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DATA

Eine Lösung für die Zukunft des Targetings gibt es nicht

Carsten Becker, 8. Dezember 2020
Bild: Miikka Luotio – Unsplash

Zurzeit vergeht kaum ein Tag ohne eine neue Meldung zum Thema „Cookieless Future“, wenngleich noch gar nicht feststeht, wie cookieless besagte Zukunft überhaupt aussehen wird. Während sich 2019 noch Nachricht an Nachricht reihte, die allesamt das Ende des digitalen Marketings voraussagten, dreht sich 2020 hingegen alles um Lösungen, die jede für sich verspricht, jene aussichtslose Situation nun doch umgehen zu können. Mehr noch: Selbstverständlich ist ein jeder dieser Ansätze besser als alles, was wir vorher kannten. Wie sollte es auch anders sein.

Das Blatt hat sich also in kurzer Zeit von pessimistischer Schwarzseherei hin zu freudigem Optimismus gewendet. So skeptisch einen dieser plötzliche Wandel des Zeitgeistes auch werden lassen kann, für ganz so abwegig halte ich den erwähnten Optimismus nicht. Oft – und da bildet die Onlinebranche keine Ausnahme – geht einem nachhaltigen Wandel ein einschneidendes Ereignis voraus. Solange man sich auf Altbewährtem ausruhen kann, finden Innovationen eher spärlich statt. Wenn Innovationen jedoch zwingend erforderlich werden, weil sonst die eigene, geschäftliche Existenz bedroht ist, werden Menschen förmlich zur Kreativität gezwungen. An jüngsten Beispielen mangelt es aufgrund der anhaltenden Corona-Situation nicht. Die Digitalisierung in Schulen und Unternehmen wird unweigerlich und unumkehrbar vorangetrieben, für viele ein längst überfälliger Schritt. Beim Sport ist es plötzlich normal, dass man sein Workout gemeinsam mit Gleichgesinnten vor eine Webcam durchführt und das Angebot an Lieferdiensten überfordert mittlerweile auch den geübtesten Feinschmecker.

Unsere Branche bildet hier keine Ausnahme. Die Dmexco @home ist nur ein Beispiel, wie die Notwendigkeit zum Handeln, ein vorher nicht vorstellbares Format hervorgebracht hat, welches am Ende nicht nur kompensiert, sondern gänzlich neue Vorteile mit sich bringt – die auch über die Corona-Zeit hinaus bestehen könnten.

Wie sich ID-Lösungen und Walled Gardens ergänzen

Auch wenn ich insgesamt die freudige Erwartung an die Zukunft unsere Branche teile, sollte jeder Ansatz für sich genommen doch hinsichtlich seiner Chancen und Limitationen geprüft werden. Die sogenannten Walled Gardens werden, wie bereits oft erwähnt, durch die Entwicklungen eher gestärkt werden – nicht jedoch zu Unrecht. Sie nehmen durch die Kombination aus hoher Consent-Rate und tiefer Datengranularität eine wichtige Rolle im Data Driven Marketing ein. Der Wermutstropfen, der bleibt, ist das geschlossene System und die damit einhergehende Siloplanung.

Hier setzen wiederum die Open-ID-Lösungen wie NetID oder Liveramp an, welche in der Theorie sehr vielversprechend klingen. Für einen Erfolg ist es allerdings zwingend erforderlich, dass sie vom Endverbraucher angenommen werden; jener also bereit ist, seine Einwilligung zur Datenerhebung zu erteilen. Ob das auf einem für die Media ausreichenden Skalierungslevel gelingt, bleibt abzuwarten. Der Reichweitenherausforderung könnte indes die Idee des IAB der Unified ID 2.0 entgegenwirken, deren Verwirklichung sich vor allem The Trade Desk auf die Fahne geschrieben hat. Durch das Zusammenführen verschiedener ID-Lösungen lässt sich logischerweise eine größere Reichweite erzielen, als jede für sich genommen aufweist. Ein solches Vorhaben erfordert viel Dialog, der auch Agenturen und Kunden nicht ausnimmt.

Kontextuelle Ansätze erleben einen Höhenflug

Parallel lässt sich eine scheinbare Rückbesinnung auf Altbewährtes beobachten. Kontextuelle Ansätze erleben einen neuen Höhenflug. Waren sie teilweise zum Höhepunkt des Cookie-Zeitalters in den Hintergrund gerückt, schafft auch hier die Notwendigkeit neue, kreative Ansätze. Längst können nicht nur die Texte auf einer Website, sondern durch geschickten Einsatz von Technologie auch Bilder, Audiospuren und sogar Videos kontextuell analysiert und für ein Targeting nutzbar gemacht werden. Aus Agentursicht stellen wir schon lange fest, dass der Kontext erheblichen Einfluss auf Kampagnen-KPIs hat und stellenweise reine Third-Party-Datenstrategien “outperformt”. Reichweite ist hier kein Problem – jede Werbung steht in einem Kontext. Kritiker können im direkten Vergleich zum ID-Targeting höchstens fehlende Präzision vorwerfen. Auch Storytelling und Frequenzsteuerung fallen weg.

