Kaum ein Thema wird derzeit so heiß diskutiert wie Identity. Das Werbeökosystem arbeitet unter Hochdruck daran, die Adressierbarkeit der User für die Zukunft sicherzustellen. Im Interview gibt Joanna Burton, Chief Strategy Officer vom ID-Anbieter ID5, einen Überblick über den aktuellen Stand in der deutschen Publisher-Landschaft, erklärt verschiedene ID-Lösungen, geht auf die Probleme bei Googles Kohorten ein und wirft auch einen Blick auf Herausforderungen für Advertiser. Für Burton steht dabei eindeutig fest, wer den Schmerzpunkt Identity global lösen muss und wer nicht.
ADZINE: Hallo Joanna, wie ist der aktuelle Stand mit Blick auf Identity in Deutschland? Setzen deutsche Publisher 2021 verstärkt auf ID-Lösungen?
Joanna Burton: Ja, definitiv. In Deutschland ist die Quote schon sehr beachtlich. Laut einer Analyse, die wir gemeinsam mit Adform durchgeführt haben, senden 83 Prozent der Publisher zumindest für einen Teil ihres Traffics eine ID an die Demand-Seite zurück.
Deutsche Publisher hatten schon immer ein gutes Verständnis von Datenschutz und daher glaube ich, dass die starke Adaption auch daher rührt, dass man unbedingt zeigen möchte, mit der DSGVO im Einklang zu handeln. Insbesondere im First-Party-Kontext mit einer ID, die Daten und Identity voneinander trennt, ist das sowohl gut für die Publisher, als auch für die User bezüglich Datenlecks.
Deutsche Publisher sind gut darin, Usern den nötigen Werteaustausch zu erklären – also kostenlose Inhalte gegen Werbung oder eingeschränkter Zugriff auf Inhalte mit Abos und so weiter. Diese Konversation ist bereits etabliert.
ADZINE: Apropos Abos – Publisher mit einer großen Anzahl eingeloggter Nutzer haben in der kommenden Welt ohne Third-Party-Cookies einen klaren Vorteil gegenüber ihren Wettbewerbern. Aber werden First-Party-Daten allein ausreichen, um sich erfolgreich durchzusetzen?
Burton: Ich denke nicht, wobei dieses Thema für sehr viel Verwirrung sorgt. Die First-Party-Daten des Publishers sind nur innerhalb seiner eigenen Domain wertvoll. Er braucht darüber hinaus eine Möglichkeit, diese Daten zu aktivieren, sei es mit einem Third-Party-Cookie oder einer ID-Lösung. Die einzigen, die allein mit First-Party-Daten auskommen, sind die Walled Gardens, weil sie über einen sehr großen Datenschatz mit Opt-ins verfügen. Damit können sich nicht einmal die größten Publisher in Deutschland messen.
Es geht also nicht nur darum, Daten zu sammeln, sondern sie auch für das Werbeökosystem zu aktivieren. Ich habe das Gefühl, dass es bei Diskussionen über First-Party-Daten oftmals nur um eingeloggte und nicht eingeloggte User geht. Dabei sind Logins nicht der einzige Weg, um First-Party-Daten aufzubauen. Außerdem gibt der Login dem Publisher noch nicht das Recht, den User zu bewerben. Das ist nochmal eine ganz andere Debatte. Darüber mögen Logins zwar für viele deutsche Publisher funktionieren, aber es gibt eben auch eine hohe Anzahl, für die sie keine Option sind. Beispielsweise für diejenigen, die mit SEO-Traffic arbeiten.
ADZINE: Jetzt sind wir bei den verschiedenen Identity-Ansätzen angekommen: Besonders Kohorten und Universal IDs scheinen momentan die Debatten zu dominieren. Was hältst du von denen?
