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MARKETING ENTSCHEIDER

Marketingchef Raphael Stange vom Carsharing-Riesen Share Now im Portrait

Sandra Goetz, 17. Februar 2021
Bild: Sharenow

Aus Car2go (Daimler) und Drive Now (BMW) wurde vor zwei Jahren ein Unternehmen: Share Now. Raphael Stange, der zuvor als Chief Marketing Officer Global für Car2go in Stuttgart arbeitete, hat mit der „Hochzeit“ der beiden Carsharing-Anbieter die Herausforderung angenommen und ist für Share Now als Chief Marketing, Customer Service und Sales Officer (CMSO) nach Berlin gegangen. Nachdem wir Raphael Stange im Januar 2018 im Portrait hatten, führen wir drei Jahre später das Gespräch weiter. Im Entscheider-Interview spricht der 45-jährige Manager über den deutschen Carsharing-Markt, Ortswechsel, Familie, Motivation, Marktführerschaft, Marketing-Herausforderungen und E-Mobility.

ADZINE: Herr Stange, kein Mensch ist eine Insel. Für die neue Aufgabe als CMSO für Share Now mussten Sie Stuttgart verlassen und nach Berlin ziehen. Was heißt das für Ihre Frau, Ihre Kinder?

Raphael Stange: Berlin war mein fünfter Umzug und ist meine vierte Stadt in 15 Jahren. Jeweils mit Frau, später mit Kids. Meine Tochter ist sieben Jahre alt, in München geboren, dort in die Kita gegangen, hat drei Jahre in Stuttgart gelebt und ist nun in der zweiten Klasse einer Berliner Grundschule. Daran sieht man ganz gut, was die beruflichen Veränderungen für die Familie bedeuten. Die Veränderungen sind natürlich auch und vor allem für meine Frau und Kinder spürbar. Deswegen bespreche ich jeden Umzug vorher mit meiner Frau und hole mir ihre Unterstützung ab. Meinen Kindern mute ich dabei einiges zu, das ist mir bewusst. Aber der Job bei Share Now hat einen Purpose, der mir sehr wichtig ist. Wir arbeiten daran, die Mobilität der Zukunft zu entwickeln und Städte für unsere und folgende Generationen lebenswerter zu machen. Wäre das nicht der Fall, fiele das schwer. Nur Geld verdienen – das kann man an jedem Standort.

ADZINE: Was hat sich mit der neuen Position in Ihrem Aufgabenbereich geändert?

Stange: Ich habe neben dem Marketing nun auch Verantwortung für den Vertrieb und den Kundenservice übernommen. Dass sämtliche Kundenkommunikation nun in einem Unternehmensbereich angesiedelt ist, bringt zunächst mal einige Vorteile mit sich – sorgt aber an sich natürlich nicht automatisch für eine Verbesserung für den Kunden.

Deswegen haben wir nun die Maßnahmen innerhalb dieses Bereiches über neue Prozesse und Rollen enger miteinander verzahnt. Davon profitieren unsere Kunden und das Unternehmen. Außerdem haben wir die Zusammenarbeit mit anderen Bereichen im Unternehmen auf ein neues Niveau gehoben. Impuls und Ideengeber dafür sind Arbeitsweisen aus dem Agile-Modell von Spotify. Das werden Sie schon öfter gehört haben. Es ist nicht neu. Es konsequent einzusetzen – auch abseits der reinen Softwareentwicklung – ist allerdings leichter gesagt als getan. Aber es lohnt sich.

ADZINE: Wo steht Carsharing in Deutschland heute?

Stange: Carsharing hat sich über die Jahre zu einem festen Bestandteil der urbanen Mobilität in Deutschland entwickelt. Es gibt mittlerweile zahlreiche Anbieter – sowohl im stationsbasierten als auch im “Free-Floating”-Carsharing, die in der Vergangenheit immer wieder zeigen konnten, dass sie den Verkehr in den Städten entlasten und die Mobilität der Menschen verbessern können.

Nimmt man alle Anbieter zusammen, nutzen bereits mehr als 2,5 Millionen Deutsche regelmäßig eines der rund 25.000 verfügbaren Carsharing-Autos. Diese Zahlen unterstreichen den Stellenwert von Carsharing als sinnvolle Ergänzung zum ÖPNV und anderen Formen geteilter Mobilität.

ADZINE: Wie verlief die “Hochzeit” von Car2go und Drive Now?