Pre-Targeting als probates Mittel

Nicht nur die Buy-Side greift auf Bekanntes zurück, auch das Thema pre-targeted Deals auf Publisherseite rückt wieder weiter in den Vordergrund. In den Anfängen von Programmatic aufgrund fehlender Transparenz für den Einkäufer oft skeptisch beäugt, entwickelt sich das Pre-Targeting zu einem probaten Mittel. Schließlich kennt niemand sein Inventar so gut wie der Publisher selbst. Eine vertrauensvolle Beziehung mit maximaler Transparenz ist hier der Schlüssel zum Erfolg. Im Vergleich zur Datenaktivierung über Third-Party Data Marketplaces, braucht es jedoch mehr Abstimmung und höhere Vorlaufzeiten. Spannend wird es, wenn sich Publisher zusätzlich für die Anbindung von Third-Party-Daten öffnen.

Mit „Smart Data“ neue Wege beschreiten

Neben kontextuellen Daten im Sinne von Content gibt es noch eine ganze Reihe an anderen Daten, die bisher aufgrund der ausreichenden Verfügbarkeit von Cookies und Mobile Advertising IDs im Online-Marketing wenig Beachtung erhielten. Die sogenannten „alternativen Daten“ oder wie wir sie auch gerne bezeichnen: „Smart Data“. Hiermit ist der clevere Einsatz von Daten gemeint, die nicht zwingend für den Einsatz von Media erhoben worden sind, jedoch entsprechende Ableitungen zulassen. Häufig lassen sich diese Daten auf einem Geo-Level aggregieren und eignen sich daher perfekt für ein reichweitenstarkes Targeting jenseits der User ID. Der Nachteil bei solchen Ansätzen ist die fehlende Standardisierung und der damit einhergehende hohe konzeptionelle und analytische Aufwand.

Ein Meilenstein mit ungewissen Folgen

Der Vollständigkeit halber und des möglichen Ausmaßes wegen sei noch die Google Privacy Sandbox erwähnt. Da bisher noch kein finales Konzept mit der Öffentlichkeit geteilt wurde, kann man zurzeit nur spekulieren, wie genau besagte Sandbox aussehen und welche Implikationen sie auf den Werbemarkt haben wird. Sicher ist nur, dass das Inkrafttreten einen neuen Meilenstein in Richtung Privacy-First-Ära markiert.

Fazit

Alle genannten Ansätze haben ihre Stärken, kommen aber auch nicht ohne Schwächen aus. Eine Universallösung gibt es nicht. Entscheidend ist meines Erachtens, wie man die verschiedenen Optionen gegeneinander abwägt und kundenindividuell kombiniert. Letztendlich ist es das, was wir als Mediaagentur seit jeher mit Media machen. Der einzige Unterschied: Jetzt machen wir auch Mediaplanung für Daten.

Wichtig ist aber auch zu verstehen, dass der Cookie und die Mobile Advertising IDs, zumindest aktuell, weiterhin eine Rolle spielen. Vor allem zur First-Party-Nutzung, aber nicht ausschließlich. Wie lange das Bestand haben wird, da gehen die Meinungen auseinander. Was aber feststeht: Das angedrohte oder eben tatsächliche Szenario der „Cookiecalypse“ führt langfristig zu einem Zuwachs – nicht zu einem Abfall – an Data-Targeting-Reichweite, wie man in der obenstehenden Grafik erkennen kann, und bereichert damit das Data Driven Marketing auf vielfältige Weise. Es gibt also nicht eine Lösung für die Zukunft des Targetings, sondern mehrere.

Tech Finder Unternehmen im Artikel

Bild Carsten Becker Über den Autor/die Autorin:

Carsten Becker ist Geschäftsführer bei der Omnicom Media Group Germany, bei der er seit Oktober 2019 tätig ist. Zudem ist er seit Ende 2020 stellvertretender Vorsitzender der Fokusgruppe Programmatic Advertising im BVDW. Seine berufliche Laufbahn startete zeitgleich mit dem Beginn der Programmatic-Ära, nachdem er sein duales Studium im Bereich der Marketingkommunikation abgeschlossen hatte. Seit jeher arbeitete er in verschiedenen Firmen und Funktionen auf dem Thema Programmatic, was ihn zu einem der führenden Experten auf diesem Gebiet macht. Zuvor war er unter anderem bei MediaCom als Head of Programmatic beschäftigt und bei Dentsu für das Business Development verantwortlich. Sein technisches Fachwissen konnte er in seiner Zeit beim Technologieanbieter DataXu schärfen, bei dem er als Director Account Management die DACH-Region verantwortete.

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