Vergangene Woche sorgte eine News von Google für Aufruhr, die eigentlich keine News war. Denn nahezu alle Informationen aus dem aufmerksamkeitsstarken Blogpost sind bereits seit einem Jahr bekannt. Der Konzern hat vieles davon nur noch nicht so deutlich ausgesprochen. Gleichzeitig blieb er in anderen Bereichen so undeutlich, wie er es nur konnte. Klar ist: Google will künftig (weiterhin) auf alternative ID-Lösungen in seinem Kosmos verzichten und – zumindest fremden Parteien – kein Tracking in seinem Browser Chrome erlauben. Unklar ist hingegen, wo aufgrund dessen blinde Flecken im Werbeökosystem entstehen. Denn wie die Privacy Sandbox am Ende tatsächlich aussehen wird, weiß Google selbst noch nicht. Ebenfalls eindeutig ist, dass Google entgegen einiger Medienberichte personalisierte Werbung nicht aufgeben wird. Advertisern sollen auch in Chrome mithilfe des sogenannten FLoC-Prinzips Möglichkeiten zur gezielten Werbung anhand von Kohorten geboten werden.
“In den Medien entsteht der Eindruck, Google gebe personalisierte Werbung auf”, meint Tom Peruzzi, CTO der Virtual Minds AG. “Dabei fallen Kohortenbildung und das Targeting in der Sandbox genauso unter Personalisierung.” Peruzzi spielt damit unter anderem auf den Titel “Google stoppt personalisierte Werbung” der Tagesschau an, auch das Wall Street Journal hat in eine ähnliche Kerbe geschlagen.
Darüber hinaus sei noch gar nicht abzusehen, was genau im Google-Universum wie von den beschriebenen Maßnahmen aus dem Blogpost berührt ist. Geht es nur um Googles Werbetechnologien wie DV360 und den Google Ad Manager oder auch um Technologien abseits des Display-Geschäfts? Welche Folgen hat die scheinbare Abkehr vom Tracking also beispielsweise für Youtube oder Chrome? “Und was gar nicht beantwortet wird: Was hat das für Auswirkungen auf Android? Das ist eigentlich die größte Frage”, so Peruzzi.
Der Ansatz künftig auf First-Party-Data zu setzen, überrascht nicht. Laut dem Tech-Experten habe Google aber nicht erklärt, wie diese Daten überhaupt gehebelt werden sollen. “Hier kann es eigentlich nur um den eigenen SSO-Ansatz gehen, ansonsten bleiben nur Silos innerhalb der Publisher oder außerhalb des Google-Ökosystems mit anderen Identifiern.”
Sieht sich Google überall als First-Party?
Mit dem Single-Sign-On-Ansatz ist Googles eigener Login gemeint, der sich geräteübergreifend durch alle Produkte des Konzerns zieht. User melden sich damit ebenso auf einem Android-Telefon wie bei der Nutzung des Chrome-Browsers oder bei Youtube an. Ken Glueck, Executive Vice President von Oracle, beschreibt in einem bitterbösen Post auf dem unternehmenseigenen Blog, wie das aussehen könnte: “Google kann Search, Chrome und Android verwenden, um alle gewünschten Daten zu sammeln, diese Daten durch die AI-Blackbox laufen zu lassen und Anzeigen zu schalten, da Google sich selbst als ‘First-Party’ betrachtet. Wenn jemand ein Google-Konto erstellt und dann mit Chrome auf das Internet zugreift, verwendet Google diese Kontoanmeldung, um den Status einer First-Party für sich selbst einzunehmen. Wenn ein Verbraucher ein neues Android-Telefon aktiviert, erklärt er sich damit einverstanden, Google First-Party-Rechte zu erteilen. Wenn ein Verbraucher in einem Pop-up-Fenster, das auf einer Website von Drittanbietern angezeigt wird, auf ‘Einverstanden’ klickt, findet sich tief in den Nutzungsbedingungen häufig eine Passage, die den Werbe- und Analyse-Cookies von Google zusätzliche First-Party-Rechte einräumt”.
Falls Google ernsthaft für mehr Datenschutz wäre, würde der Konzern damit aufhören, Nutzer zu tracken, die in Chrome oder auf Android browsen, so Glueck. Er würde Konsumenten die Kontrolle über ihre Opt-ins geben und nicht alle Daten über die eigenen Plattformen geräteübergreifend hinweg teilen. “Google möchte lediglich, dass sich Verbraucher und Werbetreibende in die neue ‘Privacy Sandbox’ von Google setzen und dabei nach den von Google vorgegebenen Regeln und Bedingungen von Google spielen”, ist seine These. Gluecks Credo: “We’re all FLoCed”.
