Mobile killed the TV-Star: Über Automated Content Recognition auf den Second Screen
Francois Roloff, 8. Juli 2021Lange Zeit war der Fernseher das Zentrum des Wohnzimmers. Vor allem zur Prime Time kam hier die Familie zusammen, um gemeinsam Blockbuster, Live-Shows oder Reality-Formate zu erleben. Die Programmunterbrechungen durch Werbeblocks gehörten dazu und bekamen ebenfalls die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuschauer. Diese goldenen Zeiten, in denen die Werbeindustrie die wirklich breite Masse über TV erreichen konnte, sind vorbei – vor allem die jüngere Zielgruppe wanderte in den letzten Jahren wenigstens in Teilen zu Streaming-Anbietern ab.
Und dennoch: Die tägliche TV-Sehdauer beträgt laut einer aktuellen Auswertung der AGF 220 Minuten. 72 Prozent der Deutschen über 14 Jahren haben im vergangenen Jahr im Schnitt pro Tag einen Fernsehsender eingeschaltet. Bei den 14- bis 49-Jährigen, der vor allem für die privaten Sender relevanten Zielgruppe, waren es immerhin zwei Stunden und 17 Minuten. Die Art und Weise, wie wir TV-Angebote konsumieren, hat sich aber grundlegend verändert. Denn laut einer aktuellen Statista-Studie haben 80 Prozent der User ihr Smartphone ständig zur Hand. Längst hat es sich auch beim abendlichen Unterhaltungsprogramm als zweiter Bildschirm etabliert, die Aufmerksamkeit des Zuschauers wandert zwischen TV und Handy-Display hin und her, und gerade den Werbespots hört man allenfalls mit halbem Ohr zu. Das macht es Werbetreibenden nicht leichter – aber wer das Potenzial von datenbasierten Multi-Channel-Marketing erkannt hat, kann dank neuer Technologien als Gewinner dieser Entwicklung hervorgehen.
Immer online: Der Second Screen im Nutzerverhalten
Laut dem “Media Activity Guide 2020” von seven.one Media geben 65 Prozent der Nutzer an, dass sie das Telefon gelegentlich neben dem laufenden TV-Programm nutzen, dennoch sind es insgesamt 95 Prozent, die einen Second Screen nutzen, und dies teilweise intensiv – eine unglaublich breite Audience, die man parallel über mehr als einen Kanal ansprechen kann. Genutzt wird der zweite Bildschirm vor allem zur Recherche von Produkten, die im Fernsehen gezeigt wurden (70 Prozent) oder um Dienstleistungen zu bestellen, auf die sie im TV aufmerksam gemacht wurden (28 Prozent). Das Fazit daraus: TV kann das Kaufverhalten der Zuschauer auf ihren mobilen Devices direkt beeinflussen. Wieso diese Momente nicht direkt nutzen?
Vor allem in den Werbeunterbrechungen zücken viele das Smartphone und genau hier können Marketers gezielt einsteigen, denn der Nutzer ist eventuell auch weiterhin gedanklich beim aktuellen Fernsehprogramm. Er tauscht sich in seinen sozialen Kanälen über die laufende Sendung aus, sucht nach Inhalten oder Details zum Film oder interessiert sich womöglich sogar für ein Produkt, dass ihm eben im TV angepriesen wurde. Dies macht den besonderen Reiz und die verstärkende Wirkung des Second Screens aus. Sieht ein Zuschauer eine Werbung im TV und nimmt dabei sein Telefon in die Hand, kann ihm nur wenige Augenblicke später auch hier eine Anzeige für das eben gesehene Produkt ausgespielt werden.
Automated Content Recognition und Momente für den Second Screen
Dieses Zusammenspiel wird technologisch durch Automated Content Recognition (ACR) ermöglicht. Hierbei wird Content verschiedener möglicher Quellen wie TV, Streaming, Radio über die Audiosignale erkannt und entsprechend der vorgesehenen Kampagne ich Echtzeit verarbeitet. Funktionieren kann das sowohl im direkten Verfahren über Smartphones und Tablets als auch indirekt über die originären Contentquellen und deren Übertragungsweg,. Erkennt das Telefon selbst die Audiosignale des eben im Fernsehen abgespielten Werbespots als Audio-Sequenz und beginnt der Nutzer anschließend eine Suche auf dem Mobile Device, kann die Search-Kampagne des Advertisers, entsprechend angepasst, ausgelöst werden. Die Aktivierung kann auch auf Basis der gesamten TV-Ausstrahlungen aller Sender eines Landes erfolgen, indem Audiodatenpunkte der Broadcastantenne in Echtzeit und Schaltplan-unabhängig als Sequenzschlüsselquelle genutzt und als Datenfeed der ACR-Technologie verfügbar gemacht werden. Der Schutz der Privatsphäre ist dabei gewährleistet, da das Device lediglich durch entsprechende Watermarks (eine Sequenzdatei, die nur technisch triggert) angesprochen wurde und damit nur auf diese reagieren kann.
