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ADTECH - Interview mit Sara Sihelnik, Quantcast

“Ohne Machine Learning kommt man heute nicht mehr weit”

Anton Priebe, 17. September 2021
Bild: Quantcast Sara Sihelnik, Quantcast

Nahezu jeder Adtech-Anbieter behauptet heutzutage Künstliche Intelligenz einzusetzen, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Dabei gibt es jedoch deutliche Unterschiede und insbesondere im Targeting-Sektor wird sich künftig zeigen, was wirklich unter der Haube der Unternehmen steckt, meint Sara Sihelnik, DACH-Chefin von Quantcast. Im Interview verrät sie, welche Rolle KI und Machine Learning im modernen Advertising spielen, inwiefern sie bei der kommenden "Cookiecalypse" helfen können und was Geophysik mit Werbetechnologie gemeinsam hat.

ADZINE: Hallo Sara, du bist studierte Geophysikerin und hast auch in diesem Bereich in der Forschung gearbeitet. Wie landet man mit einem solchen Hintergrund bei einem Adtech-Unternehmen wie Quantcast?

Sara Sihelnik: Als Geophysikerin arbeitet man ebenfalls mit Daten und wertet diese mithilfe von Künstlicher Intelligenz aus. Wenn auch natürlich in einem anderen Umfeld – statt Bodenschätzen sucht man bei Quantcast eben neue Umsatzpotenziale. Mein Geophysik-Hintergrund hilft mir heute, denn ich schaue etwas anders auf Daten und ziehe daraus anders meine Insights.

Nach meiner Arbeit in der Forschung war ich jedoch zunächst bei Getty Images angestellt und bin so in eine Vertriebsrolle gekommen. Dort war ich schon im Marketing tätig und hatte vorrangig mit Agenturen Kontakt, wenn auch eher aus dem Kreativ-Bereich. Die Kombination aus KI-Know-how, Datenanalyse und Marketing fand Quantcast wohl spannend.

ADZINE: Was genau steckt hinter Quantcast?

Sihelnik: Quantcast ist ein internationales Unternehmen für Werbetechnologie. Dabei decken wir verschiedene Geschäftsbereiche ab: Wir betreiben eine Audience-Intelligence-Plattform mit eigenen First-Party-Daten und sitzen somit sehr nah an der Publisher-Welt. Außerdem stellen wir eine eigene Consent-Management-Lösung (CMP) zur Verfügung. Der dritte Bereich ist unsere KI-gestützte, programmatische Targeting-Engine für die Advertiser-Seite.

ADZINE: Wie seid ihr technologisch in das programmatische Ökosystem integriert?

Sihelnik: Wir sind ein Daten-Aggregator, sammeln also selber Daten und bearbeiten diese inhouse. Das macht uns zu einer Data-Management-Plattform (DMP). Außerdem verfügen wir über eine eigene Demand-Side-Plattform (DSP), über die wir das Media-Buying mit unserem Targeting abwickeln. Darüber sind wir an alle relevanten Ad Exchanges und privaten Marktplätze angebunden sowie an die Supply-Side-Plattformen (SSP).

ADZINE: Läuft das im Managed-Service?

Sihelnik: Unsere DSP ist im März auch als Self-Service-Produkt für DACH gelauncht worden. Das war der letzte Geschäftsbereich, den wir dahin transferiert haben. Die CMP-Lösung läuft ebenso wie der Publisher-Bereich schon komplett im Self-Service.

ADZINE: Wie kommt ihr an die soziodemografischen Informationen der User, die sowohl Publisher als auch Advertiser bei euch abrufen können?

Sihelnik: Dazu muss ich etwas zu unserer Geschichte erzählen. Quantcast wurde 2006 von unserem Co-Founder und CEO Konrad Feldman gegründet, der selber aus dem Bereich KI und Machine Learning stammt und darüber seine Doktorarbeit geschrieben hat. Er hat schon damals erkannt, dass sich Publisher am besten durch datenbasierte Werbung finanzieren können. So war das erste Tool Quantcast Measure dazu gedacht, dass Publisher ihre Audience besser verstehen können, um die Werbeplätze erfolgreicher zu vermarkten.

