Cookiekalypse: Schluss mit Frust – Jetzt ist Zeit, nach vorne zu blicken
Maren Seitz, 6. Juli 2021Das Aussterben der Third Party Cookies versetzt die digitale Werbewirtschaft seit geraumer Zeit in Aufruhr. Es ist eine Abkehr mit Ankündigung: So gab Google bereits Anfang 2020 bekannt, die Cookies von Drittanbietern bis 2022 abschaffen zu wollen, um die zunehmenden Datenschutzstandards in Europa und den USA zu erfüllen.
Für die Werbeindustrie stellt Googles Entscheidung eine enorme Herausforderung dar, denn Third-Party-Cookies erleichterten jahrelang die Arbeit von Marketers erheblich. Sie erlauben es, das Verhalten von Nutzern online nachzuverfolgen und diese so zielgerichtet und kosteneffizienter mit Werbung anzusprechen. Gleichzeitig ermöglichen sie es, die erfolgte Ansprache nachzuweisen und die Werbewirksamkeit zu messen. Ohne Cookies befürchten nun viele Werbetreibende – nicht unbegründet – Einbrüche in der digitalen Werbewirkung und somit in ihren Einnahmen. Das Ausmaß der Sorge wird in der Terminologie deutlich: die viel beschworene Cookiekalypse, das Cookiegeddon, der Crumbling Cookie dominieren die Berichterstattung. Der Bedarf nach Information aufseiten der Werbetreibenden ist groß, während Agenturen und Publisher hektisch an möglichen Alternativen arbeiten.
Die eigene Einstellung prüfen
Das Trauern um vergangene Zeiten ist absolut verständlich – darf aber nicht den Blick nach vorne verstellen. In Anlehnung an die fünf Phasen der Trauer – Verleugnung, Wut, Verhandeln, Depression und Akzeptanz – werden diejenigen Marketingexperten die Nase vorn haben, die die neue Realität am schnellsten akzeptieren.
Denn Fakt ist: Ein Privatsphären-freundlicheres Internet ist unaufhaltsam im Kommen, angetrieben durch erhöhtes Verbraucherbewusstsein und zunehmend zementiert durch strengere Datenschutzverordnungen. Die Abschaffung von Cookies ist nur ein weiterer Meilenstein auf diesem Weg. Wir können diese Entwicklung verleugnen, uns ärgern, auf spontane Alternativen hoffen, oder in Depression verfallen. Letztendlich müssen wir sie aber akzeptieren und unsere Energie darauf fokussieren, wie wir mithilfe alternativer Methoden weiterhin die richtige Nachricht zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Nutzer bringen können. Wer jetzt mit kühlem Kopf konkrete Strategien entwickelt kann sich einen echten Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Verleugnung und Wut – jetzt nicht den Kopf bzw. die Strategie verlieren
Die zahlreichen virtuellen Konferenzen und Events der Marketing-Branche im vergangenen Jahr waren deutlich vom Ärger über die bevorstehende cookielose Welt geprägt. Es kursieren mittlerweile sogar Verschwörungstheorien darüber, dass gesetzliche Datenschutzänderungen es zum Ziel haben, großen Tech-Konzernen noch mehr Geld einzubringen. Einige Marketer äußern ihren Unmut über Google, Apple und sogenannte Walled Gardens in Form von Forderungen nach strengeren, staatlichen Regularien und kartellrechtlichen Maßnahmen. Das Ergebnis ist jedoch fraglich – und Ärger über Änderungen darf nicht der Strategieentwicklung im Wege stehen.
Hadern und Hoffnung – die Scheuklappen abnehmen und über den Tellerrand schauen
Marken, die bereits einen Schritt weiter sind, freunden sich langsam mit dem Gedanken an, dass es auch alternative Tracking-Systeme, Identifiers und Ersatzlösungen gibt. Die Versuchung ist allerdings groß, sich nur auf Lösungen zu konzentrieren, die möglichst wenig Umdenken und Anpassung erfordern. Beliebt bei Werbetreibenden ist beispielsweise die Idee von einheitlichen IDs (Unified ID 2.0), die auf der E-Mail-Adresse des jeweiligen Users basieren. Sie sollen ähnliche Möglichkeiten wie Third-Party-Cookies bieten, allerdings mit strengeren Kontrollprozessen für einen größeren Schutz der Privatsphäre. Wie viele Nutzer letztendlich aber Ihre Zustimmung erteilen werden, ist fraglich.
