Google hat mit der Ankündigung, das Ende des Third-Party-Cookies um fast zwei Jahre zu verschieben, die digitale Marketingbranche einmal mehr in Aufregung versetzt. Während die Auswirkungen schon jetzt immer spürbarer werden, unterstreicht dieser Schritt einerseits den allgemeinen Mangel an Vorbereitung – sowohl bei Google als auch in der gesamten Branche – und andererseits die Notwendigkeit einer cookiefreien Zukunft, die Verbrauchern, Werbetreibenden und Publishern gleichermaßen zugutekommt.
Die Zeit läuft
In seiner Ankündigung hat Google erklärt, warum die ursprünglichen Pläne zur Einschränkung von Drittanbieter-Cookies auf Ende 2023 verschoben werden mussten. Die eigene neue Identitätslösung, FLoC, scheint bis Ende dieses Jahres schlichtweg nicht fertig zu sein. Dazu wurden bereits im Vorfeld kritische Stimmen lauter und es scheint, dass sich die Einführung von FLoC auf internationaler Ebene aufgrund von Regulierungsproblemen wie denen der Datenschutz-Grundverordnung verzögert hat. Von außen betrachtet könnte man leicht den Eindruck gewinnen, dass Google darauf abzielt, seinen Markteinfluss zu konsolidieren, indem es die Tools stört, auf die sich der Markt verlässt. In der Ankündigung hieß es jedoch, die „Web-Community" brauche mehr Zeit. Hoffentlich ist das kein leeres Versprechen und Google will dieses Mal auf die Community hören.
Diese Entwicklung stellt jedenfalls eine eindeutige Lehrstunde für Google dar. Anzunehmen, dass es ein Problem dieser Größenordnung auf eigene Faust lösen kann, war reine Selbstüberschätzung. Und nicht nur für Google war es schon immer eine Herausforderung, ein Framework für die nächste Phase von Identity zu schaffen. Neue Änderungen, unter anderem von Apple und Firefox, haben als Katalysator gedient. Die Verzögerung von Google muss von der gesamten Branche genutzt werden, um zu lernen, alternative sowie mehrteilige Lösungen zu testen und die Verbraucher wieder in den Mittelpunkt zu stellen.
Vertrauen schaffen muss Priorität haben
Denn ein großer Teil der Verbraucher steht der Nutzung ihrer Daten nach wie vor skeptisch gegenüber. Das bestätigt unter anderem die beträchtliche Mehrheit, die das App-Tracking in der Sekunde deaktiviert hat, in der die Option mit dem Release von iOS 14.5 verfügbar wurde. Damit bleibt auch mit dem Aufschub eine zentrale Herausforderung bestehen: Die Verbraucher müssen die beiderseitigen Vorteile durch höhere Transparenz bei der Datennutzung noch besser verstehen, während der datenschutzkonforme Umgang mit ihren Informationen gewährleistet wird. Laut der Statista Global Consumer Survey im ersten Quartal 2021 sind 40 Prozent der globalen Konsumenten mit Werbung einverstanden, wenn sie dafür kostenlosen Content bekommen. Lediglich 14 Prozent stört es aber nicht, wenn ihre Daten für Werbezwecke genutzt werden. Mit welchen Lösungen kann die Zustimmung der Verbraucher also erhöht werden?
Die Zukunft liegt in der intelligenteren Nutzung von Datensignalen, die nicht mehr mit der Identität eines Nutzers verbunden sind. Ohne solche drehen wir uns im Kreis und werden weiterhin mit denselben regulatorischen Problemen sowie der Ablehnung der Verbraucher zu kämpfen haben. Die Branche muss skalierbare, zustimmungsbasierte Lösungen entwickeln, die sinnvolle Verbindungen zwischen Werbetreibenden und Nutzern schaffen und einen transparenteren Wertaustausch ermöglichen. Ein vielversprechender Weg dafür führt über die Rückkehr zu kontextbezogenem Targeting, das mit den heutigen technologischen Möglichkeiten um ein Vielfaches leistungsfähiger ist. Mithilfe dieser Methode können mittlerweile deutlich präzisere Aussagen getroffen werden, als dass Menschen, die sich auf einer Fußball-Webseite befinden, für den Sport interessieren. In Kombination mit First-Party-Daten und durch Machine-Learning-gestützte Algorithmen bieten zusätzliche Faktoren wie Standort, Wetter oder die verwendete URL eine hervorragende Methode, um relevante Zielgruppen auch ohne die Verknüpfung zur Nutzeridentität abzuleiten. Werbung wird damit weniger aufdringlich und die Nutzer fühlen sich nicht mehr verfolgt, während Marken sie trotzdem auf effektive Weise erreichen können.
Daneben wird in einer cookielosen Zukunft wieder mehr Bedeutung bei den Publishern liegen, wenn es darum geht, Zielgruppen zu organisieren und Content durch Werbung zu monetarisieren. Das Hauptaugenmerk sollte dabei auf hochwertigen und vertrauenswürdigen Inhalten liegen, die die Nutzer abholen und attraktive Werbeumfelder bilden.
Noch ist die Branche nicht bereit
Spätestens jetzt ist also die Zeit gekommen, in der Werbetreibende und Publisher im Dialog an Lösungen arbeiten müssen, anstatt den Umbruch mit schnellen, aber nicht zukunftssicheren Ansätzen vor sich herzuschieben. Wer die Verbraucher wirklich in den Vordergrund rückt, wird dabei die Nase vorn haben. Diejenigen aber, die auf die IDs von Drittanbietern angewiesen sind, haben jetzt noch maximal zwei Jahre, um sich neu auszurichten.
Und die Zahl der weitgehend Perspektivlosen ist alles andere als klein: Laut der aktuellen Dmexco-Umfrage haben weniger als ein Viertel der deutschen Marketer aktuell eine Lösung für die Zeit nach dem Ende des Cookies. Mehr als 20 Prozent haben sich bislang überhaupt nicht mit dem Thema auseinandergesetzt – ein fataler Fehler, wenn man bedenkt, dass bis 2022 etwa 75 Prozent der Werbemöglichkeiten auf nicht-adressierbares Inventar beschränkt sein werden.
Fazit: Nicht zurücklehnen
Die Ankündigung von Google darf keinesfalls zur Entspannung genutzt werden. Sie sollte vielmehr als Anlass für die gesamte Branche verstanden werden, um noch aktiver zusammenzuarbeiten und zukünftige Lösungen für die Post-Cookie-Ära gemeinsam zu gestalten. Denn bereits heute sind 30 Prozent des Werbeinventars nicht-adressierbar und es bleibt trotz kurzer Atempause nur noch wenig Zeit, um neue Targeting- und Messlösungen zu finden und ihre Effektivität zu testen. Nur zusammen kann eine Zukunft gestaltet werden, die allen Branchenakteuren nützt und in der Verbraucher das notwendige Vertrauen in einen fairen und transparenten Datenaustausch fassen können.
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