Quality, Safety, Transparency – Risiken beim Mediaeinkauf beherrschen
Karsten Zunke, 22. Februar 2021Es ist der Alptraum eines jeden Werbetreibenden: Teuer bezahlte Anzeigen einer Online-Kampagne sind in Wirklichkeit für den Nutzer nicht sichtbar, die bespielte Website ist Fake und die Marke taucht in Umfeldern auf, in denen sie besser nie gesehen worden wäre. Wer kein Werbebudget vergeuden möchte, muss bereits bei der Mediaplanung die Weichen für saubere Kampagnen stellen und auf Qualität und Transparenz pochen.
Immer mehr Tote, überquellende Intensiv-Stationen, Kontaktbeschränkungen: Solche Nachrichten liefert die aktuelle Corona-Pandemie am Fließband. Um sich als Marke zu präsentieren, gibt es denkbar bessere Umfelder. Doch nicht alle Pandemie-Nachrichten sind negativ. Mehr Home-Office bedeutet zum Beispiel auch neue Absatzchancen für elektronische Produkte, eine Produktionsumstellung auf Masken kann auf die Marke einzahlen und die Verkündung von Impfstoffstrategien Optimismus freisetzen. Nie zuvor war es für Marken kniffliger, sich im Internet gut zu präsentieren.
Brand Safety in der Pandemie besonders gefragt
Ad Verification Tools sind darum ein wichtiges Hilfsmittel. Sie ermöglichen unter anderem die Brand Safety. Doch insbesondere am Anfang der Pandemie regelten sie automatisch alles runter, blockten zu viele Umfelder. Hier mussten Werbetreibende und Technologieanbieter zunächst nachjustieren und die wirklich negativen Aspekte von positiven Corona-Nachrichten trennen. Das hat man jetzt gut im Griff. Doch Corona hat Werbetreibenden eine weitere Herausforderung beschert: die Zunahme von Verschwörungstheorien. „Verschwörungsseiten entziehen sich einer rein technischen Analyse“, sagt Meetrics-Geschäftsführer Philipp von Hilgers. Wenn mit moderater Sprache absurde Dinge behauptet werden, hat es ein rein technologischer Ansatz schwer, skandalisierende Behauptungen zu erkennen. Doch keine Marke möchte zum Sponsor von Websites werden, die Falschinformationen zur Corona-Pandemie verbreiten. Der Ad-Verification-Anbieter arbeitet deshalb seit Kurzem mit Newsguard zusammen – einem Dienst, der Websites von Journalisten händisch bewerten lässt. Auf diese Weise werden die Machine-Learning-Ansätze des Tech-Anbieters mit der menschlichen Intelligenz der Themen-Spezialisten erweitert.
Auch nach Einschätzung von Richard Wagner, Business Sales Director bei Doubleverify, ist Brand Safety für Werbetreibende momentan das beherrschende Thema. Das Unternehmen setzt daher nicht nur auf eine maschinelle Analyse der Umfelder: Der Ad-Verfication-Anbieter beschäftigt mehr als 40 Sprachexperten, die mit Hilfe von Inhaltsanalysen und Sprachontologie weltweit Werbe-Umfelder analysieren und mit ihren Erkenntnissen den Algorithmus anreichern. Politische Missinformationen und Fake-News können seit langem im Tool mittels einer eigenständigen Kategorie von Werbetreibenden vermieden werden.
