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ADTECH - Interview mit Phil Schraeder, CEO Gum Gum

Contextual-Spezialist Gum Gum kauft Just Premium und landet in Europa

Anton Priebe, 11. August 2021
Bild: Christian Lue – Unsplash

Kontextuelles Targeting wird in der Digitalwerbung angesichts schwindender Third-Party-Cookies zunehmend als eine wertvolle alternative Lösung gehandelt, um seine Zielgruppen in Zukunft weiterhin zu erreichen. Gum Gum, Spezialist für Contextual Targeting, hat gerade Just Premium übernommen, den niederländischen Programmatic-Marktplatz für Rich-Media-Formate. Die Übernahme ist die Eintrittskarte für Gum Gum in acht neue Märkte, darunter auch Deutschland. Im Interview erklärt Phil Schraeder, CEO von Gum Gum, was hinter dem kalifornischen Adtech-Unternehmen steckt und wie er sich die Zukunft vorstellt.

Bild: Gum Gum Phil Schrader, Gum Gum

ADZINE: Hallo Phil, kannst du Gum Gum in zwei Sätzen beschreiben?

Phil Schraeder: Gum Gum ist ein Contextual-Technologie-Unternehmen, das Advertiser in die Lage versetzt, Konsumenten ohne personenbezogenen Daten zu erreichen. Wir liefern kreative Werbelösungen, skalierbar über alle heutigen und zukünftigen digitalen Umgebungen hinweg.

ADZINE: Ihr habt gerade erst verkündet, dass ihr Just Premium übernommen habt – magst du uns erklären, warum die zwei Unternehmen gut zusammenpassen, insbesondere mit Blick auf den deutschen Markt?

Schraeder: Die Übernahme ist ein bedeutender Baustein unserer übergeordneten, globalen Strategie. Wir haben im vergangenen Jahr 75 Millionen US-Dollar von Goldman Sachs eingesammelt und wollen sehr schnell wachsen. Wir wurden für unsere Contextual-Technologie kürzlich in den USA akkreditiert, nach einem Audit-Verfahren über drei Jahre. In schwierigen Zeiten, in denen die Cookies verschwinden und der Fokus auf Datenschutz liegt, möchten wir der Werbeindustrie unsere Lösung weltweit zugänglich machen.

Just Premium erlaubt uns im deutschen Markt Fuß zu fassen und liefert uns direkt die Top 50 Publisher. Außerdem kommen so zwei Offices in Hamburg sowie Düsseldorf mit insgesamt neun Personen vor Ort hinzu, inklusive sehr erfahrener Adtech-Veteranen, die den Markt kennen.

Im nordamerikanischen Markt, UK und Japan sind wir bereits führend, jetzt folgt der Rest von Europa. Insbesondere in Deutschland sehen wir viel Potenzial, denn der Firefox-Anteil ist sehr hoch und die Deutschen sorgen sich extrem um ihre Privatsphäre.

ADZINE: Soweit zum strategischen Anteil, wie sieht’s technologisch aus?

Schraeder: Wir wurden aufgrund unserer Methodologie akkreditiert. Diese versetzt uns dazu in die Lage, unsere Technologie in jedem Land in jeder Sprache und in jeder digitalen Umgebung weltweit einzusetzen.

Konkret liefern wir dem Markt neue kreative Werbeprodukte. Just Premium hat verschiedene Skins und Takeovers entwickelt und wir steuern weitere High-Impact-Formate bei. Unsere Formate sitzen zum Beispiel im Content selbst oder gehen in Richtung Connected-TV. Wir bieten auch Video-Lösungen und haben sogar eine API gebaut, die Agenturen oder Publisher dazu nutzen können, um ein eigenes Contextual-Produkt zu entwickeln.

ADZINE: Denkst du, dass die besten Jahre in der Online-Werbung schon vorbei sind, wenn man die Präzision des Targetings als Gradmesser nimmt?

Schraeder: Das glaube ich nicht. Ich denke, dass das Targeting zu genau wurde. Die Konsumenten haben nicht mehr verstanden, was da passiert.

Die Werbeindustrie besaß ohne das Wissen der Konsumenten den Security-Code für deren Haustür. Wir konnten also einfach ins Haus gehen, Frühstück machen und alles perfekt arrangieren, aber die Bewohner wussten nicht, was dafür an Daten übertragen und genutzt wurde.

Ja, wir hatten Präzision in der Online-Werbung, aber jetzt geht es um Wahlfreiheit. Und die nächste Generation an Technologie verschafft den Konsumenten genau das.

