Das Marketing im Einzelhandel steht vor der Herausforderung, Online- und Offline-Daten zu harmonisieren, um enge Kundenbeziehungen mit der entsprechenden Personalisierung aufbauen zu können. Dazu gehört insbesondere das Verknüpfen und Optimieren von verschiedener Marketing-Technologie. Sven Rocksloh, Leiter E-Commerce der Fahrradkette BOC, baut gerade eine technische Infrastruktur auf, die es ihm erlaubt, CRM-Daten intensiver zu nutzen und neue Technologien schnell zu testen. Das Hamburger Unternehmen ist Ende der Neunziger zunächst als Brick-and-Mortar-Geschäft gestartet, doch mittlerweile gesellt sich zu den 36 Filialen der Bike & Outdoor Company auch der Online-Shop BOC24.de. Im Interview verrät Rocksloh, welche technischen Herausforderungen die Verbindung von Off- mit Online mit sich bringt, welche Technologien er zur Personalisierung nutzt und was er von den großen Plattformen als Vertriebskanal hält.
ADZINE: Hallo Sven, das Thema Plattformen wird gerade in der Radbranche viel diskutiert. Das bedeutet einerseits einen neuen Absatzkanal, aber gleichzeitig auch den Verlust der Kundenschnittstelle, oder?
Sven Rocksloh: Vor meiner Zeit haben wir intensiver auf Amazon verkauft. Das tun wir aktuell nicht. Wir sehen einen klaren Trend hin zu beratungsintensiven Produkten. Das können die Plattformen aktuell noch nicht und das können wir als Händler richtig gut. Das ist unser USP. Wir konzentrieren uns vor allem auf die eigene Website und unseren Shop.
Allerdings schauen wir uns gerade an, wie wir in Zukunft mit Eigenmarken wieder auf Amazon gehen. Bei unseren eigenen Produkten kann uns Amazon keine Konkurrenz machen.
ADZINE: Wie funktioniert Beratung in Zeiten von Corona?
Rocksloh: Grundsätzlich ist das zwar schwierig, aber da hatten wir Glück. Wir haben eine Live-Beratung aus unserem Service-Center heraus. Das wurde im letzten halben Jahr sehr gut angenommen. Und wir haben da sogar ein Crowdsourcing-Element integriert. Abends und am Wochenende werden speziell ausgesuchte Kunden als Berater im System freigeschaltet. Kunden beraten bei uns Kunden.
ADZINE: Werden die dafür vergütet?
Rocksloh: Ja, die bekommen eine Vergütung nach Net Promoter Score. Die besten machen einen vierstelligen Umsatz, müssen aber dafür auch richtig viel beraten.
ADZINE: Gibt es auch technische Herausforderungen, die eine Anbindung an Plattformen schwierig machen?
Rocksloh: Die gibt es tatsächlich. Das Fahrradangebot ist insgesamt sehr komplex und reich an Varianten. Und gleichzeitig bekommen wir extrem heterogene Daten von den Herstellern angeliefert. Bei manchen läuft das über Excel und Fax, bei anderen gibt es APIs. Diese Daten zu homogenisieren ist eine der größten Herausforderungen für uns als Händler.
ADZINE: ...aber es gibt doch mit Velo Connect oder Bidex Systeme, die genau diese Harmonisierung leisten?
Rocksloh: Das geht auch in die richtige Richtung, aber es machen eben nicht alle mit. Cube zum Beispiel bietet nur Webservices an. Das zeigt vielleicht auch, dass die Branche gar nicht so gerne homogen sein möchte. Ich habe noch selten eine Branche im E-Commerce gesehen, die mehr aus dem Bauch heraus agiert. Da gibt es tatsächlich persönliche Befindlichkeiten, mit wem man zusammenarbeitet und mit wem nicht.
ADZINE: Dann steht euch die Technik auch beim CRM ein Stück weit im Weg.
Rocksloh: Ja, das stimmt. Wir ziehen das Ganze jetzt gerade. Tatsächlich ist es so, dass wir im Frontend etwas davonlaufen. Da können wir recht einfach mit Plugins und Systemergänzungen arbeiten. Im Backend zum Beispiel bei der Stammdatenveredelung geht das nicht.
