3 Checkpunkte für eine reibungslose First-Party-Data Value Chain
Karsten Zunke, 8. Oktober 2021Daten sind zum Herzstück des digitalen Marketings geworden. Unternehmen haben sie reichlich, Marketer würden sie gern nutzen, User fürchten, zu viele davon preiszugeben und Browserhersteller und Datenschützer haben ganz eigene Vorstellungen und Interessen. In dieser Gemengelage als Marketingbegeisterter einen kühlen Kopf zu bewahren, scheint schwierig. Kurz vor dem Aus der Third-Party-Cookies stellt sich nun die Frage, wie elegant datenbasiertes Marketing im digitalen Raum künftig funktionieren wird. Noch ruckelt es in der Data Value Chain.
„Wenn uns das Ende der Cookies von Drittanbietern etwas lehrt, dann, wie wichtig es ist, über einen regelkonformen, strukturierten und umfangreichen Pool von First-Party-Daten zu verfügen“, sagt Daniel Heer, Mitgründer und CEO von Zeotap. Doch davon sind viele Unternehmen noch Lichtjahre entfernt. Daten aus verschiedenen Kanäle fließen in unterschiedliche Silos. Es gibt Daten mit wechselnden Definitionen, inkompatible Systeme und nicht zuletzt Daten, die irgendwo mit erhoben werden, aber von denen niemand weiß, dass es sie überhaupt gibt. Hier Ordnung hereinzubringen, ist die erste Herkulesaufgabe für Unternehmen. Und es ist die Voraussetzung, um im zweiten Schritt die interne Unternehmensdatenwelt mit der externen Kommunikation zu verbinden.
Check 1: die eigenen Kundendaten
„Die zentrale Voraussetzung besteht darin, dass alle Kundendaten in einem zentralen System gespeichert werden und diese dann – in Echtzeit – dem Marketing-System zur Verfügung gestellt werden“, sagt Lena Mauer, Head of Sales Customer Data Management MEE bei SAP Customer Experience. Wichtig hierbei ist nach Einschätzung der Expertin, dass alle internen Daten, Daten von Geschäftspartnern und Drittanbietern, Offline-Daten, Daten zum Kundenverhalten und -erlebnis in einem einheitlichen Kundenprofil zusammengeführt werden. „Das dadurch entstandene dynamische Kundenprofil sollte zudem mit Präferenz- und Consent-Informationen angereichert werden. Ist dies gewährleistet, können Unternehmen ihren Kunden so zum richtigen Zeitpunkt ein relevantes, passgenaues Erlebnis über den jeweils bevorzugten Kanal bieten“, so Mauer.
Dazu müssen die Firmen eine einheitliche, unternehmensweite Datenstrategie ausarbeiten. Diese sollte laut Mauer vor allem auf den Daten basieren, die direkt von dem Endkonsumenten gesammelt wurden. Innerhalb dieser Strategie müssen aus Sicht der Expertin Unternehmen zwei Fragen beantworten können: Wer ist der Endkonsument? Und wie möchte er behandelt werden? Mauer plädiert dafür, dass eine solche Datenstrategie darauf abzielt, dass wirklich nur die Daten gesammelt werden, die tatsächlich benötigt werden, und dem Endkonsumenten transparent aufgezeigt wird, welche Daten dies beinhaltet. „Dadurch entsteht eine Beziehung zwischen dem Unternehmen und dem Konsumenten, die auf Transparenz, Respekt und Vertrauen basiert und die Marketingmaßnahmen können darauf aufbauen.“
Auch nach Einschätzung von Heer lohnt sich die Einbindung der First-Party-Daten in programmatische Kampagnen nur dann, wenn die Daten von guter Qualität, richtig strukturiert und mit der entsprechenden Einwilligung versehen sind. „Das ist etwas, das viele CDPs in diesem Bereich vernachlässigen, da sie häufig für ein nordamerikanisches Compliance-Umfeld geschaffen wurden“, so Heer. Im Wesentlichen ist dies die Aufgabe einer Customer-Data-Plattform (CDP) und der Grund, warum diese in den letzten Jahren von so vielen Unternehmen eingeführt wurde. Eine gute CDP stellt darüber hinaus sicher, dass dieser Datensatz mit Universal IDs verbunden werden kann, um die Profile im gesamten Werbeinventar adressierbar zu machen.
