Grundvoraussetzung sein für partnerschaftliche Zusammenarbeit. Für Datenanbieter bedeutet dies eine höhere Anforderung an die Lieferketten-Transparenz”. Zudem würden Daten zukünftig kanalübergreifend anwendbar sein müssen. “Die Grenzen – beispielsweise zwischen Display und OOH – verschwinden. Kampagnen werden heute ganzheitlich gedacht, die Customer Journey für Daten-Einkäufer muss entsprechend darauf ausgerichtet werden”, meint Weiß.
Mit Blick auf das dritte Kernthema würde nebst Audience Targeting das Geo-Kontextuelle Targeting weiter an Bedeutung gewinnen. “Standortbezogenes Marketing ist nachweislich effektiver als Standardwerbung. Acht von zehn Marketern nutzen Standortdaten im Marketing und 95 Prozent planen dies in Zukunft zu tun. Das hierbei steigende Angebot an verorteten Zielgruppendaten von First-Party-Data-Anbietern wie Telkos wird in 2022 für eine Effizienzsteigerung sorgen und dem Produkt als ganzes Aufwind verleihen”, ist sich Weiß sicher.
Am Anfang steht der Consent
Wie man es dreht oder wendet – an der Nutzereinwilligung kommt die Werbeindustrie nicht mehr vorbei. “Consent und Compliance werden 2022 die entscheidenden Themen für alle digitalen Marktteilnehmer sein – egal ob Publisher, Advertiser oder Tech-Anbieter”, glaubt daher Manuel Heydenreich, Sales Director DACH der Consent-Management- und Analyse-Plattform Sourcepoint. “Wer seine User davon überzeugt, warum er seine Daten benötigt, wird zukünftig klare Vorteile haben”, schlussfolgert er.
Mit dem bisherigen Laissez-faire sei Schluss. “Darüber hinaus werden die Datenschutzbehörden auch verstärkt auf die Umsetzung achten. Die Chancen, dass es im kommenden Jahr zu einer Pflicht des ‘Reject all’-Buttons kommen wird, steigen ebenfalls. Das wird monetär deutliche Auswirkungen auf viele Umsätze haben und ein Jahr vor dem Aus der Third-Party-Cookies keine Freude im Markt verursachen”, prognostiziert Heydenreich.
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