Stange: Carsharing – und insbesondere das stationsunabhängige Carsharing von Share Now – ist technisch extrem anspruchsvoll. Mehr als 200 Microservices müssen innerhalb weniger Sekunden miteinander kommunizieren, um eine Anmietung per App zu ermöglichen. Deswegen war unsere größte Herausforderung nach der Fusion, die beiden unterschiedlichen Systemlandschaften von Car2go und Drive Now zusammenzubringen. Dabei war es sehr hilfreich, dass Car2go und Drive Now schon immer dieselbe Vision von der Mobilität der Zukunft hatten. Das hat die Mitarbeitenden schnell zusammengeschweißt.

Besonders stolz bin ich auf das erste Kind dieser Ehe: Long-Term-Carsharing. Als erster Carsharing-Anbieter überhaupt haben wir im August 2019 damit begonnen, Langzeitmieten von bis zu 30 Tagen anzubieten. Das ist mittlerweile in ganz Europa möglich. Kunden können ihr Auto sogar bis zu 45 Tage im Voraus reservieren und nach Hause liefern lassen.
Zu unserem zweijährigen Hochzeitstag Ende Februar kann ich also sagen: Wir würden uns jederzeit wieder das Ja-Wort geben.

Bild Share Now Eine große Herausforderung bei der Verschmelzung: Die Systemlandschaften der beiden Marken zusammenführen.

ADZINE: Welche Herausforderung gibt es im Marketing ob des Namens? Car2go ist ein etablierter Markenname und wird schon fast synonym für Carsharing (Free Floating) benutzt, wie schlägt sich der neue Markenname Share Now?

Stange: Ja, sowohl Car2go als auch Drive Now haben eine lange Markenhistorie mit entsprechend hohen Werten und Rankings. Das war für den Start der Marke Share Now schon eine Herausforderung. Zwei Jahre nach Start sagen die Zahlen: Wir haben geschafft, die neue Marke ebenso stark zu platzieren wie die beiden alten jeweils einzeln waren.

In den Suchvolumen zum Beispiel übertrifft Share Now jeweils die Altmarken. Dennoch gibt es noch eine Nachfrage, die sich dezidiert an die Altmarken richtet. Auch deswegen bleiben Car2go und Drive Now noch eine gewisse Zeit lang relevant für die Vermarktung.

Einzelne Messwerte sind allerdings bereits höher als die von Car2go und Drive Now je waren. Die neue Domain hat vor Kurzem die Rankings und die Visibilität der alten Domains überholt. Ich bin stolz darauf, was unsere Teams hier geleistet haben.

ADZINE: Wo sehen Sie generell die größten Herausforderungen bei Leiterinnen und Leitern von Marketing-Organisationen?

Stange: Im Mobile-Marketing schenkt uns Apple mit ihrer sogenannten “Privacy”-Initiative eine neue Herausforderung. Vordergründig wird ein Interesse der Anwender vorgeschoben. In Wirklichkeit richtet sich das ja vor allem gegen Facebook und Google als Konkurrenten in der App-Empfehlung sowie als Publisher für Ads.

Apple vertritt hier also offenkundig seine eigenen Interessen; nicht primär die der Kunden. Im Ergebnis werden wir uns vom Idealziel einer Verbindung wirklich aller Datenpunkte in der Akquise und Retention im Mobile-Marketing erstmal verabschieden müssen. Dies birgt Herausforderungen im Targeting, darin liegt aber auch eine Chance. Nun müssen wir uns wieder sehr präzise um die Optimierung jedes einzelnen Touchpoints kümmern, statt uns mit der Performance von messbaren Teilmengen zufriedenzugeben. Ich mag Präzision auf Detailebene im Marketing und unsere Kunden mögen es auch.

Die Covid-19-Pandemie setzt Marketing-Budgets zusätzlich unter Druck. Wenn Marketing-Ausgaben sinken sollen, fallen dem in der Regel die Ausgaben für Branding als Erstes zum Opfer. Digital direkt messbare Maßnahmen beweisen ihre Sinnhaftigkeit einfacher.

Das bedeutet allerdings keinesfalls, dass Aktivitäten, die dem Branding dienen, weniger wichtig sind. Denn kein Marketing-Entscheider hat Branding-Maßnahmen zum Selbstzweck im Portfolio. Sie dienen immer der besseren Performance der direkt messbaren Maßnahmen. In einer Situation, in der die Gürtel enger sitzen, schnell und präzise einen guten neuen Maßnahmen-Mix zu finden, ist das Gebot der Stunde.