ADZINE: Wie sieht die Nachfrage nach cookielosen Targeting-Alternativen in den USA aus?

Schraeder: Immens. Stell dir eine große Farm mitten in der Wildnis vor. Jeder war dort auf die Cookie-Party eingeladen und alle haben zusammen gefeiert. Dann hat jemand ein Streichholz darauf geworfen und alle sind zu unserer Contextual-Farm gerannt. Vorher mussten wir die Leute davon überzeugen, mit uns zu feiern. Jetzt rennen sie uns mit offenen Armen entgegen.

Contextual ist gekommen, um zu bleiben, und die Leute haben das verstanden. Shared IDs beispielsweise versuchen den Tag des Cookies zu retten, aber jede hat ihre eigene Limitierung, was Skalierbarkeit oder Adaption betrifft.

ADZINE: Werden sich die internationalen Märkte hinsichtlich User Privacy annähern, sodass sich auch die Produkte vereinheitlichen lassen?

Schraeder: Das ist gerade der Punkt bei Contextual. Es muss nicht überall adaptiert werden. Wir verstehen die Umgebung und fragen, wie du das nutzen möchtest, um den Konsumenten zu erreichen. Das kann überall angewandt werden.

Lösungen für Audiences, die global funktionieren müssen, stehen hingegen vor Problemen. Beispielsweise muss auch FLoC mit personenbezogenen Daten arbeiten, um Personen in Kohorten einzusortieren. Die Frage ist, in welchem Maße das wo erlaubt ist. Und was ist mit Lösungen, die mit E-Mail-Adressen arbeiten?

Nehmen wir einen Arztbesuch als Beispiel. Hier in den USA gilt der HIPAA, der sehr genau festschreibt, wie mit persönlichen Daten der Patienten umzugehen ist. Wenn ich nun als Amerikaner nach Deutschland komme, drängt die USA Deutschland nicht dazu, HIPAA anzuwenden. Der deutsche Staat hat seine eigenen Regeln, die genau auf die Bedürfnisse der Deutschen abgestimmt sind. Das wird auch mit Audience-Produkten geschehen – an dem Punkt sind wir nur noch nicht. Verordnungen wie CCPA oder DSGVO sind sehr neu. Jeder Staat wird also seine eigenen Bestimmungen haben. Es wird keine globale Lösung geben.

ADZINE: Welche wesentlichen Verbesserungen weist das kontextuelle Targeting heute im Vergleich mit dem vor zehn Jahren auf?

Schraeder: Diese Frage würde ich gerne an Sanja weitergeben, unsere Lead Scientist NLP.

Bild: Gum Gum Sanja Widmer, Gum Gum

Sanja Widmer: Vor zehn Jahren hat man sich vor allem an einzelnen Wörtern orientiert – etwa wie oft ein Wort im gesamten Dokument vorkommt. Jetzt können wir Deep Learning nutzen, um den gesamten Text besser zu verstehen. Mit Deep Learning versuchen wir ein Gehirn zu imitieren, das komplexe Interaktionen vollzieht und einen Text holistisch sieht. Dies hat auch große Fortschritte für Natural Language Processing mit sich gebracht.

Außerdem stehen mehr Daten für die Modelle zur Verfügung, die sie benötigen, weil sie sehr komplex sind. Deep Learning existiert schon seit den Achtzigern, aber es gab lange Zeit nicht genug Daten, um die Modelle zu trainieren. Jetzt haben wir genug Daten und Computing-Power, um das Potenzial zu nutzen. Wir können heute auch Bilder, Videos oder Audio besser analysieren.

Schraeder: Aus der Business-Perspektive sieht es so aus: Wenn man heute in einer Demand-Side-Plattform Contextual Targeting einkauft, findet man im Menü dieselben Optionen, die dort auch schon vor fünf Jahren standen. Es hat keine Innovation stattgefunden. Wir versuchen das zu ändern.

ADZINE: In welchen Kanälen seht ihr das meiste Potenzial für euer Wachstum in den kommenden Jahren?

Schraeder: In Smart-TVs und weiteren Connected Devices. Wir werden Partner bei der Monetarisierung von vielen künftigen digitalen Umgebungen sein. Nehmen wir Peloton. Ich bin mit deren Business-Modell nicht im Detail vertraut, aber sollten sie jemals an eine werbefinanzierte Version denken, stünden wir weit oben auf der Liste. Wir wollen Thought Leader bei der Monetarisierung solcher neuen digitalen Umgebungen sein.

ADZINE: Vielen Dank für das Interview!

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