Unternehmensberatungen spähen nach Media-Experten
Anton Priebe, 15. September 2021Consulting-Unternehmen mischen verstärkt im Digital Marketing mit, nachdem sie das enorm große Potenzial, das die Digitalisierung derzeit bietet, für sich entdeckt haben. Doch die Beratung kann nur funktionieren, wenn das nötige Fachpersonal an Bord ist. Oliver Gertz ist Expert Partner bei Frwd@Bain im Münchner Büro der internationalen Strategieberatung Bain & Company. In dieser Einheit versammeln sich Fachkräfte, die aus der Praxis kommen, etwa von Agenturen oder Tech-Unternehmen. Gertz selbst hat zuvor lange Zeit beim Agenturnetzwerk Mediacom digitale Teams in 25 Ländern aufgebaut. Im Interview verrät er, was Profis für Digitalwerbung beim Management-Berater genau leisten müssen und wie man Marketing als Wachstumstreiber für Unternehmen sichtbar macht.
ADZINE: Hallo Oliver, in welchen Feldern seid ihr tätig?
Oliver Gertz: Unsere Kunden fragen uns, wie man sich im Marketing und E-Commerce aufstellen sollte, um langfristig zu wachsen und den Wettbewerb zu übertrumpfen. Wir starten üblicherweise mit einer Analyse des bestehenden Marketing-Setups. Wir identifizieren Potenziale, um die Auswirkungen auf Verkäufe und Profit zu erhöhen – und das online wie offline. Dabei gehen wir für die Analyse einerseits sehr tief in die Martech- und Adtech-Tools der Kunden und Agenturen, schauen uns aber auch die gesamte Customer Journey an. Im nächsten Schritt helfen wir den Kunden dabei, das identifizierte Potenzial auch zu heben.
Dabei geht es um den Ausbau von Fähigkeiten und Ressourcen, die passenden Tools und die richtige Dateninfrastruktur sowie die ROI-Messung. Zudem geht es darum, wie man in abteilungsübergreifenden Teams agil zusammenarbeitet und durch konstante Tests die Marketingeffektivität steigert. Wichtig dabei ist: Wir haben zwar das Know-how der besten Agenturen, wollen jedoch keine Agentur ersetzen. Wir sind auch kein Technologie-Reseller. Das erlaubt uns, wirklich unabhängig zu beraten und mit den Agenturen und Partnerunternehmen des Kunden eng zusammenzuarbeiten.
ADZINE: Ihr sucht derzeit nach Media-Experten für euer Team, richtig? Was haben Spezialisten für digitale Werbung bei einer Unternehmensberatung verloren?
Gertz: Im E-Commerce und im digitalen Marketing müssen Strategien auf den tiefen Erkenntnissen aufbauen, die aus den Kampagnen und E-Commerce-Plattformen gewonnen werden können. Hierbei geben uns die Konsumentinnen und Konsumenten klare Rückmeldungen, was ankommt und was nicht. Daher brauchen wir Expertenteams, die sich mit den Plattformen auskennen und die Daten analysieren können.
Bei der Umsetzung von Kampagnen gibt es dann oft einen großen Unterschied zwischen dem, was die Plattformanbieter versprechen, und dem, was wirklich funktioniert. Wir helfen unseren Kunden, Tools und Prozesse aufzusetzen, die in der Praxis eine signifikante Steigerung der Effektivität bringen. Und das geht nur, wenn man diese Praxiserfahrung hat. Bei uns sind letztendlich also die Spezialistinnen und Spezialisten essenziell, um die Strategien und Fähigkeiten unserer Kunden kontinuierlich zu verbessern.
ADZINE: Welche Qualifikationen genau müssen sie mitbringen, um für euch zu arbeiten?
Gertz: Wir suchen Fachleute, die tiefe Expertise im datengetriebenen Marketing und E-Commerce haben. Auf einer Managerebene sollte man sich in mindestens einem biddable Kanal – Search, Social, Programmatic – sehr gut auskennen und die anderen Kanäle ebenfalls gut verstehen. Breiteres Marketing- und E-Commerce-Wissen, auch für Offline, hilft darüber hinaus immer.