Der Pixel von diesem Tool ist mittlerweile in über 100 Millionen Websites verbaut und verschafft uns unsere Datenbasis. Wir geben den Publishern kostenlos Insights in ihre Audience und als Gegenleistung bekommen wir Zugang zu diesen Daten via First-Party-Cookie. Mit probabilistischen Verfahren erarbeiten wir daraus Informationen zur Demografie, aber auch zu den Interessen, Haushaltseinkommen, Kaufwahrscheinlichkeiten et cetera, die wir zusätzlich deterministisch validieren. So kommt unser Targeting-Angebot zustande.

ADZINE: Ihr schreibt euch insbesondere Machine Learning auf die Fahne. Kommt man im modernen Advertising überhaupt noch ohne Machine Learning aus?

Sihelnik: Darauf muss ich natürlich mit ‘Nein’ antworten. Es gibt sicherlich Advertiser, die noch nicht das volle Potenzial ausschöpfen, aber eigentlich haben das mittlerweile alle verstanden. Ohne Machine Learning kommt man im Advertising heute nicht mehr weit. Trotz allem stehen wir immer noch am Anfang und es gibt noch viel Potenzial für Werbetreibende im Bereich KI und Machine Learning zu heben.

ADZINE: Wie nutzt ihr Machine Learning für Innovation?

Sihelnik: Hier kann ich zwei aktuelle Beispiele geben. Mit Quantcast Connect bieten wir neuerdings ein Angebot, das durch intelligente Insights das Angebot von Publishern direkt mit der Nachfrage der Advertiser zusammenbringt. Also wir finden beispielsweise Sportinteressierte jenseits von Sportseiten. Und die neue Ara Topic Map nutzt natürliche Sprachverarbeitung, sogenanntes NLP, und Deep Learning, um Milliarden von Datenpunkten zu analysieren sowie Themen und Inhalte im offenen Internet zu katalogisieren und zu charakterisieren. Sie generiert Echtzeit-Einblicke in das sich ständig verändernde Verbraucherverhalten.

ADZINE: Heute läuft kein Interview in Adtech ohne die Cookie-Frage – inwiefern spielen Third-Party-Cookies bei euch eine Rolle?

Sihelnik: Cookies spielen weiterhin eine große Rolle, aber nicht in dem Ausmaß wie vielleicht bei anderen Unternehmen aus unserem Bereich. Denn wir haben wie gesagt einen eigenen First-Party-Datensatz mit zugehörigem Consent zum Tracking.

Beim Messen und Targeting kommen Third-Party-Cookies aber sehr wohl ins Spiel. Hier suchen wir schon lange nach Alternativen, testen und forschen. Es gibt ja auch heute schon cookiefreie Umgebungen wie Safari und Firefox. Dort können wir bereits Conversions tracken, weil wir uns bewusst dafür entschieden haben, zuerst mit der Messung ohne Third-Party-Cookies zu starten. Denn was man nicht messen kann, kann man nicht optimieren. Um Internetnutzer ohne Third-Party-Cookies zu erfassen, “füttern” wir unsere KI-Engine mit einer Vielzahl an alternativen Signalen: First-Party-Daten, ID-Lösungen, kontextuelle Signale über unsere Ara Topic Map, Device-Typ, Geolocation, Browser-Sprache, Zeit beziehungsweise Time Stamps, Kohorten und vieles mehr.

ADZINE: Welche Alternativen siehst du als Cookie-Ersatzstoff?

Sihelnik: Als Ersatz können – müssen aber nicht – ID-Lösungen gelten. Ansonsten helfen die eben angesprochenen Signale. Die sind einzeln gesehen nicht aussagekräftig genug, aber in Kombination und mit der richtigen Technologie, die sinnvolle Schlussfolgerungen ziehen kann, für Targeting nutzbar.

First-Party-Daten sind ein weiterer wichtiger Punkt. Auch hier ist ebenso wie bei den ID-Lösungen der Consent die zentrale Voraussetzung. Letztlich sehe ich noch Kohorten wie beispielsweise Googles FLoC als Alternative. Wir versuchen mit allen Lösungen interoperabel zu sein.

ADZINE: Vielen Dank für das Interview!

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