ADZINE: Will der Fahrrad-Kunde euch überhaupt Daten geben?
Rocksloh: Ja, das funktioniert. Wir können schon Kundenprofile aufbauen, weil wir zum Beispiel Service-Themen haben, die für die Kunden dauerhaft relevant sind. Und wir haben eine gute Verbindung zwischen On- und Offline. Das ist zwar keine Raketentechnik, aber die Kunden geben uns auch beim Kauf in der Filiale ihre E-Mail-Adresse. Das sind tatsächlich auch unsere wertvollsten Kunden.
ADZINE: Wie gut sind die Daten, mit denen Ihr da arbeitet?
Rocksloh: Wir können nach Interessen und Fahrradfahrertyp segmentieren. Eine feinere Personalisierung ist im Direktmarketing bislang noch nicht möglich.
ADZINE: Aber auf der Website wird personalisiert?
Rocksloh: Ja, auf jeden Fall. Wir setzen das Personalisierungs-Tool von Trbo aus München dafür ein. Wir waren vorher schon bei einem anderen Anbieter, die haben aber Anfang des Jahres zugemacht. Außerdem war deren Lösung ziemlich intransparent. Das ist jetzt anders. Das Tool registriert die Bewegungspfade eines Nutzers und leitet daraus ein Profil ab. Wer sich andauernd nur Mountainbikes anschaut, wird beim nächsten Besuch nicht mit einem Rennrad begrüßt.
Inzwischen nutzen wir die Technologie auch als Testing-Tool, um Experimente zu machen. Und wenn etwas richtig gut funktioniert, lassen wir das von unserer Website-Agentur fest in den Shop integrieren.
ADZINE: Bei welcher Funktion ist das passiert?
Rocksloh: Ein ganz einfaches Beispiel: Wir wollten einen Share-Button für Whatsapp haben. Das ist keine Rocket Science, aber der Umsatz über diesen Button war wirklich enorm. Das war nach zwei Stunden implementiert und das wollen wir auch fest in den Shop einbauen.
ADZINE: Die ausgespielten Empfehlungen kommen also auch aus dem Tool?
Rocksloh: Zum Teil. Das testen wir gerade gegen eine Lösung, die auch CRM-Daten berücksichtigt. Da sind auch Filialdaten drin. Im Moment sieht es so aus, als wären beide gleich gut.
ADZINE: Welche Daten hat das Tool selbst, wo liefert Ihr aus dem CRM zu?
Rocksloh: Die Offline-Kaufdaten und ein Teil der Kundenprofile kommen von uns. Online-Conversions registriert das Tool. Dadurch kann es auch Bestseller anzeigen. Das ist ein Ansatz, der sehr gut funktioniert. Wenn 30 Menschen ein 3000 Euro teures E-Bike bei uns gekauft haben, bildet das Vertrauen sowohl ins Produkt als auch zum Shop.
ADZINE: Welche Kriterien legt Ihr an, damit Ihr solche zusätzlichen Tools einsetzt?
Rocksloh: Der Anbieter hat uns ein super Angebot gemacht mit einer dreimonatigen Testphase. Außerdem ist das Controlling sehr transparent. Das ist mir enorm wichtig, damit ich schnell reagieren kann. Wir können sehr schnell unsere Werkbank verlängern. Wir sind ein kleines Team, da haben wir wenig Ressourcen. Und mit dem Tool können wir sehr schnell neue Sachen ausprobieren.
ADZINE: Was sind die nächsten Schritte in Sachen CRM?
Rocksloh: Das Wichtigste bleibt der Chat. Der funktioniert sehr gut, weil wir einen klaren Trend zu immer beratungsintensiveren Produkten sehen. Deshalb verschieben wir auch wieder etwas mehr in Richtung Service-Center. Wir haben ein neues Tool, das Telefon, E-Mail und Chat integriert und wollen immer mehr Support-Bearbeitung in den Chat verschieben. Das funktioniert dann so, dass wenn der Chat frei ist, das E-Mail-Feld gar nicht angezeigt wird.
ADZINE: Sven, vielen Dank fürs Gespräch.