Check 2: IDs als verbindende Elemente
Die Verknüpfung von Datensätzen ist elementar, um auch in Zukunft das digitale Marketing datenbasiert betreiben zu können. Dafür sind clevere Lösungen gefragt. „Um Kundeneinblicke und Daten für die Aktivierung für den Mediaeinkauf aufzubereiten, wird ein sicherer Connector benötigt, der eine Verbindung zu den Nutzern herstellt“, sagt Kolja Brosche, Head of Strategic Growth bei Liveramp. „Und zwar sowohl zu den jeweiligen Publishern als auch zu den angeschlossenen Einkaufs- und Verkaufsplattformen, also den DSPs und SSPs“. Eine kanal- und geräteübergreifende Lösung ist Brosche zufolge empfehlenswert, wenn auch die Customer Journey übergreifend analysiert werden soll. Eine agnostische ID-Lösung kann aus seiner Sicht der Connector für die Aktivierung sein, sofern alle relevanten Kanäle und Destinationen abgedeckt werden.
Nach wie vor wird in der Praxis oftmals der Third-Party-Cookie benutzt. Doch dieser ist bekanntlich nicht mehr lange einsetzbar, einige Anbieter unterstützen ihn bereits heute nicht mehr. Eine Alternative sind ID-Lösungen. Sie werden im digitalen Ökosystem zunehmend unterstützt und ermöglichen transparente Use Cases und gelten – dank der aktiven Einwilligung der Nutzer – auch als eine datenschutzkonforme Möglichkeit zur Aktivierung von Kundeninformationen. Liveramps ID-Lösung wird beispielsweise weltweit von vielen Plattformen, DSPs und SSPs unterstützt und von bereits mehr als 400 Publishern für den Mediaeinkauf von Werbetreibenden eingesetzt. Laut Brosche werden dabei die hohen Standards für den Datenschutz und die Sicherheit der Verbraucher mit einer Technologie aufrechterhalten, die Kundensignale von PII in Token oder pseudonyme Identifikatoren übersetzt. Die aktive Einwilligung des Nutzers ist hierbei eine zwingende Voraussetzung. „Somit haben User jederzeit die Kontrolle darüber, welches werbetreibende Unternehmen und welcher Publisher zu welchem Zweck ihre Daten erfassen und verwenden darf – und kann diese Einwilligung bei Bedarf jederzeit zurückziehen“, so Brosche. Darüber hinaus bietet die Ramp-ID Werbetreibenden und Publishern die Möglichkeit, die pseudonymisierte Nutzerinformationen auch für eine Aktivierung in den Walled Gardens zu verwenden, ohne Kundendaten weiterreichen.
„Mit der vorgezeichneten Ablösung der Third-Party-Cookies in den nächsten zwei bis drei Jahren gewinnen ID-basierte Lösungen zur Zielgruppesegmentierung an Relevanz“, ist auch Dino Bongartz, CEO The Adex, überzeugt. Der beste Ansatz ist nach seiner Einschätzung der deterministische, bei dem zwei oder mehr Partner dieselbe feste ID nutzen oder zum Beispiel über ein Hashing synchronisieren können. Hier gebe es weder einen Informationsverlust noch Ungenauigkeiten. „Leider stehen in allen Ländermärkten derzeit aber zu wenige Logins und marktübergreifende stabile IDs zur Verfügung, um zu einer relevanten Abdeckung zu kommen“, so Bongartz. Mit dem Cross-Device Identity Grid bietet das Unternehmen eine eigene Lösung, mit der sich auf Basis hoher Wahrscheinlichkeiten Überschneidungen und/ oder Übereinstimmungen zwischen verschiedenen IDs identifizieren lassen. Somit kann der Technologieanbieter hohe Qualität und weitreichenden Umfang der Nutzbarkeit verschiedener IDs kombinieren.
