Warum Vielfalt im Media-Einkauf gerade jetzt so wichtig ist
Liesbeth Mack-de Boer, 28. September 2020Als Mark Zuckerberg am 26. Juni dieses Jahres ankündigte, dass Facebook sich in den USA stärker um Bürgerrechte und gegen Wählerunterdrückung einsetzen würde, reagierte er damit auf den Boykott zahlreicher Werbetreibender unter dem Schlagwort #StopHateforProfit. Unter den boykottierenden Unternehmen waren absolute Werberiesen wie Adidas, Coca-Cola, Unilever oder Volkswagen. Beobachter prognostizierten schon einen nachhaltigen Wandel für das soziale Netzwerk und die Werbeindustrie, doch der Effekt verpuffte. Letztendlich hatte der Boykott für Facebook kaum ernsthafte Konsequenzen. Der Aktienkurs zeigte sich in der Folge unbeeindruckt und schnellte Anfang August zu einem neuen Allzeithoch.
Die Macht des Duopols
Aktionäre und Werbeindustrie wissen sehr wohl, dass sich der Facebook-Konzern einiges erlauben kann. Das Unternehmen hat mit Instagram eine Plattform in Position gebracht, die das schwindende Engagement auf der Mutterplattform Facebook kompensiert und auch die Werbeeinnahmen steigen weiterhin ungebremst. Unternehmen und Nutzer müssen sich den Entscheidungen von Facebook mehr oder weniger fügen, wie zuletzt 2018, als Facebook mit einem erneuten Algorithmus-Wechsel die organische Sichtbarkeit von Marken weiter stark einschränkte. Eine Kolumne auf The Verge fasste dementsprechend auch zusammen, dass sich der Boykott dieses Jahr aus Eigeninteresse eher gegen die marktbeherrschende Stellung des Unternehmens richten sollte.
Neben Facebook ist Google der zweite Konzern, der für das Überleben von Marken im digitalen Raum essenziell ist. Zusammen erhält das Werbe-Duopol ein Drittel aller weltweiten Werbeausgaben und übertrifft damit sogar den gesamten TV-Markt. Regional unterschiedlich erhalten beide Unternehmen zwischen 60 und über 70 Prozent aller digitaler Werbeausgaben. Mit integrierten Werbebannern im Chrome-Browser und der Ankündigung, Third-Party-Cookies in Zukunft nicht mehr zuzulassen, schafft auch Google Tatsachen, nach denen sich die gesamte Branche richtigen muss.
Die Bestrebungen der Politik, die Privatsphäre zu stärken, spielten ausgerechnet den beiden Konzernen in die Karten, die bereits über massenhafte persönliche Daten verfügen. Denn beide Unternehmen sind in einer ausgezeichneten Lage, auch in der Zukunft persönliches Targeting zu gewährleisten. Werbetreibende geraten so in eine noch stärkere Abhängigkeit.
Diversifikation aus Eigennutz
Die Vorteile von Facebook und Google liegen in der Reichweite, im datenbasierten Targeting und in der Effizienz, mit der Kampagnen ausgespielt werden können. Es funktioniert einfach. Doch je stärker der Einfluss des Duopols, desto schwieriger wird es für Unternehmen, diese Vorteile auszunutzen. Das fängt bereits beim Preis für die Werbekampagnen an. Der hohe Werbedruck und das zum Teil schwindende Engagement sorgen dafür, dass gut konvertierende Nutzer mit einem umfangreichen Profil stark – und teuer – umworben werden.
Eine Analyse des Engagements und der durchschnittlichen Preise auf Emarketer zeigt, dass der Sweet Spot aus hohem Engagement (= hoher CTR) und günstigen Preisen auf Facebook bereits 2016 erreicht wurde. Der Jahresvergleich des jeweils dritten Quartals zeigt seitdem sinkende Klickraten (von 1,66 Prozent auf 1,41 Prozent in 2019) und steigende Preise (von 0,36 US-Dollar CPC auf 0,62 US-Dollar). Der Werbedruck erhöht sich also kontinuierlich, die Nutzer reagieren jedoch immer verhaltener auf Anzeigen.
