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Kontextuelles Targeting erfordert ein Neudenken

Anton Priebe, 11. September 2020
Bild: Kirasolly - Adobe Stock

Im Zuge der Diskussionen um ID-Lösungen und Nutzereinwilligungen für Werbung tritt kontextuelles Targeting zunehmend ins Rampenlicht. Diese Targeting-Methode kommt ohne personenbezogene Daten aus und gilt vielerorts deswegen als Rückschritt in der Evolution der personalisierten Werbung. Doch das ist ein Trugschluss, erklärt Anna Schenk, Managing Director EMEA bei Semasio, im ADZINE-Interview. Das moderne kontextuelle Targeting habe sich weiterentwickelt und sei mitnichten mit dem zu vergleichen, womit Mediaeinkäufer vor zehn Jahren gearbeitet haben. Für die Zukunft sieht die Adtech-Expertin eine Kombination aus kontextuellem und nutzerbasiertem Targeting als mögliche Lösung an, um die Reichweite für gezielte, digitale Werbebotschaften aufrecht zu erhalten.

Bild: Semasio Anna Schenk, Semasio

ADZINE: Kurz vorab: Beschreibe Semasio bitte in einem Satz. Was bietet ihr euren Kunden an?

Anna Schenk: Semasio ist ein Anbieter von Unified Semantic Targeting, der aus einer Hand sowohl die Möglichkeit gibt, Nutzer anhand ihres Profils zu targeten, als auch die Zielgruppe über den Inhalt zu erreichen – also über den Kontext, in dem sie sich befindet.

ADZINE: Ihr verheiratet also nutzerbasiertes mit kontextbasiertem Targeting – wie funktioniert das? Und was hat das mit Semantik zu tun?

Schenk: Die Basis liefert das, was wir ‘den semantischen Ansatz’ nennen. Wir versuchen zu verstehen, wie sich jeder Inhalt, den wir im Internet sehen, von anderen Inhalten unterscheidet. Das tun wir anhand der jeweiligen relevanten Wörter und Phrasen, die damit verknüpft sind. Der Ansatz ist rein statistisch: Welche relevanten Wörter in einem Text kommen mit anderen relevanten Wörtern zusammen vor?

Wir erstellen sozusagen eine Keyword-Cloud für jede URL und bringen mithilfe eines statistischen Modells eine Gewichtung für die einzelnen Wörter ein. Das System, das diese Aufgabe übernimmt, stellt die Relevanz jedes Wortes in Bezug auf die anderen fest. Es vergleicht also den entsprechenden Text mit anderen durchschnittlichen Texten in dem Sprachmodell – in unserem Fall Deutsch. Dadurch kann es identifizieren, was relevant und was irrelevant ist.

Wir erfassen, wie oft einzelne Wörter vorkommen, bestimmen, wie relevant jedes Wort im gesamten Sprachmodell ist, und messen, wie oft die Seite aufgerufen wird. Dann extrahieren wird die Wörter mit der höchsten Gewichtung, woraus ein semantisches Seitenprofil entsteht.

Unsere Nutzerprofile, die auf einem Cookie oder Mobile-Identifier basieren, füttern wir mit diesen Seitenprofilen und halten beide ständig aktuell. Auf dieser Grundlage bauen wir beziehungsweise unsere Kunden nutzerbezogene und kontextuelle Segmente zum Targeting.

ADZINE: Welche Rückschlüsse könnt ihr auf Umfeld sowie auf Nutzer ziehen? Was wären Beispiele für Attribute?

Schenk: Wir nennen das, was wir zur Verfügung stellen, ‘die maximale Rohinformation’. Wir attribuieren nicht in Cluster oder Gruppen, sondern wir versuchen die Essenz der Inhalte in Keywords festzuhalten. Pro URL wären das bis zu 128 Wörter oder Wortkombinationen und im Nutzerprofil die Information, welcher Nutzer welche URL besucht und welche Keywords er konsumiert hat.

Denn wenn man attribuiert, gehen immer Informationen verloren. Zum Beispiel weiß man dann nicht, dass es in einem Artikel um Kinderautositze der Klasse zwei für Kleinwagen ging, sondern nur um die Kategorie Automotive. Wir liefern Pattern-Informationen, um den Automotive-Content weiter zu klassifizieren. So interessiert sich der User in dem Zusammenhang eben nicht für ein Auto, sondern für einen ganz bestimmten Kindersitz.

ADZINE: Seid ihr dabei auf die Mithilfe des Publishers angewiesen oder reicht es, wenn ihr – wie jetzt aktuell bei The Trade Desk – bei der Einkaufsseite integriert seid?

Schenk: Für das kontextuelle Targeting reicht es, wenn wir auf der Einkaufsseite tätig sind. Wir hängen direkt an den Demand-Side-Plattformen, in die wir integriert sind. Meistens läuft das über Prebid, in manchen Fällen existieren aber auch konkrete Zeiten, etwa einmal pro Nacht, in denen die Daten aktualisiert werden. Für das Audience-Targeting hingegen benötigen wir vom Publisher die Information, welcher Nutzer auf der URL war.

