Die Cookie-Regulierung macht der Online-Marketing-Branche schwer zu schaffen. Datenschützer, Politik und Browserhersteller erhöhen den Druck. Das Gros der Experten geht davon aus, dass der Third-Party-Cookie dies nicht überleben wird. Auch die Marketing-Attribution muss sich darauf einstellen.
Third-Party-Cookies sterben aus – Markus Nagel bleibt tiefenentspannt. Der Senior Manager Strategic Data Consulting kann dem Niedergang der Drittanbieter-Cookies gelassen entgegensehen, denn für die Kunden seines Unternehmens, Mapp, wird sich nichts ändern. Der Analytics-Dienstleister hat für seine Tracking-Lösung von Beginn an auf First-Party-Cookies gesetzt. Mapp fokussiert sich darauf, die Customer Journeys auf den Anbieterwebsites nachzuvollziehen und die dortigen Touchpoints zu messen. Für viele Werbetreibende ist eine solche Betrachtung ausreichend und besonders aufschlussreich, da sie viele Potenziale einer Website aufzeigen kann.
„Unternehmen haben in der Vergangenheit viel Geld in technische Lösungen investiert, um Traffic auf ihre Websites zu bekommen. Dabei wurde oft vernachlässigt, wie man mit diesem Traffic umgeht – sowohl in Bezug auf die Auswertung als auch das Nurturing der eigenen Nutzerschaft“, sagt Nagel. Bricht nun der Third-Party-Cookie weg, können es bei vielen Werbetreibenden zu einem Umdenken kommen. „Man wird sich wieder stärker auf die Möglichkeiten der First-Party-Cookies fokussieren“, sagt Nagel. Sogar für den Worst Case ist man hier vorbereitet. Erst kürzlich hat Mapp ein anonymes Tracking eingeführt, das auf Cookies komplett verzichtet. Allerdings funktioniert es nur auf der jeweiligen Anbieterwebsite. Ein Seiten- oder Anbieter-übergreifendes Nutzertracking ist damit nicht möglich.
Umdenken nötig, Perspektive wechseln
Wer allerdings komplette Customer Journeys – vom Erstkontakt bis zum Sale – betrachten und die Wertbeiträge von Kampagnen und Kanälen zuzuordnen will, muss dafür auch die Ad Impressions tracken. Doch das wird ohne Drittanbieter-Cookie künftig kaum noch möglich sein und somit wird ein Großteil der Touchpoints für die Customer-Journey-Analyse wegbrechen.
Der Attribution-Experte und Unternehmensberater Dimitrios Haratsis befasst sich seit geraumer Zeit intensiv damit, wie kundengetriebenes Marketing in einer Post-Cookie-Ära betrieben werden kann. Aus seiner Sicht haben Marketer künftig zwei Optionen, um Customer Journeys zu analysieren: Entweder sie gehen klickbasiert vor und lassen sich auf Unschärfen ein, oder sie treten die Flucht nach vorn an – weg von einer „mikroskopischen“ Cookie-basierten Attribution hin zu einer „makroskopischen“ Betrachtung ohne Cookie-Einsatz. „Marketer müssen die Perspektive wechseln“, sagt Haratsis. Wer weiter auf eine klickbasierte Betrachtung setzt, muss dem Experten zufolge aufgrund der wegbrechenden Touchpoints mit Unschärfen leben. Da Awareness-Maßnahmen wie Online-Display nur selten Klicks auslösen, würden Customer Journeys dann sehr kurz ausfallen und das „Last-Cookie-Wins-Prinzip“ könnte eine Renaissance erfahren. Daher plädiert Haratsis für ein komplettes Umdenken: „Wir müssen die Froschperspektive verlassen und eine Vogelperspektive einnehmen“.
Mediamix Modeling statt Cookie
Statt im Rahmen einer Multi-Touch-Attribution jeden digitalen Kanal bis ins letzte Detail durchzumessen, sei es vielmehr ratsam, auf ein Mediamix Modeling zu setzen, das auch die Offline-Kanäle einschließen kann. Dafür werden laut Haratsis zwei Datendimensionen benötigt: Zum einen die Umsatzentwicklung des werbetreibenden Unternehmens und zum anderen die damit verbundenen allokierten Budgets – Gattung für Gattung. „Man benötigt eine hinreichend historische Umsatzentwicklung über einen Zeitraum der vergangenen zwei Jahre. Idealerweise müssen dabei alle On- und Offline-Umsatzquellen berücksichtigt und tagtäglich aufgelöst werden“, erläutert Haratsis. Auf der anderen Seite werden die Budgets abgefragt und ebenfalls möglichst tagtäglich aufgelöst.
Auf diese Weise stehen einem Data Scientist jeweils 730 Datenpunkte für eine Modellierung zur Verfügung (365 Tage x 2). Durch die Auswertung der täglichen Budgets und Umsätze können Daten-Experten dann Zusammenhänge erkennen. „Basierend auf dem spieltheoretischen Ansatz lassen sich Kausalitäten ableiten und eine Attribution modellieren“, sagt Haratsis. Die Spieltheorie ist eine mathematische Theorie, mit der sich Vorhersagen über einen Erfolg treffen lassen, wenn sich im Modell mehrere Faktoren gegenseitig beeinflussen.