Burton: Bei den Kohorten gibt es noch jede Menge Fragezeichen, vor allem bezüglich Performance und Effizienz. Sie scheinen ein sehr eindimensionales Verständnis über die User zu vermitteln, beispielsweise Auto-Interessierte in der einen Woche und in der nächsten etwas ganz anderes. Die grundsätzliche Frage ist jedoch: Wenn alle Unternehmen dieselben Informationen erhalten – wie soll dann Wettbewerb entstehen? Wie soll ein Publisher damit konkurrieren? Und wer wird die Standards und Regeln dafür definieren? Bereits jetzt existieren Datenschutzbedenken und es ist völlig unklar, ob User einen Opt-out durchführen können. Wir brauchen also mehr Klarheit und mehr Wettbewerb. Wir wissen ja nicht einmal, ob und wann das Testen in Europa beginnt.
Im Gegensatz dazu sind die geteilten ID-Lösungen am Markt sehr viel effizienter und datenschutzfreundlicher. Manche sind mehr auf Advertiser und manche mehr auf Publisher fokussiert. Darüber hinaus gibt es die Universal IDs, die eindeutige Identifier wie E-Mail-Adressen nutzen, um sie verschlüsselt in die Adtech-Kette zu geben und dort mit Daten zu verknüpfen. Abseits davon arbeiten andere Anbieter mit “Inferred Identifiers”, die Signale aus dem Header nutzen, um User Website-übergreifend zu identifizieren. Das muss man sich in etwa wie eine Geräte-ID vorstellen. Manche Signale können allerdings personenbezogene Daten enthalten, also muss der Consent dafür vorliegen. Eine Kombination aus geteilten und erschlossenen IDs liefert Genauigkeit und Skalierbarkeit. Denn wie gesagt – nicht jeder Publisher kann einen Login einsetzen.
ADZINE: Welche Identity-Fragen tauchen besonders bei Werbetreibenden und Agenturen auf? Wo liegen die Hauptprobleme?
Burton: Wir erhalten viele Fragen zur Website-übergreifenden Identifizierung. Dabei ist Attribution ein sehr wichtiges Thema für Advertiser und Agenturen. Aber nicht nur das: Advertiser wollen Retargeting, Reichweite, Frequency Capping, Kampagnenoptimierung und generell Targeting in einer Zukunft ohne Third-Party-Cookies. Sie wollen zwar keine Details wissen, aber schon, ob das zukünftig überhaupt noch möglich ist. Die meisten Gespräche führen wir allerdings mit Adtech-Unternehmen.
ADZINE: Haben First-Mover, die jetzt eine Identity-Strategie aufbauen, einen Vorteil gegenüber denen, die abwarten, bis etwas passiert? Der Markt ist doch dann sicherlich klarer strukturiert und es gibt mehr Informationen zu Google.
Burton: Lasst uns nicht auf Google warten. Die Adaptions-Rate ist hoch und es laufen bereits viele Kampagnen mit ID-Lösungen. First-Mover profitieren jetzt von den Learnings und natürlich von der besseren Monetarisierung von Firefox- und Safari-Nutzern. Dort ist die Bid Density übrigens noch nicht so hoch.
ADZINE: Wie sieht die Zukunft von Identity aus?
Burton: Dieses Problem muss noch gelöst werden. Wir sehen es als ein Adtech-Problem, das von Adtech geregelt werden muss. Identity muss für Publisher, Marken, Agenturen und Adtech, aber vor allem für Konsumenten funktionieren – und das Privacy-First. Das ist die einzige Möglichkeit, um als Industrie voranzukommen. Dazu brauchen wir den Support vom IAB Europe sowie seinem Tech Lab und Kollaboration der Marktteilnehmer.
Ich glaube nicht, dass eine Agentur oder eine Marke wissen muss, welche Infrastruktur das Adtech-Unternehmen, mit dem sie arbeitet, nutzt. Sie muss nur wissen, dass sie das Identity-Problem im Griff hat. Es ist ein globales Problem, das global gelöst werden muss, aber es ist in letzter Instanz eine Aufgabe für die Infrastruktur.
In der Praxis wird es wahrscheinlich auf einen Mix aus Identifiern, Universal IDs, vermutlich Kohorten und Kontext-Targeting für User ohne Opt-in hinauslaufen.
ADZINE: Danke für das Interview, Joanna!
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