“CTV ist praktisch wie ein zusätzlicher TV-Sender”
Karsten Zunke, 17. Mai 2021Dass die Konsumenten Video-Content zunehmend streamen, anstatt den Röhrenfernseher anzuknipsen und dem linearen TV-Programm zu folgen, ist kein Geheimnis mehr. Glaubt man den Prognosen, wird sich dieser Trend in der kommenden Zeit nicht nur verfestigen, sondern rasant verstärken. Connected TV gilt auch im Advertising als eines der Trend-Themen, besonders in Übersee. Aber wie relevant ist CTV aktuell für die Werbung in Deutschland? ADZINE hat bei Bernd Hülsmann, Managing Partner von Wavemaker, nachgefragt.
ADZINE: In den USA ist CTV in der Medienbranche omnipräsent, die Meldungen und Studien rund um das Thema überschlagen sich. Hierzulande scheint es zumindest ruhiger. Woran liegt das?
Bernd Hülsmann: Für uns und unsere Kunden ist es ein enorm wichtiges Thema, das kontinuierlich an Bedeutung gewinnt. Natürlich hat der deutsche Free-TV-Markt eine andere Historie als andere Fernsehmärkte. Insbesondere in den USA ist der Wunsch, Kosten zu sparen, ein enormer Antrieb für CTV. Daher ist aufseiten der Nutzer die Motivation zum Connected TV dort größer. Aber insbesondere im vergangenen Jahr haben wir gesehen, dass auch hierzulande CTV-Angebote immer intensiver genutzt werden.
ADZINE: Was treibt die Entwicklung bei uns?
Hülsmann: Auch in Deutschland ist es ein nutzergetriebener Trend. Allerdings ist bei uns nicht die Kostenersparnis, sondern der Komfort der Nutzung die stärkste Motivation der Zuschauer. Heutzutage ist ein Smart-TV innerhalb weniger Sekunden per WLAN mit dem Internet verbunden. Die Online-Anschlussrate von TV-Geräten liegt mittlerweile bei starken 75 Prozent. Hinzukommt, dass alle neu verkauften Fernseher Smart-TVs sind. Nicht zuletzt hat die Pandemie die Nutzung von CTV-Angeboten deutlich verstärkt. Den Nutzern ist es egal, wie der Content distribuiert wird. Für sie zählt nur das Nutzungserlebnis und gute Unterhaltung. Beides ist im Zuge der Digitalisierung und durch die Zunahme des Angebotes deutlich besser geworden.
ADZINE: Wo sehen Sie noch Nachholbedarf?
Hülsmann: Die Angebotsseite ist stark fragmentiert. Einerseits trägt dies zur Vielfalt der Angebote und Möglichkeiten bei, da auch viele kleine Publisher und Apps ihre Inhalte im CTV verbreiten können. Andererseits macht dies das Advertising auch schwieriger. Betrachtet man Bewegtbild als Ganzes, agieren die Anbieter nicht im gleichen Ökosystem. Darum bündeln wir die Angebote für unsere Kunden. Das schafft eine Einfachheit, Klarheit und bestmögliche Transparenz.
ADZINE: … Transparenz in Bezug auf Sicherheitsaspekte?
Hülsmann: Ja, durchaus. Im Bereich CTV muss man auch über Ad Fraud nachdenken. Aus unserer Sicht ist ein qualitativer Ansatz wichtig, um Sicherheit zu bieten. Ich bin daher auch kein Verfechter davon, CTV auf dem Open Market einzukaufen. Durch das Bündeln definierter Angebote können wir Unsicherheiten wie Ad Fraud ausschließen und sogar einen Premiumbereich anbieten. Ohnehin raten wir dazu, besser auf Broadcaster-Content zu fokussieren als in andere Angebote abzuwandern, in denen man keine 100-prozentige Hoheit über die Content-Qualität hat. Die Herausforderung ist es, als Berater und als Agentur in Abstimmung mit dem Kunden den jeweils besten Weg finden.
ADZINE: Welche Unternehmen investieren bereits stark in CTV, gibt es Vorreiter?
Hülsmann: Das lässt sich nicht pauschal beantworten. CTV-Kunden sind nicht auf eine Branche oder eine bestimmte Unternehmensgröße beschränkt. Das liegt auch an den vielfältigen Möglichkeiten, die eine CTV-Werbeausspielung bietet. Aufgrund der digitalen Distribution sind digitale Targetings möglich. Beispielsweise können selbst kleine Shopbetreiber über einen regionalen Targetingansatz nun auch auf dem Big Screen stattfinden. Die Eintrittsbarriere ist niedrig, dadurch ist die Mischung der Werbekunden sehr heterogen.
ADZINE: Welche Budgets fließen in Deutschland aktuell in CTV-Angebote?
