Der Third-Party-Cookie übernimmt seit langer Zeit die Aufgabe, User im programmatischen Ökosystem zu identifizieren, damit personalisierte Werbung ausgespielt werden kann. Die verschiedenen Systeme sind somit in der Lage, User wiederzuerkennen und Datenpunkte zu verknüpfen. Diese Aufgabe muss in Zukunft jedoch eine andere Technologie übernehmen, denn Browserhersteller, Datenschutz und weitere politische Regulierungen üben zunehmend Druck auf den Cookie aus. Viele Marktteilnehmer sehen adressierbare Digitalwerbung deshalb in Zukunft im Zusammenhang mit alternativen ID-Lösungen wie Logins und sogenannten Unified IDs. Der Markt ist fragmentiert, doch das kalifornische Adtech-Unternehmen The Trade Desk arbeitet momentan an einer Lösung, um alle ID-Anbieter miteinander zu verbinden und hat bereits prominente Unterstützung gefunden. DACH-Chef Lukas Fassbender erklärt im Interview, wie das funktionieren soll und wie die User mit ins Boot geholt werden können.
ADZINE: Hallo Lukas, der Cookie schwindet – wie alle Marktteilnehmer beschäftigt auch ihr euch zurzeit intensiv mit dem Thema Identity und entwickelt mit der Unified ID 2.0 eine eigene Lösung. Was kann das Programmatic-Ökosystem konkret mit dieser neuen ID anfangen? Es gibt doch schon etliche ID-Anbieter?
Lukas Fassbender: Bei der Unified ID 2.0 handelt es sich nicht um eine Idee von uns, sondern um das Framework, welches das IAB innerhalb des Project Rearc entwickelt hat. Wir machen eigentlich nichts anderes, als diese Idee mit unseren Engineering-Ressourcen ins Leben zu rufen.
Das Framework soll verschiedene Identifier in die Lage versetzen, untereinander zu kommunizieren. Es ist also weniger eine weitere ID-Lösung, sondern ein interoperables Open-Source-Werkzeug, das alle fragmentierten Lösungen zusammenführt, um ein einheitliches Ökosystem zu schaffen.
ADZINE: Wie funktioniert das?
Fassbender: Die Unified ID operiert dezentral nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip und generiert alle 24 Stunden einen neuen Schlüssel samt Schloss. So kann auch eine SSO-Lösung diesen Service aufrufen und für eine gehashte E-Mail-Adresse oder Telefonnummer vom Server eine verschlüsselte Unified ID erhalten, die an einen First-Party-Cookie geknüpft ist. Die Anmeldedaten bleiben dabei immer beim Publisher und werden nicht anderswo zentral gespeichert.
Somit ist die Lösung nicht konkurrierend. Sie soll mit bestehenden Login-Allianzen und SSO-Lösungen integrieren, ebenso wie mit Customer-Data-Platformen von Advertisern oder Brands. Wir sind beispielsweise aktuell in Gesprächen mit der NetID. Wir stellen ebenfalls eine ‘lightweight’ SSO-Lösung für Publisher zur Verfügung, die ist aber wahrscheinlich nur für die nützlich, die keine eigenen Login-Systeme haben. Das Ziel ist es letztlich, das gesamte Unified ID 2.0-Projekt wieder an einen unabhängigen Branchenverband zurückzugeben.
ADZINE: Wie profitiert ihr davon?
Fassbender: Natürlich haben auch wir einen kommerziellen Nutzen davon, wenn wir diese ID einsetzen können, um Advertisern ihre Auktionen weiterhin zu ermöglichen. Allerdings möchte ich betonen, dass wir diese Lösung nicht für uns entwickeln, sondern für alle im Markt. Zum Beispiel ist Criteo ebenfalls dabei. Wenngleich das Unternehmen in einigen Bereichen im Wettbewerb zu uns steht, arbeiten wir mit allen Partnern gemeinsam an einem einheitlichen Standard für die gesamte Branche.
ADZINE: Glaubst du daran, dass sich Konsumenten künftig überall im Internet anmelden werden? Und das auch noch auf verschiedenen Geräten?
Fassbender: Ich würde unterscheiden zwischen einem harten Login, für den du dich wirklich registrieren musst, und einem Soft-Login. Die Hürde einen harten Login abzufragen ist bei einigen Publishern so groß, dass sie wahrscheinlich den Traffic verlieren würden. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass ein Login für die großen Publisher und Content-Bereiche die Realität sein wird. Das passiert heute schon in großen Teilen. So hat beispielsweise Joyn anfangs ohne Login gearbeitet, ist aber jetzt loginbasiert.
An irgendeiner Stelle muss sich ein Publisher entscheiden, ob er ohne Identity-Lösung noch wirtschaftlich arbeiten kann. Die Preise für nicht-identifizierbare Nutzer betragen ein Bruchteil dessen, was für Inventar bezahlt wird, das zumindest ein Frequency Capping, also Kontaktklassenoptimierung, ermöglicht.