Weniger detailliert, dafür inklusive Offline
In der Praxis könnte jedoch eine taggenaue Datenaufbereitung für Herausforderungen sorgen. Während sich einige Gattungen wie Search sehr gut tageweise auflösen lassen, dürfte dies in anderen Bereichen schwieriger sein. Ist es nicht möglich, müssten Unternehmen auf die nächstmögliche Zeiteinheit schwenken und Daten interpolieren, so Haratsis. Auch mit einer wöchentlichen oder monatlichen Auflösung der Zahlen kann man noch agieren, aber klar ist: je mehr Datenpunkte, desto höher ist die Qualität der Analyse. Eine weitere Hürde dürfte sein, dass Unternehmen sich nur ungern in Budget und resultierende Umsatz-Zahlen schauen lassen. „Datentransparenz ist ein Hemmschuh in jedem Modellierungsverfahren“, sagt Haratsis. Diesen gelte es zu überwinden.
Diese makroskopische Betrachtung hat den Vorteil, dass sie ohne Cookies auskommt und sogar Offline-Kanäle einbeziehen kann. Andererseits kann sie nicht die Granularität aufweisen, die eine Cookie-basierte Attribution in der Vergangenheit bieten konnte. Doch das scheint in Anbetracht der immer restriktiveren Cookie-Regulierung unausweichlich. Insbesondere die Browseranbieter schaffen hier Tatsachen. Für Haratsis steht fest: „Die makroskopische Attribution ist der neue Imperativ. Wer sich nicht darauf einlässt, wird in Zukunft einen Wettbewerbsnachteil haben.“
Technologie-Partnerschaften – der Königsweg für Attribution?
Auch beim Marketing-Attribution-Anbieter Exactag geht man davon aus, dass Third-Party-Cookies keine Zukunft haben und schon in Kürze von den Browserherstellern komplett blockiert werden. Trotzdem bleibt CEO Jörn Grunert optimistisch: „Wenn man auf Seiten Dritter nicht mehr messen kann, benötigt man andere Methoden.“ Eine Aufgabe seines Unternehmens ist es, die Customer Journeys der Kunden zu analysieren und zu beurteilen, wie effektiv die Werbung in den einzelnen Kanälen auf den jeweiligen Publisher-Seiten war.
Diese Auswertungen wird der Dienstleister weiterhin liefern können, wenn auch die Datenerhebung künftig etwas anders erfolgt als bisher. Die Regulation der Cookies habe gerade erst begonnen. Dadurch sei man gezwungen, künftig weniger in Nutzerprofilen und stattdessen mehr in Zielgruppen zu denken. Wichtig: Diese Zielgruppen sollten Grunert zufolge ausreichend groß sein, um den Datenschutzanforderungen zu genügen und gleichzeitig klein genug, um mit möglichst wenig Streuverlust Informationen zu generieren. Neben seinen mathematischen Modellen setzt Exactag daher große Hoffnungen in Technologie-Partnerschaften mit den Walled Gardens.
Künftig mit Blick in die Walled Gardens
Google hat bereits vor einigen Jahren mit seinem „Ads Data Hub“ eine Möglichkeit geschaffen, bei der Werbetreibende ihre Erstanbieter-Daten auf die Plattform hochladen und mit den Werbekampagnendaten von Google auf Ereignisebene verknüpfen können. Auch Facebook, Spotify und andere geschlossene Plattformen bieten solche Technologie-Partnerschaften an. Während die Google-Initiative öffentlich zugänglich ist, basieren andere Partnerschaften auf individuellen Vereinbarungen. „Die großen Plattformen geben ihre Daten dabei nicht individualisiert preis, sondern clustern die Nutzerdaten in Gruppen“, erläutert Grunert. Durch die Clusterung wird erreicht, dass die Daten datenschutzkonform erfasst und analysiert werden dürfen. Technologiepartner erhalten über eine Schnittstelle Zugang – je nach Programm und Plattform können dies sehr viele oder auch nur eine handvoll Partner weltweit sein. „Wenn wir uns mit den Walled Gardens synchronisieren, erhalten wir insgesamt bessere Informationen als mit einem Third-Party-Tracking“, betont Grunert. Entsprechend hat der Dienstleister solche Partnerschaften auf seiner unmittelbaren Agenda.
Für Tracking, Analyse und Erfolgsmessung könnte dies also eine wichtige Entwicklung sein. Gleichzeitig ist aber klar, dass Technologie-Partnerschaften und geclusterte Daten kein Allheilmittel für die gesamte Branche sein können – für ein Retargeting ergibt es beispielsweise keinen Sinn. Für die Marketing Attribution funktioniert diese Lösung jedoch sehr gut. Auch mit geclusterten Daten kann Exactag künftig belastbare Aussagen über Kanäle, Platzierungen und Werbemittel treffen. Grunert ist sich daher sicher: „Technologie-Partnerschaften mit Walled Gardens sind der Trend der kommenden Jahre.“
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