Google hat die endgültige Abschaltung der Third-Party-Cookies im Chrome-Browser verschoben. Advertiser sollten sich indes nicht entspannt zurücklehnen. Alternativ-Strategien sind dringend notwendig. Wichtig ist, dass wir als Branche unser Ökosystem als solches überdenken und die Souveränität der Nutzer ins Zentrum stellen. Das ist nicht nur 100-prozentig datenschutzkonform, sondern auch nachhaltig.
Unmittelbar vor dem finalen „Abpfiff“ im Endspiel um die Zukunft der Third-Party-Cookies, um in der Sprache der WM im Sommer dieses Jahres zu bleiben, hat sich die Online-Werbebranche noch einmal in eine Verlängerung gerettet.
So könnte man wohl interpretieren, dass Google die werbliche Nutzung von Third-Party-Cookies nicht bereits 2022, sondern erst 2023 beenden wird. Es ist schon spannend, zu beobachten, dass in diesem Markt nicht diejenigen das Sagen haben, die das Geld ausgeben, sondern diejenigen, die den Service anbieten.
Man kann Googles Entscheidung allerdings auch ganz anders sehen. Gleichzeitig mit der Bekanntgabe der Cookie-Verlängerung wurden die Tests mit Googles neuem Tracking-System FLoC (Federal Learning of Cohorts) auf Eis gelegt. Man möchte erst das Feedback und die Ergebnisse auswerten, heißt es aus Mountain View.
Debatte um FLoC werfen zwei Fragen auf
Zwei Interpretationen sind möglich: Zum einen könnten die ersten Tests gezeigt haben, dass FLoC nicht so gut funktioniert wie erhofft. Das Tracking-System arbeitet mit anonymisierten Daten und fasst Nutzer zu Gruppen zusammen, den sogenannten Kohorten. Innerhalb dieser Kohorten teilen die Menschen eines oder mehrere Targeting-Merkmale und der geneigte Werbungtreibende kann darauf buchen.
Werbeexperten buchen also nicht die einzelnen User mit ihren Merkmalen, sondern eine Gruppe, in der sie mit hoher Wahrscheinlichkeit das Merkmal auffinden. Durch FLoC gehen große Teile des Retargeting im E-Commerce verloren. In der Konsequenz bedeutet das massive Umsatzverluste für Google, aber auch andere große Publishing-Partner werden Verluste hinnehmen müssen. Es könnte also sein, dass Google die Verschiebung aus eigenen ökonomischen Überlegungen verkündet hat.
Die zweite Interpretation der Verschiebung durch Google enthält noch mehr Drama. „Spionage per FLoC – jetzt abschalten“ titelte eine IT-Zeitschrift unlängst. Zahlreiche große Magazine warnen ihre Lesenden vor dem neuen Google-Tracking.
Und das möglicherweise ganz zu Recht: Auf der Hausmesse I/O hatte Google gezeigt, dass auf der Basis von FLoC ein permanenter Datenstrom von allen Chrome-Browsern und Android-Smartphones erzeugt wird, der das Kohorten-System „füttern“ soll. Zwar wird oft unterstrichen, dass diese Daten komplett anonymisiert seien, dennoch sind viele User sicherlich skeptisch.
Wir brauchen einen Mindsetwechsel in der Adtech-Branche
Klar ist, dass die Branche nach einer Lösung sucht, die nicht nur den geänderten Usererwartungen an ihre Privacy Rechnung trägt, sondern auch Regulierung antizipiert.
Die Online-Werbebranche sollte jetzt nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Es muss ein wirklicher Lerneffekt aus all den Datenlecks sowie den Platzierungen von Anzeigen in unsicheren Umfeldern stattfinden. Die zentrale, eigentlich naheliegende Erkenntnis, die sich einem aufdrängt:
Wir müssen weg vom Hidden Tracking der User und hin zu einem aktiven Opt-in mit Selbstbestimmung als Grundlage.
Die Idee, dass Unternehmen ohne Wissen der Nutzer deren Daten aggregieren und werblich nutzbar machen, ohne die Zielgruppe selbst entscheiden zu lassen, ist eine Sackgasse. Da hilft auch keine Anonymisierung.
Wir brauchen stattdessen den aktiven User, der selbstbestimmt agiert. Und diese Art von Werbung ist letztlich auch wirkungsvoller. Schon längst gibt es Targeting-Methoden, die gänzlich auf den Einsatz von Daten verzichten und dabei noch eine verbesserte Nutzerakzeptanz sowie Werbewirkung bieten.
Die DSGVO und die damit einhergehende Consent-Pflicht hat daran nicht viel geändert. Zwar sind Unternehmen gezwungen, ihre Daten-Prozesse zu beschreiben und auf Anfrage die gespeicherten Daten preiszugeben, aber das geschieht eher im Hintergrund. Vordergründig ist der Einheitsbrei der Consent-Banner nicht dazu geeignet, die Konsumenten wirklich aufzuklären. Man klickt das Banner weg und oft erfolgt eine Zustimmung dann sogar eher zufällig. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis die Regulierungsbehörden hier erneut einschreiten werden.
Oder die Browser- und Betriebssystem-Hersteller tun es. Firefox, Safari und iOS14 und höher sind bereits weitgehend unsichtbar, die User dahinter bleiben anonym. Android wird mit dem Herbstupdate auf Version 12 folgen. Und Chrome dann eben erst Ende 2022 und nicht schon im Januar, wie ursprünglich angekündigt.
Für die Werbungtreibenden ändert sich dadurch gar nichts. Sie müssen jetzt handeln und am besten müssen sie eine Kursänderung vornehmen: Hin zu eigenen Daten und hin zu Targeting-Modellen, die sich aus einer aktiven Entscheidung der Nutzer oder dem Kontext der Inhalte speisen. In vielen Fällen aus beidem.
Ökosystem muss aufpassen von Nutzern nicht abgelehnt zu werden
Die Advertiser sind diejenigen, die den Markt vor sich hertreiben können, denn sie finanzieren das System. Eine Ablehnung des digitalen Werbesystems aus Nutzersicht bedroht den höchsten Wert der Werbungtreibenden, nämlich die Werbewirkung. Es liegt nachhaltig im Eigeninteresse der Marken, den digitalen Werbemarkt umfassend zu reformieren.
Die Umstellung auf neue Ansätze gleicht einem „Zehnkampf“, um ein Bild aus dem Sport zunehmen. In keiner Einzeldisziplin wird man die absolute Weltspitze erreichen, aber der Mix auf hohem Niveau macht’s. Es gibt nicht die eine Lösung der Zukunft. Eine moderne Werbestrategie setzt sich aus zahlreichen Bausteinen zusammen, die es permanent zu prüfen, zu vergleichen und zu optimieren gilt. Und das ist ein Dauerzustand. Die Vorbereitungen auf den nächsten Schritt in Sachen Digital Advertising sind in vollem Gange – trotz Google-Verschiebung.
Denn letztlich sollte sich die Werbebranche nicht primär an Technologien und Ökosystemen orientieren, wie sie Google repräsentiert, sondern an den Interessen und Bedürfnissen derjenigen, die sie erreichen wollen: den Nutzern – und diese, wie Netflix und Co. eindrücklich zeigen, entscheiden am liebsten selbst, welche Inhalte sie konsumieren.
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