Die Momente für einen Second Screen sind dabei nahezu unerschöpflich und so vielfältig einsetzbar. Jedes Unternehmen, das Werbung im TV schaltet, kann sie für die Verknüpfung von On- und Offline-Kampagnen nutzen. Empfohlen ist, dass zusätzliche, zielgruppenspezifische Informationen, die in einem TV-Spot nicht enthalten sind, über ein Werbemittel zur Verfügung gestellt werden, das etwa zu einer Landing Page führt. Die ACR-Technologie eröffnet also neue Chancen, die eigene Werbebotschaft zu verstärken und somit nah am User und seinen Bedürfnissen zu sein. Das ist nur möglich, da die Technologie den Content automatisch erkennt und ihn in Echtzeit erfasst. Durch eine Kopplung an Werbe- und Analytics-Plattformen wird, synchron zum TV, digital die entsprechend richtige Kampagne gestartet.
Ein weiteres spannendes Einsatzszenario: Es ist sogar möglich, von den TV-Momenten der eigenen Wettbewerber zu profitieren. Diese Affinitäts-Effekte nennt man auch Guerilla- oder Hijack-Effekte. Ein gutes Beispiel hierfür sind Kopfschmerztabletten. Es gibt aktuell Hunderte von Produkten auf dem Markt, nur für einige sieht der Zuschauer TV-Werbung. Dank Einsatz der ACR-Technologie kann auf dem Second Screen eine Kampagne eines Konkurrenzproduktes aktiviert werden – denn der in der Technologie hinterlegte Sequenzschlüssel reagiert auf „Kopfschmerz”, nicht auf den Namen eines bestimmten Medikaments.
Zukunftsfähig durch ACR
Um exakt im richtigen Moment On- und Offline-Kampagnen zu verknüpfen, braucht es die ACR-Technologie, denn nur so gelingt die gewünschte Verstärkung. Wer glaubt, hier mit althergebrachten Werbeeinschaltplänen im TV ähnliche Erfolge zu erzielen, liegt voll daneben. Tests haben gezeigt, dass Abweichungen von mehr als fünf Minuten schon zu großen Unterschieden in der Effizienz führen. Zudem sind die täglichen Verzerrungen zwischen Einschaltplänen und realer Ausstrahlungszeit einfach zu groß.
ACR verzahnt die werbliche Kommunikation weiter und erschließt neue Wege, Kampagnen gezielt und effizient auszuspielen. Die fortschreitende Medienkonvergenz ermöglicht diese Momente nicht nur, sondern führt sie sogar aus situationsunabhängigen Kontexten zusammen und verknüpft sie mit heterogenen Kanälen, wie beispielsweise Wetter-Apps, Social Media oder Digital-Out-of-Home (DOOH). Diese Kopplung kann dabei so weit gehen, dass auf dem Smartphone eine Ad ausgeliefert wird, die den Nutzer zu einer Interaktion wie einem Like auffordert und die Kampagne über diese Interaktion nahezu in Echtzeit auf einem DOOH Screen übertragen wird.
Das Potenzial von Audio-Technologien für die Werbeindustrie ist noch längst nicht ausgeschöpft. Die Aufgabe des Marketings ist es nun, den Second Screen in den Fokus ihrer Bemühungen zu rücken und das Verständnis für die richtigen Momente bei den entsprechenden Audiences zu verfeinern. TV-Werbung mag in ihrer cineastischen Inszenierung nach wie vor die Königsdisziplin unter den Werbeformaten sein, wird aber in Zukunft stärker in das Onlinemarketing integriert werden und nicht mehr als eigenständige Disziplin an der Spitze einer Formate-Hierarchie stehen. Schließlich ist es der Zuschauer, der den Blick vom TV ab und dem Second Screen zuwendet.
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