Je mehr eine Rolle Führungsqualifikationen voraussetzt, desto wichtiger ist natürlich die Breite der Erfahrung. Neben gutem Handwerk und analytischen Fähigkeiten ist eine gewisse Neugier essenziell. Wir müssen uns immer fragen: Was bedeutet das jetzt für den gesamten Unternehmenserfolg? Es gilt also die tiefen Erkenntnisse in klare Handlungsempfehlungen zu übersetzen.
ADZINE: Die Aufgabe einer Unternehmensberatung ist es, unterm Strich ein besseres Unternehmensergebnis zu erzielen. Welche Rolle spielt die Werbung dabei?
Gertz: Werbung muss Wachstum treiben. Das heißt: Kurzfristig den Umsatz und die Marge erhöhen sowie langfristig Marken aufbauen, die dann wiederum Umsatz und Marge verbessern. In der Hektik des Tagesgeschäfts verlieren viele Marketingverantwortliche in den Unternehmen, aber auch bei Agenturen und Technologieanbietern, dieses Ziel aus den Augen. Sie fokussieren sich dann zu sehr auf Ziele und KPIs, deren Beitrag für den Unternehmenserfolg unklar ist.
ADZINE: Welches sind denn die "richtigen" und welche die "falschen" KPIs für den Unternehmenserfolg? Kannst du dafür konkrete Beispiele geben?
Gertz: Wir sehen oft, dass noch KPI wie TKP, Rabatt oder Click-Rate im Fokus stehen. Selbst Online Sales, der Umsatz, ist noch weit vom Profit-Betrag entfernt, da die Marge pro Produkt nicht berücksichtigt wird. Richtig komplex wird es jedoch, wenn sowohl On- als auch Offline verkauft wird, und die Effekte von „Research Online, purchase Offline“ und umgekehrt berücksichtigt werden müssen. Dann kommt noch kurz- versus langfristiges Wachstum dazu – manche Kanäle wie TV treiben kurzfristig Umsatz, langfristig Marke, die dann zu zukünftigen Umsätzen führt.
Unsere Aufgabe ist es oft, ein ganzheitliches KPI-Framework zu bauen und die Korrelation von einfach messbaren Echtzeit-KPI, vor allem aus der Online-Welt, auf den Gesamterfolg durch Tests zu ermitteln.
ADZINE: Apropos Erfolgsmessung – auf Entscheiderebene geht es oftmals darum, Marketing messbar zu machen. Wie muss also das Marketing aufgestellt sein, um als Wachstumstreiber erkannt zu werden, und inwiefern hilft dabei ein Media-Experte?
Gertz: Für CEOs zählen vor allem Umsatz und Profitwachstum. Dabei sehen wir, dass die Versprechen von Adtech, jeden Kontakt entlang der Customer Journey bis auf Einzelpersonen messen und analysieren zu können, oft zu falschen Erwartungen und zur Optimierung der falschen KPIs geführt hat. Ein großer Teil des Umsatzes findet für die meisten Unternehmen noch im stationären Handel statt oder auch nicht direkt nach dem Werbekontakt.
Wir unterstützen unsere Kunden dabei, ganzheitliche Systeme zur Messung der Marketingeffektivität aufzusetzen. Damit helfen wir, sowohl das große Ganze zu verstehen als auch taktisch schnell optimieren zu können. Cookie-Sterben, Walled Gardens, Produktsuche online und Kauf offline oder umgekehrt – die rasanten Veränderungen im Markt verwirren oft. Wenn wir jedoch den Fokus auf das Verständnis – und damit noch vor den kurz- oder langfristigen Marketingerfolg – setzen, dann sehen wir, dass der Traum von dem einen Tool, das alle Fragen beantwortet, unrealistisch ist.
Unternehmen müssen innerhalb ihrer eigenen Organisation Expertise aufbauen, um aus all diesen fragmentierten Daten die richtigen Entscheidungen abzuleiten und diese dann agil mit ihrem Partner-Ökosystem umsetzen. Dabei hilft eine agile „Test for Results“-Kultur, auch eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit spielt eine große Rolle. Datagetriebenes Marketing heißt für mich, auf Basis valider Daten bessere Entscheidungen zu treffen. Dabei unterstützen wir unsere Kunden.
ADZINE: Vielen Dank für das Interview!
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