ADZINE: Funktioniert das kontextuelle Targeting in Echtzeit?

Schenk: Jein. The Trade Desk fragt in einem Prebid-Request bei uns mit einer URL an, die wir in Echtzeit klassifizieren können. Wenn wir die URL nicht kennen, können wir aber nicht den Inhalt in Echtzeit crawlen. Wir stellen sie dann in unsere Warteschlange für die nächste Anfrage.

ADZINE: Zurück zu den Nutzerprofilen – woher stammen die Daten eurer Profile?

Schenk: Wir haben je nach Land verschiedene Kooperationen, die in drei Säulen münden. Zum einen arbeiten wir mit Publishern direkt zusammen und zum anderen haben wir Kooperationen mit den Anbietern gängiger Publisher-Optimierungstools. Die letzte Säule sind unsere Kunden, wenn sie unsere Technologie als ‘Profiling-Service’ nutzen und ihre eigenen Daten mitbringen.

ADZINE: Was wird davon auch zukünftig verfügbar sein? Es stehen ja einige Änderungen bevor, denn sowohl Browser-Hersteller als auch die Politik wirken auf die zulässigen Methoden für Tracking und Targeting ein.

Schenk: Ich sehe hier zwei Aspekte: Zum einen die Frage, wie wir die Nutzer in Zukunft überhaupt noch identifizieren können, sei es über Third-Party-Cookie oder eine alternative Methode. Der zweite Punkt ist das Thema Consent. Selbst wenn wir Nutzer identifizieren können, ist immer noch der Consent nötig, um ihn gezielt zu adressieren.

Im Schnitt werden wir mindestens 30 Prozent der Nutzer in Deutschland nur über die Consent-Thematik verlieren. Nicht nur durch den Consent selbst, den der User vorne gibt, sondern auch beim Weiterreichen durch die Kette. ID-Lösungen werden eine Alternative zum Third-Party-Cookie sein. Aber auch hier werden wir nicht 100 Prozent derer, die uns den Consent geben, wiederfinden. Realistisch könnten wir insgesamt bei circa 50 Prozent landen.

ADZINE: Was kann die Werbeindustrie deiner Meinung nach jetzt tun, um auch in Zukunft intelligente und persönliche Werbung zu gewährleisten?

Schenk: Einerseits müssen sich alle mit ID-Lösungen beschäftigen. Ein Anbieter wie wir muss zukünftig in der Lage sein, verschiedene IDs handeln zu können. Das gilt aber nicht nur für uns, sondern für alle Marktteilnehmer.

Eine Idee könnte sein, die restliche Hälfte der Zielgruppe, die mangels ID verloren geht, mit kontextuellem Targeting ‘aufzufüllen’. Dafür benötigt kontextuelles Targeting aber noch viel Aufklärungsarbeit. Ich war selber lange Zeit als Planerin bei Pilot tätig und habe auch schon vor zehn Jahren mit kontextuellem Targeting gearbeitet. Das war aber nicht das gleiche wie heute. Es hat sich weiterentwickelt, ist deutlich besser geworden und hat sich vom klassischen Umfeld-Targeting entfernt. Der Schritt hin zum kontextuellem Targeting ist also kein Rückschritt, wie viele denken. Wir holen hier nichts Altes wieder hervor. Ein Reiseveranstalter geht jetzt nicht mehr stumpf ins Reiseumfeld, sondern bekommt eine neue Möglichkeit, seine Zielgruppe zu erreichen.

ADZINE: Was ist heute anders?

Schenk: Das Targeting hat sich technologieseitig verbessert und ist auch in der programmatischen Werbung angekommen. Vor zehn Jahren wurden Inhalte in die nächste Box, beispielsweise Automotive, gesteckt. Damit wurde viel an Information und Kontext zerstört und Nutzer waren nur in diesen vorgefertigten Boxen adressierbar. Wir sind jetzt in der Lage Inhalte deutlich granularer zu lesen und den richtigen Kontext zu erkennen. Um wieder zum Kindersitz-Beispiel zurückzukommen: Bei der Einordnung in die Kategorie Automotive würden wichtige Informationen im Kontext verloren gehen und das kann somit zu Fehlentscheidungen sowie schlechter Kampagnen-Performance führen.

Kontextuelles Targeting kann sogar besser funktionieren als nutzerbasiertes Targeting. Es ist eben eine andere Strategie, für die wir im Gegensatz zu damals mittlerweile viel mehr Learnings generiert haben, was aus Performance-Sicht funktioniert und was nicht. Das erfordert ein Neudenken von kontextuellem Targeting.

ADZINE: Danke für deine Zeit, Anna!

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