Das digitale Marketing steht vor großen Veränderungen. Mit dem Wegfall der IDFA, der Third-Party-Cookies auf Browser-Ebene und potenziell auch Googles MAID fehlen insbesondere mobilen Werbetreibenden Ansätze, um ihre Zielgruppe künftig zu identifizieren und mit ihrer Botschaft zu erreichen. Francois Roloff, CEO des Adtech-Unternehmens Madvertise, erklärt im Interview, warum der Umbruch für das Digital Marketing gar nicht so enorm ist, wie Advertiser ohne IDs weiter persönlich im Kontext werben können und was uns in diesem Jahr noch alles erwartet.
ADZINE: Hallo Francois, ihr habt gerade erst das französische Adtech-Unternehmen Sync komplett übernommen, bei dem ihr vorher schon beteiligt wart. Was hat es mit der Akquise auf sich?
Francois Roloff: Bei dieser Übernahme ging es uns im Kern um die sogenannte Audio-Recognition-Technologie. Dies meint die automatisierte Erkennung von Inhalten aus der Umgebung, um sie als Basis für die Kontextualisierung zu nehmen. Somit werden Audio-Signale zum relevanten Informationsträger für den jeweiligen Moment und für die Affinität des einzelnen mobilen Geräts.
ADZINE: Wie funktioniert die Technologie im Detail?
Roloff: Audio-Recognition bezieht sich auf Umgebungsgeräusche. Deren Amplituden übersetzen wir in Nullen und Einsen und bilden daraus eine Art Schlüssel, individuell für jedes Umgebungsgeräusch. Dabei sprechen wir nicht von Vogelgezwitscher oder Dielenknarren, sondern von Musik, Interviews aus dem Radio oder eben Werbespots. In der Regel sind dies Jingles, die sehr individuell sind. Wir verwandeln die Geräusche in minimal kleine, aber doch unverwechselbare Sequenzen.
Mobile Devices, ausgerüstet mit einer App, die Audio-Recognition ermöglicht, bekommen von uns diese Sequenz-Schlüssel, die das Smartphone erkennen darf. Wenn solch ein Schlüssel erkannt wird, lösen sie ein digitales Event aus. Das kann eine Kampagne sein, die in einer App sichtbar gemacht wird, oder eine Bestätigung, dass dieses Gerät einem bestimmten Spot ausgesetzt war. Oder dass es sich in einem Store befunden hat, also etwa für einen Coupon qualifiziert ist.
ADZINE: ...bei Datenschützern schrillen jetzt die Alarmglocken. Ihr seid sicherlich mit einem SDK in Apps verbaut, die den Consent abfragen, richtig?
Roloff: Genau.
ADZINE: Trotzdem wirkt es so, als ob eine App immer zuhören muss, was an Audio-Reizen reinkommt.
Roloff: Nein, das Mikrofon hört nicht zu und kann nur mit den Schlüsseln – wenn sie denn gegeben sind – interagieren. Das Mikrofon ist in dem Fall wie ein Schlüsselloch. Es wartet nicht die ganze Zeit wie bei den aktuell dominierenden sprachgesteuerten Assistenten auf eine Ansprache, sondern auf eine sehr simplifizierte Sequenz, die für das menschliche Ohr gar nicht hörbar ist.
Der Weg über das SDK ist sicherlich ein Vehikel, das für das Marketing interessant ist. Nach unserer Auffassung ist das allerdings ein Umweg. Wir gehen den Weg über das Broadcasting, das heißt wir wissen über verschiedene Datenzulieferungen, welche Werbespots im TV oder im Radio gerade in Deutschland, Österreich, Italien oder Frankreich laufen. Basierend darauf können wir die Werbemaßnahmen synchronisieren, aktivieren, kontextualisieren und so weiter. Unser Ansatz für ein semantisches Targeting ist somit die Echtzeit-Verarbeitung von Audiodaten, was wiederum nicht bedeutet, dass es der einzige Ansatz ist, um den Weg für die Zukunft zu ebnen, in der es nur noch wenige Informationen über Audience-Eigenschaften aufgrund fehlender historischer Device-Daten geben wird.