Mehr Viewtime, mehr Intransparenz
Außerdem hat Corona ein weiteres Risiko verstärkt, das für Werbetreibende mit einem Kontrollverlust einhergehen kann, dem man sich beim Mediaeinkauf nicht unbedingt bewusst ist: das Thema Ad-Refresh. Die Viewtime ist durch Homeoffice und Lockdown deutlich gestiegen und der Anreiz für Publisher, ein Werbeplatz innerhalb einer Session mehrfach zu belegen, größer geworden. Wird dies technisch sauber umgesetzt und transparent in der Produktbeschreibung des Werbeinventars ausgewiesen, muss daraus für die Buy-Side kein Problem entstehen. Sie kann frei entscheiden, ob sie das Angebot nutzen möchte. „Doch häufig passiert dies ungeregelt und ist für Werbetreibende intransparent“, bemängelt Hilgers. So beobachtet der Tech-Anbieter auch Fälle, in denen ein und dasselbe Ad mehrfach hintereinander ausgespielt wird. Statt also nur eine Werbeeinblendung zu bezahlen, wird der Werbetreibende dann mehrfach zur Kasse gebeten. Bei der Frage, inwiefern Absicht dahinter steckt oder die recht komplexen Ad-Refresh-Systeme noch nicht ausgereift sind, mag sich Hilgers nicht festlegen. Zusammen mit GroupM hat Meetrics eine Pilotstudie gestartet, die herausfinden soll, welche Effekte die Anzeigenaktualisierungen auf die Sichtbarkeit und Wirkung der ausgespielten Werbung haben. Perspektivisch ist das Ziel, ein Tool zu entwickeln, das Ad-Refreshs transparent macht und es Werbetreibenden bereits bei der Buchung ermöglicht, sie auszusteuern. Ungewollte Ad-Refreshs sollen dann der Vergangenheit angehören.
Kampagnen-Qualität beginnt bei der Vertragsverhandlung
Doch auch unabhängig von Corona und seinen Auswirkungen bleibt Ad Verification ein wichtiges Thema. Insbesondere wenn Werbung programmatisch über DSPs im Open Market gebucht wird, besteht ein Risiko, dass Anzeigen auf Seiten und Umfeldern ausgespielt werden, die der Kampagne und der Marke schaden können. „Schon eine einzige falsch ausgelieferte Impression kann auf eine ganze Kampagne toxisch wirken“, warnt Oliver Migge, CDO von den Independent Media Guides (IMEDIAG). Der Auditing-Experte empfiehlt daher dringend eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit technischen Dienstleistern, um eine kundenindividuelle „Qualitätssicherung“ in die Auslieferung digitaler Kampagnen zu integrieren. Doch das ist nicht alles: Das Fundament für die Anzeigen-Qualität muss bereits bilateral zwischen Kunden und Agenturen vor den Vertragsverhandlungen gelegt werden. „Zunächst muss definiert werden, was rechtmäßig und markenform ist“, sagt Migge. Als Zweites werde eine abrechnungsfähige Performance benötigt. Diese lässt sich nur erzielen, wenn die zählbare Ad Impression detailliert definiert wird, Stichwort Sichtbarkeit und Dauer. Damit im Zusammenhang steht Migges dritter Tipp: Um die Ad Impressions zu überprüfen, muss die durch Dritte objektiv und unabhängig nachvollziehbare Transparenz gewährleistet sein. „Werbetreibende sollten daher Zugriff auf die DSP haben oder zumindest ein abgestimmtes Reporting mit allen relevanten KPIs auf line by line Basis anfordern können.“
Bewusste Entscheidungen sind Qualitätsmerkmal
Es sollte also jederzeit möglich sein, Entscheidungen zur Auslieferung bewusst zu treffen. Kann beispielsweise nicht detailliert aufgeführt werden, auf welchen Seiten die Anzeigen ausgeliefert werden, muss dies begründet sein und sich beispielsweise in einem deutlich niedrigeren Preis – natürlich unter Einhaltung aller Brand Safety Vorgaben – niederschlagen. Die Entscheidung darüber, ob eine Marke diesen Schritt mitgeht oder lieber darauf verzichtet, müsse Migge zufolge in jedem Fall der Werbetreibende selber treffen können.
Das Thema beginnt somit bereits beim Aufsetzendes des Vertrages mit der Agentur und nicht erst beim „Live-Schalten“ der Kampagnen. „Man muss darin Buchungsrestriktionen festschreiben, die von der Agentur als verbindliche Rahmenparameter zu berücksichtigen sind“, rät Migge. Dies sollte entweder direkt im Vertrag festgehalten oder als zusätzlicher Appendix aufgenommen werden.