Einen Schritt weiter entfernt von personenbasiertem Tracking sind Lösungen, die durch Aggregation, Anonymisierung und Verarbeitung auf den jeweiligen Endgeräten individuelle Indikatoren ersetzen. Hierbei testet Google aktuell einen Cookie-Ersatzmechanismus namens „Federated Learning of Cohorts“, kurz FLoC.
FLoC setzt auf maschinelles Lernen und generiert so Verbraucher-Cluster, um eine „Kohortenidentität“ zu erzeugen, die auf dem jüngsten Browserverlauf oder Surf-Gewohnheiten basiert. Auf diese Kohorten wird im Anschluss die Werbung zugeschnitten, anders als bei Cookies können einzelne Nutzer jedoch nicht identifiziert werden.
Die Existenz dieser neuen Lösungsansätze gibt Hoffnung. Aber einige Unternehmen scheinen darauf zu setzen, dass sich ihnen die eine, möglichst vertraute Lösung präsentieren wird. Um nicht in Hoffnung zu erstarren ist es wichtig, sich auf den Einsatz mehrerer Lösungen einzustellen und hier auch aktiv außerhalb der bisherigen Komfortzone und etablierten Vorgehensweisen zu suchen.
Von der Depression zur Akzeptanz – auf Möglichkeiten fokussieren
Wer sich dem Thema öffnet, hat nicht nur die Qual der Wahl aus einer Vielzahl an Optionen, sondern stößt auch häufig intern schnell auf Widerstand für die Umsetzung. Die Folge kann ein Gefühl der Überforderung und Ausweglosigkeit sein, welches die Phase der Depression kennzeichnet. Hier kann es helfen, sich daran zu erinnern, dass alle Marketer im selben Boot sitzen – und sich große Chancen für diejenigen bieten, die jetzt entschlossen handeln. Schließlich ist dies nicht der erste große Wandel, den das Marketing überstanden hat. Und sicher nicht der Letzte.
Die Entscheidungsfindung im Angesicht von Unsicherheit ist nicht einfach. Aber sobald Marken die Dringlichkeit zum Handeln akzeptieren und die verbundenen Chancen erkennen, können ihnen strategische Arbeits- und Denkweisen zugutekommen, die jeder während der Pandemie verstärkt lernen musste.
Stichworte wie Agilität, Experimentieren, und Szenarienplanung – unterfüttert durch Erfahrungen, Daten und genaue Beobachtung von Trends und Lösungen - sollten die Geschäftsplanung im Allgemeinen kennzeichnen und somit auch auf die Marketingplanung „post-Cookie“ angewandt werden.
In der konkreten Planung gilt es dann nicht nur, neue Techniken und Methoden auszuprobieren, sondern auch bestehenden Ansätzen neues Gewicht zu verleihen. Contextual Advertising – das Ausspielen von Werbung in einer thematisch passenden Umgebung – wird beispielsweise zweifellos an Bedeutung gewinnen.
Auch werden wir sicher eine Rückkehr zu stärker kundenzentriertem Marketing sehen: Unternehmen tun jetzt gut daran, eigene Kundenbeziehungen und somit First-Party-Datenbestände aufzubauen und gezielt für die Vermarktung zu nutzen.
Unabhängig von den gewählten Optionen wird effektives Change Management bei der Umsetzung im Unternehmen unerlässlich sein.
Wenn es um die Wirkungsmessung geht, dann gehören Attributionsmodelle durch den Wegfall der Cookies bald der Vergangenheit an. Und wir sollten ihnen nicht nachweinen – zwar lieferten sie schnelle und granulare Ergebnisse, aber deren Akkuratheit ließ zu wünschen übrig. Auch hier gibt es große Chancen: Moderne Marketing Mix Modellierungs-Ansätze können heute mit Test & Learn Ansätzen kombiniert werden, um so gezielt zu experimentieren. Die Ergebnisse lassen sich dann wiederum sofort implementieren, und über „always on“ Live Modellings monatlich überprüfen und anpassen.
Fazit
Unternehmen, die die neue cookielose Situation akzeptieren und strategisch für die Zukunft planen, sind klar im Vorteil. Seien es Kohortendaten, kontextuelle Ansprache, oder der Ausbau der eigenen Kundenbeziehungen und -datenbestände: Wer mit Szenarien arbeitet, ein waches Auge auf Entwicklungen hält und gezielt experimentiert, misst, und anpasst kann sich in dieser Phase der Disruption einen deutlichen Wettbewerbsvorsprung verschaffen.
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