Hülsmann: Das hängt davon ab, wie Kunden aufgestellt sind. Wir bieten eine integrierte Bewegtbild-Planung und brechen damit zumindest das Silodenken auf, aber die Media-Töpfe der Kunden sind häufig noch in den beiden Silos TV und Online verankert. Aber hier bewegt sich grade viel. Wir beobachten schon das ein oder andere Umdenken bei Werbekunden.
ADZINE: Wird CTV künftig die großen TV-Budgets abziehen können?
Hülsmann: Klassisches TV ist für Werbetreibende noch sehr wichtig und präsent. Große Highlight-Programme wie Joko & Klaas funktionieren auch in der jüngeren Zielgruppe auf dem TV sehr gut und haben eine große Relevanz. Wir schauen daher immer genau, wie wir die Angebote optimal mischen können. Über CTV findet man auch die Nutzer, die sich dem klassischen TV verwehrt haben. CTV ist praktisch wie ein zusätzlicher TV-Sender, der eine klare Nutzerstruktur hat und die Nettoreichweite erhöht. In einer Bewegtbild-Strategie ist CTV daher ein wichtiger Baustein. Die herkömmliche TV-Werbung – und entsprechend auch die großen TV-Budgets – wird es aber in den nächsten Jahren nicht substituieren.
ADZINE: Wie sieht diese Nutzerstruktur aus?
Hülsmann: Auf CTV-Angeboten ist die Zielgruppe jünger als im TV. Aber vor allem bei den älteren Zielgruppen, insbesondere bei den 35- bis 49-Jährigen, sehen wir einen deutlichen Zuwachs. Nicht zuletzt haben sich Nutzung und Akzeptanz durch die Pandemie quer über alle Zielgruppen verstärkt. In diesem Zusammenhang beobachten wir auch eine Änderung des Nutzungsverhaltens. Wo sich früher für eine parallele Tablet-Nutzung entwickelt hat, sehen wir auf Basis von Studien und eigenen Zahlen, dass Nutzer diese Inhalte jetzt auf dem Big Screen sehen möchten. Wurde zum Beispiel früher TVNow eher auf dem Tablet geschaut, wird heute dafür lieber der große TV-Screen genutzt.
ADZINE: Welche Content-Bereiche entwickeln sich momentan besonders dynamisch?
Hülsmann: Insbesondere das Livestreaming wächst stark. Der Sportbereich ist sehr exemplarisch und entwickelt sich aktuell schneller als der Rest des Marktes. Bei den Sportrechten sieht man, wie neue Player den Markt durcheinandergewürfelt haben. Vor ein paar Jahren war Sport-Livestream eine Nische. Jetzt haben sich hier Player wie Amazon und DAZN sogar mit der Champions League positioniert. Die Entwicklung verläuft rasant. Auch die Apps der TV-Sender entfalten ein interessantes Potenzial. Mitunter haben die gleichen Sendungen im CTV höhere Zugriffszahlen als im klassischen TV. Den TV-Anbietern eröffnet dies neue Möglichkeiten, beispielsweise können sie Teil eins einer Serie im TV zeigen und den Rest der Staffel in der App, oder eine Sendung vorab in der App zeigen und dann im Fernsehen. CTV eröffnet damit neue Möglichkeiten, um Zielgruppen möglichst umfassend abzudecken und Kampagnen optimal auszuliefern.
ADZINE: Worauf sollte man jetzt achten?
Hülsmann: Wir machen die Erfahrung, dass die Nutzungssituation beim CTV einen sehr positiven Einfluss auf die Werbewirkung hat. Jedoch sollte man darauf achten, CTV-Inhalte nicht mit Werbung zu überfrachten. Bisher schätzen Nutzer an CTV sehr, dass die Anzahl an Werbeeinblendungen geringer ist. Dadurch ist die Akzeptanz für die gezeigte Werbung auch sehr hoch. Doch je häufiger und breitflächiger Inhalte mit Werbung befüllt werden, desto geringer ist die Akzeptanz. Man ist daher gut beraten, die Kampagnen so auszusteuern, dass der Zuschauer es in einer angenehmen Dosierung wahrnimmt.
ADZINE: Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung von CTV ein?
Hülsmann: Das Wachstumspotenzial ist groß. Durch die Verbreitung der Smart-TVs ist CTV in Schwung gekommen, die Pandemie hat das Thema verstärkt. Besonders spannend ist die Frage, was nach der Pandemie kommt. Zum einen haben wir neue Nutzer, die sich in der Kachelwelt des CTV sehr wohlfühlen und mit denen ein neues Potenzial für Werbetreibende gewachsen ist. Auf der anderen Seite ist ein vielfältiges Angebot in einem fragmentierten Markt entstanden. Der nächste Schritt dürfte sein, dass sich Allianzen bilden, um Angebote zu bündeln. Hier wird sich der Markt noch deutlich verändern. Doch der Trend zum Bewegtbild wird anhalten und CTV wird dabei ein großer Treiber sein.
ADZINE: Danke für das Interview, Herr Hülsmann!
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