Exklusionslisten für besseres Targeting
Eine clevere Vertragsgestaltung kann die Transparenz künftiger Buchungen somit deutlich verbessern. Dies setzt aber voraus, dass aufseiten des Werbetreibenden das Interesse und die Kapazitäten vorhanden sind, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Durch technische Lösungen lassen sich zusätzlich Fraud vermeiden und die Sichtbarkeit weitgehend sicherstellen. Doch selbst dann bleibt die Frage, ob das Targeting einer Kampagne optimal funktioniert hat. Soziodemografische Merkmale wie Alter, Geschlecht und Interessen lassen sich gut überprüfen, indem man in die Analyse ein Panel einbindet. Doch über dem gesamten Targeting schwebt das Damokles-Schwert einer „Cookieless World“. Bei Doubleverify denkt man darum schon einen Schritt weiter und pusht das programmatische, kontextuelle Targeting. „Der Kontext erschließt neue Umfelder“, sagt Wagner. Passende Umfelder werden dabei nicht nur über die URL, sondern auch über den Inhalt einer Seite definiert. Das erhöht die Reichweite von Kampagnen teils deutlich. „Viele Werbetreibende nutzen dies schon jetzt, um auf die Post-Cookie-Ära vorbereitet zu sein und wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Die ersten Ergebnisse unserer Kunden sind vielversprechend“, sagt Wagner.
Jede Targeting-Technologie hat jedoch auch Grenzen. Wer auf bestimmten Seiten oder Umfeldern nicht erscheinen möchte, muss Exklusionslisten per Hand erstellen. Sollen beispielsweise Seiten von Verschwörungstheoretikern aus dem Targeting ausgeschlossen werden, muss man sich einer mühevollen Kleinarbeit stellen, die Seiten suchen und einzeln auflisten. Mit diesen Informationen können wiederum die Targeting- und Auslieferungssysteme gefüttert werden – ein Aufwand, der sich für den Mediaeinkauf lohnen kann. Aber Achtung: Viele fragwürdige Seiten melden sich auch bei den DSPs an. Aufgrund mittlerweile hoher Reichweiten fallen diese dort nicht durch das Raster und stehen zur Auswahl. „Es reicht also nicht, sich im Vorfeld Gedanken über einzelne Websites zu machen, sondern man sollte auch bei den DSPs und SSPs genauer hinschauen, damit das Targeting nicht die falschen Umfelder ansteuert“, rät Migge.
Qualitätsmanagement wird vorgelagert
Qualität, Brand Safety und Transparenz bleiben somit auch in Zukunft eine Herausforderung für die gesamte Branche. Aufgrund der hohen Dynamik auf Angebots- und Technologie-Seite müssen Qualitätsmaßnahmen immer wieder nachgezogen werden. „Ad Verification ist mittlerweile kein nachlaufendes Qualitätsmanagement, sondern steht am Anfang einer Media-Einkaufsstrategie“, sagt Hilgers. Zwar gebe es bei Neukunden zu einem solchen Zeitpunkt noch keine Erfahrungswerte aus dem Vorjahr, aber durchaus belastbare Benchmarks, um von Anfang an die Einkaufsstrategie zu optimieren. Und auch Agenturen setzten in jüngster Zeit verstärkt auf das Qualitätsmanagement. Erste Agenturgruppen haben bereits Verantwortliche benannt, die sich explizit um dieses Thema kümmern. Zu tun gibt es für alle Beteiligten genug: Mit Connected TV boomt der nächste Kanal, der mit hohen TKPs und einer unübersichtlichen Angebotsseite auch schwarze Schafe anlockt. Und mit Digital Audio klopft der nächste Trend bereits an die Tür.
Tech Finder Unternehmen im Artikel
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