ADZINE: Es gibt weniger Informationen, weil Google künftig Third-Party-Cookies aussperrt und Apple den Einsatz des IDFA beschränkt – gehst du davon aus, dass Kontext und Semantik die derzeitigen Targeting-Ansätze komplett ersetzen können?
Roloff: Nein, komplett ganz sicher nicht. Aber ich stehe diesem Prozess positiv gegenüber und denke, dass man schauen muss, wie man die noch verfügbaren Targeting-Mechanismen und -Technologien verbessern kann. Ohne dass man – ob in Silos oder nicht – alle Daten von Devices sammelt und versucht, daraus sinnvolle Zielgruppeneigenschaften zu segmentieren. Ich glaube, es gibt kein stärkeres Targeting-Quadrat als jenes aus Echtzeit, Umfeld der App, Nutzungskontext, geographischer Standort, aber eben auch Wetterdaten. Wenn dazu der Content den Kontext verfeinert – umso besser.
Wir gehen davon aus, dass diese semantische und kontextbezogene Analyse von Metadaten und Randinformationen viel stärker den Moment des Users beschreibt – und zwar besser, als es bisher der Fall war.
ADZINE: Im Gegensatz zu derzeitigen Methoden wie Tracking und dem daraus resultierenden Targeting klingt dieser Ansatz deutlich unspezifischer. Was denkst du, wie personalisiert Werbung in Zukunft noch sein kann?
Roloff: Ich bezweifle, dass wir einen großen Wandel sehen werden. Wir sind ja in der Vergangenheit auch nicht direkt mit “Herr Müller” von der Displayanzeige von Lidl angesprochen worden. Das Thema ist für die Marketing-Technologie gar nicht so groß. Aber es gibt Teilaspekte wie das Retargeting oder die Reactivation, also bestehende Nutzer einer App zu reaktivieren, die ohne die IDFA nicht mehr umsetzbar sind.
ADZINE: Wohin wandern die Budgets dieses Jahr? Welche Trends siehst du im Mobile Advertising voraus?
Roloff: Im Wesentlichen hängt das von den Marktteilnehmern und ihrer technologiebezogenen Strategie ab. Ich glaube, dass die großen Gewinner nach den angesprochenen Umbrüchen die GAFA sind. Die waren aber vorher auch schon die Profiteure aufgrund der Detailtiefe der Daten, die sie über ihre Nutzer haben. Ihnen wird die Segmentierung künftig nicht viel schwerer fallen. Gleichwohl hat Apple die Hoheit über die Tracking-Daten aus den Apps im App Store und dort werden die Marketing-Modelle weiterleben können.
Es wird sich also weiter auf das fokussiert, was gut funktioniert. Das heißt, die, die eh schon stark sind, werden stärker. Die anderen werden es schwerer haben. Programmatic wird aber trotzdem weiterhin kräftig wachsen. Die Digital Ad Spends als Ganzes werden auch nicht leiden, denn der “Corona-Effekt”, also mehr Fläche für digitale Werbung aufgrund der verstärkten Nutzung der Devices, ist weiterhin ein enorm wichtiger Faktor.
Woran ich nicht glaube, ist der Zusammenschluss von Konsortien zu irgendwelchen Tracking-IDs.
ADZINE: Warum nicht?
Roloff: Schlussendlich sind die großen App Stores Apple und Google nicht gewillt, solche Third-Party-Tracking-Möglichkeiten zu erlauben. Facebook hat zum Beispiel seine eigene Initiative gestartet und wollte sein Attributions-SDK schärfen, aber auch hier hat Apple nicht gezögert zu sagen, dass sie so aus dem Store fliegen werden.
Von daher glaube ich nicht an diese Zusammenschlüsse, vor allem nicht, wenn sie Geld kosten. Die IDFA muss man nicht ersetzen.
ADZINE: Danke für das Interview, Francois!
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