ADZINE: Wie überzeugt man den Nutzer, sich bei jedem einzelnen Publisher anzumelden? Manche sind einfach nicht empfänglich für den oft gepredigten, offenen Dialog über Moneratisierungsmodelle und wollen lieber konkrete Anreize.
Fassbender: Ist es nicht komisch, dass wir für eine Tageszeitung 1,50 Euro bezahlen und dann auf die gleiche Seite online gehen und denken, dass alles umsonst ist?
ADZINE: Absolut, aber die meisten Menschen sind eben damit aufgewachsen, dass im Internet alles umsonst ist.
Fassbender: Genau. Wir müssen dem Nutzer als Branche erklären, dass dem nicht so ist. Einige Publisher machen das schon sehr direkt. Aber es muss eine Art von Paywall geben – entweder werbe- oder abofinanziert. Sonst kann das Geschäftsmodell der Publisher nicht mehr aufrechterhalten werden. Es ist einfacher gesagt als getan, daher brauchen wir eine einheitliche Branchenlösung, um den Werteaustausch erklären zu können. Da müssen wir alle dran arbeiten. Es muss einfach die Möglichkeit für Publisher geben, über Login-Lösungen und Allianzen hinweg, Nutzer zu identifizieren.
ADZINE: Ihr setzt euren Fokus unter anderem auf CTV. Wie sieht das dort mit Identity aus? Könnt ihr mit der Unified ID 2.0 auch geräteübergreifend identifizieren?
Fassbender: Grundsätzlich ist es eine übergreifende Lösung, ja. Denn auch dort gibt es einen Login, der wiederum mit einer ID verbunden wird und beispielsweise auf Mobile-IDs oder ähnliches zurückgeführt werden kann. Im CTV-Umfeld ist aber noch nicht gang und gäbe, dass man sich einloggt. Die Frage ist nun, wie sich dieses Ökosystem umstellt.
Über kurz oder lang werden wir überall eine Form der Identifizierung sehen. Immer häufiger kommt auch im CTV-Bereich die explizite Consent-Abfrage und so können wir diesen auf ein bestehendes Identity-Framework zurückführen und den Nutzer mit Graphen und Login-Allianzen verknüpfen. Zunächst liegt der volle Fokus der Unified ID in erster Linie aber auf dem Desktop-Umfeld. Der zweite Schritt sind dann CTV und die App-Welt.
ADZINE: Was werden deiner Meinung nach die dominierenden Themen in 2021?
Fassbender: Identity ist natürlich ein sehr relevantes Thema. Aber auch CTV nehme ich hier mit rein, weil wir das erste Mal in der Lage sind, vom großen Screen Erkenntnisse abzuleiten und in die Measurement-Richtung zu gehen. Wir geben damit Werbetreibenden ein Verständnis dafür, was der große Bildschirm für sie bedeutet. Über Marktforschung & Co. hinaus können wir feststellen, ob danach etwa der Laden besucht wurde.
ADZINE: Du sprichst hier von Footfall, oder?
Fassbender: Genau, aber auch alle anderen Formen von Offline-Measurement. Da tut sich gerade sehr viel. Wir sprechen zum Beispiel mit großen Supermarktketten, die Interesse daran zeigen, eine unabhängige Partei in der Mitte zu haben, die es ermöglicht festzustellen, ob ein Produkt nach einem Werbemittelkontakt an einen Nutzer verkauft wurde. Wir können ermitteln, ob ein bestimmter Touchpoint mit einer Ad funktioniert hat, ohne den Nutzer explizit zu nennen. Sobald wir uns in einem IP-getriebenen Umfeld bewegen, sind wir in der Lage, diese Kontakte auf einen Haushaltsgraphen zurückzuführen.
ADZINE: Die Verknüpfung schafft ihr über den Router, in den sowohl der TV als auch das Smartphone eingewählt sind, das mit in den Supermarkt getragen wird, korrekt?
Fassbender: Korrekt. In vielen Fällen ist die IP-Adresse die beste Datenquelle, um eine Zusammenführung auf eine Nutzergruppe zu leisten. Ein Haushalt hat beispielsweise zehn Geräte, die sogar aufgrund des unterschiedlichen Browser-Verhaltens auf Personen zurückgeführt werden können, also etwa Mann oder Frau. So können wir auch eine CTV-ID an Personen binden. Allerdings ist hier die Consent-Abfrage noch nicht zu hundert Prozent gegeben, also das ganze CTV-Inventar auch nicht so detailliert verfügbar.
ADZINE: Was erwartet uns sonst in 2021?
Fassbender: Weitere Themen für 2021 sind Digital-Out-of-Home und Audio, weil sie sich in den programmatischen Bereich bewegen. In diesen Kanälen kommen wir das erste Mal dahin, dass wir im One-to-Many-Bereich Messbarkeit schaffen.
ADZINE: Danke für das Gespräch, Lukas!
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