So sehr Google zurzeit in der Kritik steht, sollte man jedoch stets im Hinterkopf behalten, dass Ken Glueck dem Wall Street Journal zufolge seit jeher Lobbyarbeit für Oracle in Washington betreibt und insbesondere gegen Google und Amazon aktiv vorgeht. Oracle hat selbst ein gigantisches Geschäft um Nutzerdaten herum aufgebaut, sodass Gluecks Ausführungen also mit Vorsicht zu genießen sind. Indes berichtet die Adweek, dass Googles Advertising-Chef Jerry Dischler gerade erst im Rahmen eines IAB-Meetings versprach, den eigenen Adstack nicht zu bevorteilen. Darüber hinaus sollen Publisher, die den Google Ad Manager nutzen, die volle Kontrolle über ihre Direktbeziehungen zu Usern behalten, so Dischler.
Ähnliche Targeting-Möglichkeiten für Werbetreibende erwartet
Ganz so düster wie Glueck sehen die hiesigen Datenexperten das Thema entsprechend dann doch nicht. Remi Cackel, Chief Data Officer der Videoplattform Teads, gibt sich entspannt: “Googles Plan, Third-Party-Cookies im offenen Internet zu entfernen und durch die Privacy Sandbox zu ersetzen, ist mit der Verwendung anderer Identifier – Logins bzw. Unique IDs – nicht vereinbar. Abgesehen davon steckt der Teufel im Detail, und bei den Details geht es um die genauen Funktionalitäten, die außerhalb von Googles offenem Werbeökosystem im Web möglich bleiben und einen kleinen Teil von Googles Einnahmen ausmachen werden.”
Werbetreibende wären weiterhin dazu in der Lage, ihre eigenen Nutzer auf Basis ihrer First-Party-Daten bei Google zu targeten, zum Beispiel in den Suchergebnisseiten oder bei Youtube. Damit dürften Logins etwa bei Youtube weiterhin nutzbar sein. “Als Branche und um langfristig zu gewährleisten, dass Publisher ihre eigenen Seiten monetarisieren können, müssen wir präzises Targeting sicherstellen. Und zwar nicht nur innerhalb von Walled Gardens und sozialen Netzwerken”, so Cackel. “Wir erwarten daher, dass die Privacy Sandbox ähnliche Targeting-Funktionalitäten wie Cookies oder Logins bietet und freuen uns darauf, mit den ersten Tests zu beginnen. Alles in allem begrüßen wir die Verbesserungen beim Datenschutz sehr und erwarten, dass sich dieses wichtige Thema erstens nicht nur auf das Werbeökosystem des offenen Internets beschränkt, zweitens kein Mittel ist, sich potenzielle Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und drittens die Monetarisierungsmöglichkeiten und die Freiheit von Presse und Verlagen nicht bedroht werden.“
Unterstützer alternativer IDs fühlen sich bestätigt
Die unabhängigen Adtech-Plattformen scheinen ebenfalls nicht sonderlich beunruhigt, sondern eher bestärkt in dem zu sein, was sie tun. “Tatsächlich stärkt Googles Schachzug das offene Internet, denn die Abgrenzung zu den Walled Gardens wird dadurch deutlicher. Das wird unabhängigen Initiativen wie der Unified ID 2.0 weiter Zuspruch aus allen Bereichen des Marktes bringen”, meint Lukas Fassbender, General Manager DACH bei The Trade Desk. “Das offene Internet besteht aus unterschiedlichen Kanälen wie Web, Mobile, Digital Audio oder CTV und hier verbringen wir alle drei Viertel unserer Online-Zeit. Gemeinsam entwickelte, datenschutzkonforme ID-Lösungen, wie die Unified ID 2.0, bringen diese Kanäle für Werbungtreibende zusammen und ermöglichen die kanalübergreifende Planung und Aussteuerung von Kampagnen. In puncto Reichweite, Flexibilität und Einfachheit ist dadurch eine starke Alternative zu den Walled Gardens entstanden”, ist der DACH-Chef der Media-Einkaufstechnologie überzeugt.
Die Adtech-Plattform Xandr hat sich gerade erst zu der Unterstützung einiger alternativen ID-Lösungen bekannt, wozu auch die von The Trade Desk initiierte Unified ID 2.0 zählt. Marius Rausch, General Manager Central Europe von der AT&T-Tochter, erklärt: “Xandr präsentierte seine umfassenden Identity-Pläne am selben Tag, an dem auch Google die Ankündigung machte, die für viel Wirbel in der Branche gesorgt hat. Dabei haben wir Kollaboration, Flexibilität und Interoperabilität betont. Durch die Erklärung von Google wurden wir nur noch mehr darin bestärkt, dass wir den richtigen Ansatz verfolgen, um ein bestmöglicher Partner für unsere Kunden und das Ökosystem zu sein.”
Auf die Frage hin, wie sich Googles Entscheidungen auf das eigene Geschäft auswirken werden, antwortet Rausch: “Dort, wo die Advertising-Plattformen von Google kein Targeting und keine Attribution mit Hilfe von Cross-Site-IDs unterstützen, sind wir zuversichtlich, dass unsere Investitionen Kontinuität für unsere Partner, den Xandr-Marktplatz und das Ökosystem als Ganzes schaffen werden.“
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