Check 3: Predictions und Modellierungen
Neben der Nutzung eigener Kundendaten dürften auch in einer Post-Cookie-Ära datenbasierte Zielgruppenmodellierungen und -erweiterungen eine wichtige Rolle spielen. Zwar gelten CRM-Daten meist zu 99,9 Prozent als valide. Doch in der Regel liegen diese validen Daten nur von vergleichsweise wenigen Nutzern vor, sodass solche Profile für ein Zielgruppen-Targeting auf CRM-Basis verloren gehen würden. Martech-Anbieter bieten auch dafür eine Lösung an. Über Modellierungen mit der Audience Extension von The Adex lassen sich laut Bongartz beispielsweise von 15 Prozent Nutzern, zu denen valide CRM- und weitere Daten vorliegen, mit statistischen Hochrechnungen entsprechende Informationen und Attribute auf über 75 Prozent weitere Nutzer übertragen, über die relativ wenig bekannt ist. Auf diese Weise lässt sich die Zielgruppenreichweite vervielfachen.
Auch die Lösung von 1plusx ermöglicht ein Lookalike-Modeling. Sie basiert auf einer Clean-Room-Solution in Kombination mit einer selbst entwickelten Machine-Learning-Technologie. Werbetreibende können damit eigene First-Party-Kundendaten onboarden und diese mit dem gesamten Datenraum von Publishern abgleichen, ohne dass Daten zwischen den Parteien transferiert werden. Anschließend können automatisiert Lookalikes berechnet und zur Aktivierung zur Verfügung gestellt werden.
Da die Einführung eines marktübergreifenden ID-Standards bisher nicht in Sicht ist, schlummert auch in der Ansprache unbekannter Websitebesucher großes Potenzial. „Künstliche Intelligenz und insbesondere maschinelles Lernen werden in Zukunft unerlässliche Technologien sein, um die wachsende Anzahl an anonymen Usern adressierbar zu machen“, sagt Mathias Damm, Sales Director DACH von 1plusx. Der Datenplattform-Anbieter setzt maschinelles Lernen unter anderem dafür ein, um Rückschlüsse auf den anonymen Webverkehr zu ziehen. Durch den identifizierten Verkehr werden Seiten oder Produkte profiliert. Dabei geht es nicht darum, Nutzer indirekt zu identifizieren, sondern aus den wenigen identifizierten Usern Rückschlüsse auf anonyme User ziehen zu können. „Zum Beispiel kann ein Algorithmus den identifizierten Webverkehr analysieren und herausfinden, dass eine Seite besonders oft von technologieaffinen Usern besucht wird. Beim Besuch eines anonymen Profiles auf diese Seite kann dann auf diese gelernte Information zurückgegriffen werden“, so Damm.
Nach seiner Einschätzung hat das absehbare Verschwinden von Third-Party-Cookies und Third-Party-Data bei vielen Marktteilnehmern dazu geführt, den Wert und die Relevanz der eigenen (Kunden)-Daten für Marketing- und Advertising Use Cases mehr zu schätzen. „Der wahre Mehrwert kommt jedoch erst durch Daten-Kollaboration zwischen diesen Marktteilnehmern zustande“, so der Experte. Doch dieser Ansatz wurde bislang aufgrund technologischer oder datenschutzrechtlicher Hürden lediglich zwischen den Walled Gardens und Werbetreibenden umgesetzt. In diese Lücke stoßen nun Data-Clean-Room-Technologien, welche die direkte Kollaboration zwischen den Marktteilnehmern ermöglichen „und die Data Value Chain demokratisieren und verschlanken“, ist Damm überzeugt.
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