Follower, die mit hohen Budgeteinsätzen gewonnen wurden, "gehören" zudem nicht den werbenden Unternehmen. Auch sie können rein organisch kaum noch erreicht werden. Stattdessen stellen sie das Zielgruppenpotenzial dar, das mit erneuten Werbeausgaben angesprochen werden kann. Unternehmen begeben sich somit in eine Datenabhängigkeit der großen Plattformen.
Darüber hinaus erreichen die Social-Plattformen nicht die gesamte potenzielle Zielgruppe, sondern nur einen Ausschnitt. Facebook hatte im vergangenen Jahr laut eigenen Angaben 32 Millionen Nutzer in Deutschland. Das sind nur knapp über die Hälfte aller mit dem Internet verbundenen Menschen über 16 Jahre. Geben Marketer die restliche Zielgruppe von über 45 Prozent mit exklusiven Buchungen also auf?
Purpose Marketing und Werbeausgaben gehören zusammen
Eine Ergänzung zu der Social-Zielgruppe ist im Open Web zu finden, auf den traditionellen Premium-Seiten wie Spiegel, Bild oder FAZ, die auch in der gegenwärtigen Corona-Krise einen Aufschwung erlebten. Die Konzentration der Werbetreibenden auf das Duopol verstärkt allerdings das Ungleichgewicht im digitalen Ökosystem und erhöht die Schwierigkeiten für die Verlagsbranche, ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu betreiben.
Schon 2017 plädierte Julia Jäkel von Gruner + Jahr für einen „Fair-Share“-Ansatz. Werbetreibende sollten auch der gesellschaftlichen Verantwortung für journalistische Vielfalt nachkommen. Die Antwort fiel seinerzeit eher verhalten aus, doch Aktionen wie #keinGeldfürRechts oder der aktuelle Facebook-Boykott zeigen, dass es in Zeiten von Purpose Marketing und digitalem Aktivismus für Marken sehr wohl einen Unterschied macht, wer von ihren Ausgaben profitiert.
So war Patagonia eine der ersten Marken, die dem Facebook-Boykott beitraten. Die Marke stieg mit dem konsequenten Verfolgen gesellschaftlicher Ziele zu einer Love Brand und einem Milliardenunternehmen auf. Seit 1985 spendete Patagonia 1 Prozent seines Umsatzes für den Umweltschutz, machte Werbung für eigene Gebrauchtware anstatt für neue Kollektionen, spendete Steuerkürzungen und beendete die Belieferung von Firmen, die keine gesellschaftlichen Ziele verfolgen. Brands wie Patagonia setzen neue CSR-Standards (= Corporate Social Responsibility), zu denen eben auch eine nachhaltige Werbestrategie gehört.
Die Zeiten haben sich gewandelt. Unternehmen können ihre gesellschaftliche Verantwortung kaum noch ausblenden. Doch auch die Performance der Open-Web-Formate kann sich sehen lassen. Werbetreibende erhalten im Open Web eine Vielzahl von Möglichkeiten und können auf Premium-Werbeumfelder und enormes Skalierungspotenzial zugreifen. Das Open Web bietet neben Exklusiv-Partnerschaften mit einzelnen Verlagen auch die Möglichkeit der programmatischen Buchung oder der Zusammenarbeit mit Advertising-Plattformen, die auf Partnerschaften mit mehreren Publishern zurückgreifen.
Bei der Mediaplanung sollten sich Unternehmen also nicht scheuen, neue Kanäle im Open Web zu testen und von ihren Agenturen fordern, einen ausgewogenen Media-Mix vorzuschlagen. Sie sollten neben dem kurzfristigen Kampagnenerfolg die langfristigen Folgen (auch für sie selbst) im Blick behalten. Möglicherweise haben die boykottierenden Unternehmen dieses Jahr auch die Lektion gelernt, dass es auch mit weniger Facebook geht.
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