Der Aufwand lohnt sich aber: Alle guten Vermarktenden sollten ein Marketing-Modell haben, das nicht nur linear bei unterschiedlich hohen Budgets skaliert. Denn das war und ist zu keiner Zeit eine gute Idee.

ADZINE: Wird Marketing eher besser durch Wirkungstransparenz oder Entscheidungshilfen oder eher durch Automatisierung und Prozessoptimierung?

Stange: Automation und Prozessoptimierung erfordern Wirkungstransparenz. Sonst sind sie kaum effizient zu realisieren. Es nutzt nichts, allein zu wissen, wie schnell man fährt, um anzukommen. Man muss auch wissen, wo man gerade ist, um den richtigen Weg zum Ziel zu finden.

Anders gesagt: Ich kann mir das eine gar nicht ohne das andere vorstellen. Bestes Beispiel sind Aktivitäten zur Steigerung des Customer Lifetime Value, CLV. Das, was wir heute Marketing-Automation nennen, ist technisch ja schon seit Anfang der 2000er Jahre möglich.

Mithilfe von standardisierten Lösungen ist es jetzt lediglich einer größeren Gruppe von Vermarktenden zugänglich. Vermeintlich lassen sich regel- beziehungsweise responsebasierte Push-Kampagnen relativ einfach “zusammenklicken”. Wenn man es mit Optimierung aber ernst meint – also den Deckungsbeitrag optimieren will und nicht Kampagnen-KPI – wird schnell klar, wie wichtig Wirkungstransparenz für das eigentliche Ziel ist, das man mit Automation und Prozessoptimierung erreichen will.

Bild: Share Now Dezentrale Ladeinfrastrukturen sind eine Rahmenbedingung für den Erfolg von Elektromobilität.

ADZINE: Welche Rolle spielt die Elektromobilität bei Share Now?

Stange: Share Now gehört zum Mobilitätsalltag von rund drei Millionen Kundinnen und Kunden, die unsere Autos im flexiblen Carsharing im täglichen Mobilitätsmix ihrer Stadt nutzen und so zur Verkehrsentlastung und Luftverbesserung beitragen. Share Now ist überzeugt, dass diese positiven Effekte durch Elektromobilität entscheidend verstärkt werden können.

Derzeit betreibt Share Now rund 2.900 E-Autos an vier vollelektrischen und weiteren vier teilelektrischen Standorten in Europa. Mehr als 25 Prozent der Flotte in Europa sind bereits elektrisch. Share Now bietet so bereits heute Millionen von Stadtbewohnern einen einfachen, ersten Kontakt mit Elektrofahrzeugen. Menschen, die sonst nicht die Möglichkeit hätten, selbst ein Elektroauto zu fahren, können einen Eindruck von dieser umweltfreundlichen Fortbewegungsart gewinnen.

Und wir sind davon überzeugt, dass die Zukunft des Carsharing elektrisch ist. Diese muss aber dort beginnen, wo die Rahmenbedingungen stimmen. Also das Parken im öffentlichen Raum und hierbei insbesondere die Anwendung des Elektromobilitätsgesetzes, welches kostenfreies Parken von EVs ermöglicht. Zudem ist das Vorhandensein einer öffentlichen, dezentralen Ladeinfrastruktur mit einer ausreichenden Anzahl an verfügbaren Ladepunkten, die idealerweise interoperabel sind, entscheidend.

ADZINE: Was hoffen Sie für den Carsharing-Markt in 2021 und für Ihr Unternehmen?

Stange: Wir knüpfen an die positive Entwicklung aus 2020 an. Ein Eckpfeiler wird dabei die Erweiterung der europäischen Flotte um Modelle verschiedener Hersteller sein. Den Auftakt machte im vergangenen Oktober der Fiat 500, der bereits an fünf deutschen Städten zum Einsatz kommt: Berlin, Frankfurt, München und Rheinland mit Düsseldorf und Köln.

Wir verfolgen weiter unseren eingeschlagenen Weg und richten unser Geschäft konsequent auf nachhaltiges Wachstum aus. In diesem Zusammenhang bleibt es wichtig, intensiv die Weiterentwicklungen des Produktes voranzutreiben und neue Partnerschaften zu schließen. Mit Interessenten sprechen wir bereits.

ADZINE: Herr Stange, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und hoffen, Sie bald wieder in einer Adzine-Talkrunde begrüßen zu können.

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