Die wachsende Bedeutung von Kontext und Semantik in einer cookielosen Welt
Tanzil Bukhari, 24. November 2020Die Entscheidung von Google, Third-Party-Cookies in Chrome innerhalb der nächsten zwei Jahre zu blockieren, wird in der Werbebranche noch lange nachhallen. Apple und Firefox, die über 30 Prozent des Browser-Marktes in Deutschland halten, haben bereits Schritte unternommen, um Cookies von Drittanbietern zu blockieren. Die Aufnahme von Google in die Gleichung ist sogar noch bedeutender, da sie allein 49 Prozent des Desktop-Marktes und 56 Prozent des Marktes für mobile Geräte halten.
Das Ende der Cookie-Ära war jedoch schon lange abzusehen. Drei von vier Bundesbürger schätzen ihre Daten im Internet als unsicher ein. Das Inkrafttreten der DSGVO hat die Sorgen der Verbraucher hinsichtlich ihrer personenbezogenen Daten kaum gelindert. Seit dem Fall von Cambridge Analytica sind Datenregulierungen ein Schwerpunkt für Regierungen auf der ganzen Welt. Sie üben Druck auf Technologieunternehmen aus, damit diese ihre Datenschutzbemühungen proaktiv verstärken. In den letzten zwei Jahren hat sich die Rechtslage hinsichtlich des User-Trackings für Unternehmen verschärft. Einige Browser-Anbieter sind vorgeprescht und haben Cookies, mit denen Advertiser Internet-User über Websites hinweg verfolgen konnten, zum Schutz der persönlichen Daten der Verbraucher entwertet. Googles Entscheidung war daher eher eine Frage des Wann als des Ob.
Diese Veränderung hat klare Auswirkungen auf Marketer, die den Cookie-basierten Ansatz zur Perfektion getrieben haben. Einige Publisher empfinden dies als ungerecht, nachdem sie diese Technik jahrelang verfeinert und die Werkzeuge für ihren Einsatz mühsam entwickelt haben. Doch trotz der Behauptungen über eine bevorstehende Apokalypse und mehrerer düsterer Prognosen für die Branche trägt der neue Wind eine langfristige Chance mit sich – sowohl für Werbetreibende als auch für Publisher.
Ein Teil der Lösung liegt in der Kombination von Technologie und menschlicher Expertise zur Entwicklung einer semantischen und kontextbezogenen Zielgruppenansprache. Dies ist kein Königsweg, aber in Kombination mit DSGVO-konformen ID-Lösungen wird dieser Ansatz in Zukunft eine bedeutende Rolle bei der Leistungssteigerung und für eine bessere User Experience spielen.
Wie der Kontext die Herausforderung der Sprache löst
Branchenplayer glauben, dass die Zukunft der digitalen Anzeigen auch vom Kontext abhängt. Browserbasiertes Machine Learning und weitere Technologien können genutzt werden, um zielgerichtete Anzeigen ohne das für viele Verbraucher “gruselige" Tracking mittels Third-Party-Cookies. Anstatt Nutzer einzeln zu verfolgen, ist beispielsweise Federated Learning of Cohorts (FLoC) Googles Alternative für Third Party-Cookies. Auf Basis des Browserverhaltens einer Vielzahl von Menschen mit ähnlichen Interessen werden hier Nutzergruppen zusammengefasst.
Massenhaftes Contextual Targeting war bisher jedoch eine Herausforderung, da die sprachlichen Nuancen äußerst kompliziert sind. Das Internet besteht aus Tausenden von Sprachen mit unzähligen Dialekten und Idiolekten. Das Erkennen von Bedeutung und Tonfall, das Verstehen von Akronymen, die richtige Interpretation von Wörtern oder Sätzen mit mehreren Interpretationen über verschiedene Sprachen hinweg – all das sind große Herausforderungen, denen sich Personen, die im Bereich der Semantik arbeiten, gegenüber sehen. Nehmen wir beispielsweise das Wort „Krieg“ und „kriegen“. Der Krieg ist ein mit Waffen ausgetragener Konflikt, „kriegen“ kann im Kontext von „etwas erhalten“ oder „bekommen“ verwendet werden. Hier ist der Kontext sehr entscheidend und macht einen enormen Unterschied.
Wie anspruchsvoll diese Aufgabe auch sein mag, es sind Fortschritte erkennbar. Die Erweiterung des Kontexts durch Semantik ist effektiver als je zuvor. Dieser Ansatz spielt eine bedeutende Rolle in der Zukunft der digitalen Werbung und ist eine praktikable Alternative zum Cookie-basierten Targeting.
Die Verbindung von menschlichem Fachwissen und künstlicher Intelligenz
Platzieren Marken ihre Anzeigen über Contextual Targeting, können sie ihre Ausgaben optimieren, indem die Anzeigen neben relevanten Inhalten platziert werden. Der Grundgedanke des Contextual Targetings geht zurück auf die Zeit, als Anzeigen für Sonnenschutz neben dem Urlaubs-Special der Sonntagszeitung platziert wurden. Das heutige Verfahren hingegen funktioniert so, dass ein Internet User nach „Sonnenschutz" sucht und feststellt, dass dieser die gesamte nächste Woche im Newsfeed auftaucht.
Contextual Targeting ist der alte, weniger invasive Ansatz. Allerdings skaliert die künstliche Intelligenz das kontextuelle Targeting mit einer Genauigkeit, die noch vor wenigen Jahren, geschweige denn vor Jahrzehnten, unvorstellbar gewesen wäre.
Heute können Marken viel weiter gehen, als ihr Produkt nur neben Keywords zu platzieren. So können Platzierungen etwa auf Ton und Inhalt basieren, um die Relevanz zu erhöhen. Doch die meisten Adtech-Unternehmen kratzen nur an der Oberfläche des Potenzials, das die kontextuelle und semantische Analyse, mit künstlicher Intelligenz potenziert, bieten kann.
Ein besseres Gleichgewicht zwischen Marken, Verbrauchern und Publishern
Die Post-Cookie-Welt sieht für Werbetreibende besser aus, als wir vielleicht zuerst gedacht haben, und auch Verbraucher und Publisher können profitieren.
Beim kontextuellen Ansatz geht es nicht allein um Reichweite. Es geht darum, den Inhalten einen Mehrwert zu verleihen und die Leser mit etwas zu erfreuen, das auf dem aufbaut, womit sie sich beschäftigen. Marken wiederum können sich darauf verlassen, dass ihre Anzeigen am richtigen Ort und zur richtigen Zeit geschaltet werden, während sie gleichzeitig das Risiko verringern, dass Verbraucher durch übereifriges Cookie-Tracking ermüden oder die Marke aufgrund von Platzierungen neben ungeeigneten Inhalten Schaden nimmt.
Nach einem Jahrzehnt, in dem Daten zu einem immer größeren Problem für Marken und Publisher geworden sind, ist die Cookie-Apokalypse für viele gefühlt der Untergang. Jedoch müssen Marketer nicht mit einer leeren Seite beginnen, denn seit Jahren gibt es Fortschritte im Contextual Targeting. Neue Technologien werden uns helfen, noch größere Möglichkeiten zu erschließen.
Tatsächlich sieht es immer mehr danach aus, als ob die Ankündigung von Google keine Totenglocke, sondern ein Katalysator war, den die Branche brauchte. Mit dem Schwerpunkt auf Kontext und Semantik wird es in den 2020er Jahren einen kooperativeren, verbraucher-, publisher- und markenfreundlicheren Ansatz für Anzeigen geben. Und am Ende gewinnen alle dabei.
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